Brühl. Ihr erster Todesfall? Daran kann sich Hospizbegleiterin Hilde Nagy nicht mehr so genau erinnern. Doch die 71-Jährige weiß noch, wieso sie damit begonnen hat, sterbende Menschen und deren Angehörige zu begleiten – Nagy ist selbst schon in jungen Jahren mit der kaum erträglichen Leere, die ein verstorbenes Familienmitglied im Herzen seiner Geliebten hinterlässt, konfrontiert gewesen.
Vor 24 Jahren hat es sich die Brühlerin zur Aufgabe gemacht, schwerkranke und sterbende Menschen sowie deren Angehörige in den schwierigsten Tagen, Wochen und manchmal auch Monaten zu begleiten. Doch das sei nicht Nagys erste Begegnung mit dem Tod gewesen. „Ich habe 43 Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet“, erzählt die Rentnerin. „Es hat mich früh mitgenommen, wenn klar war, dass Patienten sterben.“
Brühler Hospizbegleiterin hat "wunderschöne Erinnerungen gesammelt"
Zunächst habe sie die Patienten, die kurz vor dem Tod standen, in ihren Krankenzimmern begleitet. Später habe sie in ihrer Freizeit die Menschen auch zu Hause besucht, die zum Sterben in die eigenen vier Wände entlassen wurden. „Menschen wollen in ihrer vertrauten Umgebung sterben. Also komme ich zu ihnen nach Hause.“ Nach diesen Erfahrungen sei es weniger überraschend, dass sie sich später zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin ausbilden lassen hat und in der Hospizgemeinschaft Schwetzingen engagiert ist.
„Ich habe wunderschöne Erfahrungen gesammelt“, erinnert sich Nagy. Besonders eindrücklich waren die Begleitungen, bei denen die ganze Familie involviert gewesen sei. „Da wurde ich dann schon mit Kaffee empfangen. Ich konnte die Angehörigen entlasten, die immer sehr dankbar waren.“
Hilde Nagy über die letzten Momente von Sterbenden
Für Hilde Nagy stand aber auch bei diesen Begegnungen nicht die Familie, sondern besonders der Sterbende im Vordergrund. „Wenn die Person Familienmitglieder, die Ehefrau, Kinder oder ähnliches hinterlässt, kann das Loslassen schwerer sein“, erklärt sie mit leiserer, sanfter Stimme. „Manchmal hat die sterbende Person mit mir Gedanken geteilt, die sie ihrer Familie nicht zumuten wollte. Dieses Vertrauen bedeutet mir viel.“
In anderen, noch schwereren Fällen, habe die im Sterben liegende Person es nicht geschafft, sich vor den Angehörigen vom Leben zu lösen. „Zum Beispiel ist dann die Ehefrau kurz einkaufen gegangen. Kurz nachdem die Haustüre zufiel, konnte der Mann gehen“, sagt sie. Ein weiterer Vertrauensbeweis – für die Angehörigen sei der Abschied in diesen Fällen allerdings oft schwerer.
Die letzte Zigarette als Wunsch vor dem Tod
17 Jahre lang war die 71-Jährige im Vorstand der Hospizgemeinschaft Schwetzingen. Der bewegendste Moment, der sich in das Gedächtnis der Brühlerin eingebrannt hat, war das Halten eines Glimmstängels, erzählt sie. „Ich betreute eine Raucherin mit Brustkrebs. Ihr Bein musste schon abgenommen werden, doch sie wollte einfach nicht aufhören mit dem Rauchen.“ Nagy, überzeugte Nichtraucherin, habe irgendwann mit der Patientin einen Handel vereinbart: Sie käme nur noch zu Besuch, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung geraucht wird. „Und das hat sie dann tatsächlich gemacht“, sagt die Hospizbegleiterin schmunzelnd.
Als sich der Zustand der Erkrankten verschlechterte, besuchte Nagy die Frau im Krankenhaus. „Sie lag schon im Sterben. Ich fragte sie, ob sie noch eine rauchen wolle. Da hat sie gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd.“ Hilde Nagy habe dann die im Sterben liegende Dame mit dem Rollstuhl in den Raucherbereich gebracht. „Da haben mich die anderen Raucher ganz schön verdutzt angeschaut, immerhin konnte die Frau nicht mal mehr die Zigarette in ihrer Hand halten.“ Die Ehrenamtliche führte also die Kippe an den Mund der Patientin und fuhr sie danach auf ihr Zimmer zurück. „Diese Zigarette, die ich hielt, das war ihr letzter Wunsch“, erklärt Nagy. „Ich habe sie danach nicht mehr gesehen, sie ist kurz darauf verstorben.“
Auch die Beerdigung, die Nagy wie bei jeder zuvor betreuten Person besuchte, sei sonderbar gewesen. „Es waren nur der Pfarrer, die Tochter und ich da. Die einzigen Blumen auf dem Grab waren von mir. Es war eine Armen-Beerdigung. Von der Tochter kamen ausschließlich Rosenblätter, die sie in einer Tupperdose dabei hatte.“
Nachwuchs als Hospizhelfer wird gesucht
Sich von dieser ehrenamtlichen Arbeit emotional abzugrenzen, sei nicht möglich, glaubt die Rentnerin. „Mir hilft da nur Ablenkung. Zum Glück wohne ich mit meinem Mann und der Familie meiner Tochter in einem Mehrgenerationenhaus. Meine Enkel sorgen schon für genug Ablenkung“, stellt sie im Gespräch fest.
Oft sei es auch gar nicht notwendig, sich abzugrenzen. Es gebe Nagy eher ein positives und erfüllendes Gefühl, wenn sie Menschen im letzten Lebensabschnitt begleiten dürfe. „Schön wäre es, würde die mediale Aufmerksamkeit dazu führen, dass sich mehr Menschen in diesem Bereich engagieren.“ Hilde Nagys Arbeit sei ein Zeitgeschenk, das auch einem selbst viel zurückgebe und tiefe Menschlichkeit lehre.
„Es lohnt sich auch für junge Menschen, sich zu dieser ehrenamtlichen Tätigkeit ausbilden zu lassen“, findet Nagy. Besonders die Persönlichkeitsbildung profitiere. „Die Sinne werden ganz anders angesprochen, man erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist.“
Was Nagys härteste Begegnung mit dem Tod eines Menschen war? Die Antwort folgt augenblicklich: „Das war der Tod meines Vaters.“ Er sei früh schwer erkrankt. Hilde Nagy erzählt: „Er war zu Hause, ich habe meine Mutter drei Wochen lang bei der Pflege unterstützt. Es kann gut sein, dass ich in diesen Momenten entschied, Menschen in ihren letzten Stunden nicht alleine lassen zu wollen.“
Info: Unter der folgenden IBAN kann an die Hospizgemeinschaft gespendet werden: DE 81 6725 0020 0024 3610 71, BIC: SOLADES1HDB
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/bruehl_artikel,-bruehl-wie-eine-bruehler-hospizhelferin-sterbende-menschen-begleitet-_arid,2179570.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html