Begradigung und Naturschutz

Doppeltes Jubiläum am Rhein in Brühl

Gleich zwei runde Jahrestage gibt es in Brühl zu feiern. Zum einen wurde vor 190 Jahren der Rheindurchstich bei Brühl begonnen, zum anderen ist die dadurch entstandene Kollerinsel seit nunmehr 85 Jahren ein ausgewiesenes Landschaftsschutzgebiet.

Von 
Ralf Strauch
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Dieser Ausschnitt der „Topografische Karte über das Großherzogtum Baden“ von 1838 zeigen die noch schmalen Leitungsgräben des Otterstädter Durchstichs, der die Ketscher Rheininsel entstehen ließ, und des nördlichen Ketscher Durchstich, der die Brühler Gemarkung in zwei Teile aufspaltet. © lva

Brühl. In der Regel sollten in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein und die Leitung der Gewässer in der Gewalt der Bewohner stehen“, sagte er. Die von ihm geplante Rheinbegradigung sollte die Hochwassergefahr senken, das Land entlang des Stroms entsumpfen und urbar machen, die Seuchengefahr eindämmen und die Schifffahrt erleichtern – das waren die Eckpfeiler seiner Planung. „Wir werden dem Fluss ein ganz neues Bett schaffen. Einen geraden Verlauf, nach unseren eigenen Vorstellungen und Berechnungen. Nur so lässt er sich zähmen, wird vom unberechenbaren Zerstörer zu einer Lebensader“, war seine feste Überzeugung. Er, das ist Johann Gottfried Tulla, dessen Lebensprojekt es war, den Rhein zu begradigen.

Vor 190 Jahren wurde diese Mammutaufgabe bei Brühl begonnen. Auch wenn dieser Teilabschnitt Ketscher Durchstich heißt – weil er eben in Ketsch startet – teilte er ab dem ersten Spatenstich 1833 die Brühler Gemarkung in einen links- und einen rechtsrheinischen Bereich.

Eine visionäre Idee: Johann Gottfried Tullas Plan zur Rheinbegradigung

Der junge Offizier und Ingenieur Tulla war von Markgraf Karl Friedrich zum Studium nach Paris gesandt worden. Er sollte sein bereits umfangreiches Wissen im Wasserbau zum Nutzen des modernen Badischen Staates an der dortigen Hochschule vertiefen. Es war wegweisend, wie an der École polytechnique revolutionäre theoretische Erkenntnisse gleich auch in der Praxis erprobt wurden. Dort läuteten die renommiertesten Wissenschaftler dieser Epoche das neue technologische Zeitalter ein.

Doch selbst unter diesen Visionären stieß Tulla mit seinen kühnen Vorstellungen nicht selten auf Unverständnis. Bereits 1809 hatte der ehrgeizige Rhein-Baumeister einen ersten Plan zur Korrektur des Rheins vorgelegt. Seine Grundidee: die Kanalisierung und Vertiefung des Oberrheins. Tulla wollte den verschlungenen Fluss in ein einziges, möglichst gerades Bett zwingen.

Rheinbegradigung bei Brühl schafft klare Grenzziehung

Das gefiel den Regierende auch deshalb, weil der Rhein die Grenze zwischen dem Großherzogtum Baden und Frankreich beziehungsweise der bayerischen Pfalz war. Bei sich häufig veränderndem Flussverlauf, musste auch der Grenzverlauf immer wieder neu vermessen werden – das gab mal Geländegewinne, genauso oft aber auch -verluste. Mit einem klar gezogenen Flussbett würden diese Probleme künftig eindeutig geregelt sein.

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Als Oberingenieur im Dienst des Markgrafen von Baden begann Johann Gottfried Tulla 1817 dann mit dem gewaltigen Projekt zur Regulierung des Flusses. Dabei sollten in der Oberrheinebene nördlich von Karlsruhe mittels Durchstichen Flussschlingen abgetrennt und das Flussbett auf 200 bis maximal 250 Meter eingeengt werden. Außerdem sollten Dämme rechts und links des neuen Flussbettes vor Überschwemmungen schützen. Zugleich erhöhte sich so die Fließgeschwindigkeit, sodass der Rhein sich tiefer ins Gelände eingraben sollte und sich so der Wasserspiegel absenken würde.

Soweit die Theorie, doch Tullas Vorhaben stieß bei Bauern und Fischern auf heftigen Widerstand. Sie befürchteten die wirtschaftlichen Folgen des Eingriffs. Gegen ihren Willen wurden Tullas Pläne ab 1817 zum Teil mit Waffengewalt verwirklicht. Als nach sieben Jahren bei einem großen Hochwasser Gebiete, in denen der Rhein bereits begradigt war, wie geplant von Überschwemmungen verschont blieben, fand Tulla mehr Zustimmung und die weiteren Arbeiten wurden beschleunigt.

