Brühl. „Ich brauche keine Weihnachtsgeschenke, habe ich zuhause gesagt. Ich spiele heute Abend in Brühl – das ist mir Geschenk genug.“ So begrüßt Christoph Sieber sein Publikum in der ausverkauften Brühler Festhalle, als er locker und mit sichtbarer Freude die Bühne betritt. Und von der ersten bis zur letzten Sekunde der Vorstellung hält der Künstler die Zuhörer in seinem Bann, die auf höchstem sowohl emotionalem als auch intellektuellem Niveau unterhalten werden.
Sieber vermag es, Lachsalven auszulösen und im nächsten Moment betretenes Schweigen. In der vom Publikum seit Jahrzehnten immer wieder gewünschten Boris-Becker-Pantomime oder im bizarren Tanz zum Lied „Der Uhu macht Aha“ eines – im Tunnel einer deutschen Bildungskarriere - völlig verblödeten Mannes, serviert Sieber sich selbst als brüllend komische Ulknudel.
Vom Ulk wechselt Sieber in Brühl ins Philosophische
In der nächsten Nummer spricht dann der tiefernste Philosoph aus ihm, der an die brennende, wenn nicht gar wichtigste Frage der gegenwärtigen Existenz rührt: „Wer werden wir gewesen sein?“ Diejenigen, die aus Bequemlichkeit weitergemacht und somit zu wenig für die Erhaltung der Lebensgrundlagen getan haben? Oder doch diejenigen, die lieber Entbehrungen in Kauf genommen haben, um für ihre Nachkommen lebenswerte Zustände zu erhalten?
Das Programm „Weitermachen!“ ist jedoch in erster Linie ein Plädoyer für Freiheit und Demokratie. Sieber warnt nicht nur davor, er fleht das Publikum beinahe an, diese Werte nicht leichtfertig wegzuwerfen; denn sie seien das Beste, was man habe. Er fordert auf, nicht nach dem sogenannten „starken Mann“ zu rufen, denn der sei letztendlich schwach. Und wer dem oft zitierten „Gesunden Menschenverstand“ folge, der schließe in Wahrheit alle anderen Menschen aus, die diesen angeblich nicht besitzen.
Wahrheit will erkämpft und erstritten werden
Apropos Wahrheit und Lüge. Diese Begriffe umkreist der Künstler in einem Gedankenspiel: „Die Wahrheit will erkämpft und erstritten werden. Das soziale Miteinander wäre ohne Lüge nicht denkbar. Die Lüge hat der Wahrheit im Leben den Rang abgelaufen. Keiner ist im Besitz der absoluten Wahrheit. Früher gab es entweder die Lüge oder die Wahrheit – heute ist das Internet dazwischen.“
Dazu meint die Brühlerin Gabriele Rösch, die sich bereits in der Pause von Siebers Vortrag tief beeindruckt zeigt: „Es ist traurig, dass Kabarettisten auf der Bühne die Wahrheit sagen müssen, die draußen im Leben nicht gesehen wird.“
„Hass ist wieder hoffähig geworden“
Dem Internet widmet Sieber ebenfalls breiten Raum. Was habe man sich am Anfang nicht alles davon versprochen: Dass Demokratie, Freiheit, Freundschaft und Liebe damit gefördert würden. Doch tatsächlich habe es bewirkt, dass Hass wieder hoffähig geworden sei. Er prangert die fünf maßgeblichen Tech-Milliardäre an, weil es ihnen allein um die Rendite gehe. Und wenn Hass mehr Rendite bringt als Liebe, verbreiteten sie eben Hass.
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Der mit vielen Kleinkunstpreisen ausgezeichnete Künstler und Moderator der „Mitternachtsspitzen“ gibt zu, dass es ihm angesichts des gegenwärtigen Zustandes der Welt schwer falle, das Licht der Hoffnung nicht aus den Augen zu verlieren. Doch er baue fest auf die letztlich alles überwindende Kraft des Humors: „Wenn ich auf allen Vieren in der Wüste krieche und ein Löwe frisst mich, dann kann ich schnell noch sagen: ,Wenigstens nicht verdurstet‘.“ Und so lässt Christoph Sieber an diesem Abend den Weltuntergang ausfallen und ruft den Weltaufgang aus.
Sieber spendet für Brühler Bürgerstiftung
Zum Schluss der Vorstellung betritt Katja Rheude vom Brühler Kulturamt die Bühne und überreicht eine Flasche Festhallensekt und eine von allen Kulturamtsmitarbeitern unterschriebene Dankeskarte für nun 20 Jahre Auftritte in Brühl. Sieber revanchiert sich und stellt einige Stapel seiner aktuellen CD auf den Bühnenaufgang, die Interessierte gegen eine kleine Spende mitnehmen und von ihm signieren lassen könnten. Dadurch kommen 510 Euro für die Brühler Stiftung „Bürger in Not“ zusammen.
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