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1833 erreichte das Projekt dann Brühl. Bis dahin floss der Rhein im Bereich der heutigen Kollerinsel in einem nach Westen ausholenden Mäander, der an den Ortschaften Otterstadt und Waldsee vorbeizog. Bei den nun beginnenden Korrektionsarbeiten wurde 1833 ein Leitgraben als Durchschnitts zwischen Ketsch und Rohrhof angelegt. Damit wurden allerdings die innerhalb des Mäanders liegenden Kollerwiesen von der Ortsbebauung Brühl abgeschnitten – Proteste der Bauern waren vorprogrammiert.

Landesgrenzen und Veränderungen: Auswirkungen auf Brühl und die Region

Doch es kam noch schlimmer. Ab 1839 hatte der Rhein sein neues Bett soweit angenommen, dass es der Hauptweg des Wassers Richtung Norden wurde. Laut den Verträgen zwischen dem Königreich Bayern, zu dem damals die Pfalz gehörte, und dem Großherzogtum Baden bildete dieser Talweg ab dem Zeitpunkt, wo er der Schifffahrt in beiden Richtungen bei jedem Wasserstand diente als Landesgrenze. Entsprechend wurde die Kollerinsel vorübergehend bayerisch, was vor Ort großen Unmut zur Folge hatte. Doch 1840 wurde die Insel wieder badisch. Im Gegenzug erhielt Bayern ein rechtsrheinisches Gebiet bei Germersheim, das für den Brückenkopf der Festung Germersheim benötigt wurde. Heute ist die Kollerinsel – neben der Altstadt von Konstanz – eines der beiden einzigen linksrheinischen Gebiete Baden-Württembergs.

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Doch wie wurde das neue Flussbett zu einer Zeit gegraben, als es noch keine Bagger gab und der Aushub nur mit Schaufeln, Schubkarren und Pferdefuhrwerken bewegt werden konnte? Die Bautrupps gruben kein komplett neues Flussbett, sondern jeweils nur kleine Leitgräben als Abkürzungen durch die Flussschleifen. Diese Gräben hatten eine Breite von etwa zehn bis 25 Metern.

Während der Bauarbeiten ließ man am jeweils südlichen Ende des Durchstichs noch einen Damm übrig, damit die Arbeiter weitgehend im Trockenen schaufeln konnten. Dieser Damm wurde entfernt, wenn der Leitgraben fertig ausgehoben war. Der Rhein flutete diese Abkürzung und grub sich sein Bett sowohl in der Breite als auch in der Tiefe von da an selbst bis zur vollen Größe, denn diese Durchstiche überwanden die gleiche Höhendifferenz wie die Schleifen – allerdings auf einer kürzeren Strecke. So war das Gefälle größer und die Strömung stärker – die Gräben wuchsen somit nach und nach von alleine auf die volle Breite.

Die Kollerfähre bringt seit 1834 bei Brühl Menschen über den Rhein - vor der Flusskorrektur querte sie auf Höhe von Ketsch den mächtigen Strom.

© Fuchs

Zwischen Pfalz und Baden wurden insgesamt 18 Durchstiche gemacht, der Stromlauf wurde damit von 135 Kilometer um 37 Prozent auf 86 Kilometer Länge verkürzt. Von den 18 Durchstichen führten Bayern acht und Baden zehn aus.

1876 ist das Projekt bei Brühl abgeschlossen

Als das Projekt 1876 lange nach Tullas Tod abgeschlossen wurde, schien der Plan zunächst auch in Bezug auf die Vertiefung des Flussbetts erfolgreich zu sein, da der Wasserspiegel sank, die Flussauen besser landwirtschaftlich nutzbar gemacht werden konnten und der Oberrhein von Hochwasser verschont blieb.

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Der massive Eingriff in die Natur hatte jedoch auch unerwünschte Folgen, wie man inzwischen weiß: Die Auenlandschaft verödete, das Hochwasserproblem verlagerte sich an den Mittel- und Niederrhein. Deshalb werden die Dämme inzwischen weiter in Richtung Landseite verlegt. Und es wurden Taschenpolder wie ab 2004 auf der Kollerinsel angelegt, die bei Extremhochwassern geflutet werden sollen.

Gleichwohl ist der 400 Hektar große linksrheinische Gemarkungsteil ein wunderbarer Naturraum geworden, der schon seit 1938, also seit 85 Jahren, den Status eines Landschaftsschutzgebietes genießt.

Redaktion

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