Hockenheim/Oberhausen-Rheinhausen. Eine aufregende Zeit liegt hinter der Familie Streibel, aber eine spannende und ungewisse Zeit liegt genauso auch vor ihnen. Ende Juni sollte die Teamschulung bei Streibels in Oberhausen-Rheinhausen stattfinden. Aber alles lief anders, als die fünfköpfige Familie und das WZ-Hundezentrum in Lalendorf es geplant hatten.
Die gute Nachricht vorweg: Seit Anfang der Woche lebt Warnhund „Chap“ in seinem neuen zu Hause bei Familie Streibel. Dass es zwischenzeitlich auf der Kippe stand, ob er bleiben darf, verrät die dreifache Mutter Rebecca Streibel (28) im Gespräch. Sie bringt die Redaktion in einem Telefonat auf den aktuellen Stand – denn eigentlich wären wir bei der Teamschulung vor Ort dabei gewesen. Doch es sollte anders kommen.
Krankheitsbild des Fünfjährigen und der Weg zum Hund
Noel (5), der zweite Sohn von Rebecca (28) und Etienne Streibel (31) leidet an Epilepsie – einer Genmutation, die sehr selten und spontan ist. Noels anfängliche kurze Anfälle veränderten sich zu ständigen „status epilepticus“, das bedeutet andauernde Anfälle, die bis zu zwei Stunden am Stück in Folge auftreten können. Dreimal musste die junge Mutter ihren Sohn bereits reanimieren. Mit sieben Wochen hatte Noel, der in den Kindergarten Sonnenblume in Hockenheim geht, in den Armen seiner Mutter den ersten Anfall.
Ein Warnhund kann vieles erleichtern. Er könnte zum Beispiel vor Krampfanfällen warnen, Hilfe holen, durch Auflegen bei einem Anfall für Wärmeerhalt sorgen und Noel dabei schützen. Zudem könnte der Hund Noel im Straßenverkehr und bei öffentlichen Veranstaltungen begleiten – er wäre Begleiter und Freund.
Eine erste Hürde stellte die Summe von 26 000 Euro dar, die für die zweijährige Ausbildung des Hundes aufgebracht werden musste (wir berichteten mehrfach). Durch Spenden, Spendenläufe und „Kinder unterm Regenbogen“ – einer Hilfsaktion des regionalen Radiosenders Radio Regenbogen – kam nicht nur die Summe für die Ausbildung zusammen. Es konnte zudem ein Lärmschutz für Noels Zimmer finanziert werden. Denn Lärm fördert die Gefahr von Anfällen, wie seine Mutter und gebürtige Hockenheimerin Rebecca Streibel damals erklärte.
Erstmals berichteten wir Anfang Oktober über die Familie, Ende Oktober initiierte Sabrina Reiß aus Philippsburg einen Spendenlauf. Ende November verkündete Rebecca Streibel bereits die frohe Botschaft – das Geld ist zusammen. Somit war auch die Unsicherheit weg, bis März 2021 das Geld für die Ausbildung des Hundes zusammenzubekommen. Damals sagte sie dieser Redaktion: „Wir können es nicht richtig fassen, dass es so schnell geklappt hat und es so viele tolle Menschen auf dieser Welt gibt, die uns unterstützt haben! Wir danken allen von ganzem Herzen für ihre Hilfe.“ vas
Der Trainer reiste früher ab, Probleme traten auf, die der Pandemie geschuldet waren – aber am Ende verlief doch alles glimpflich. „Ich habe so lange dafür gekämpft und an mir soll es nicht scheitern, ich gebe alles was ich kann“, betont Rebecca Streibel energisch und sicher, dass sie alles dafür tun wird, dass der Australian Shepherd „Chap“ an der Seite ihres Sohnes bleiben darf.
Training in Norddeutschland
In der vergangenen Woche reisten Rebecca und Etienne Streibel (31) mit ihren drei Söhnen Leon (7), Noel (5) und Valentin (2) nach Lalendorf bei Rostock. Den ersten Tag verbrachten sie im Hundezentrum, alles lief gut. Warnhund „Chap“ kam mit den Kindern gut klar. Am zweiten Tag absolvierte er zusammen mit Rebecca Streibel ein Gehorsamstraining. Am Anfang war der Hund etwas vorsichtig, aber es gab einen sogenannten „Klick-Moment“. „,Chap’ schaute immer wieder zu seinem Trainer, wenn ich ihn rief und er auf mich zulaufen sollte. Er kam dann immer langsam angelaufen. Aber auf einmal machte es Klick und beim vierten Mal kam er angerannt und gab mir einen Kuss“, erzählt Streibel mit Freude in der Stimme. Es sei eine wichtige Phase, dass der Hund den Menschen auf die Probe stellt, bekam sie erklärt. Aber die Phase des Austestens sei mittlerweile vorbei.
Die 28-Jährige ist diejenige, die sich um den Hund kümmert – eine Dreiecksbeziehung zwischen ihr, Noel und „Chap“. Außerdem ist sie für die Zusammenführung und den Bindungsaufbau zuständig. „Ich führe beide zusammen und festige das Miteinander. Ich muss darauf achten, dass ,Chap’ in gewissen Situationen zu Noel geht und mit ihm fest verbunden ist“, erklärte die Mutter in einem Bericht im Frühjahr.
Auch der dritte Tag, den die Familie und der Hundetrainer unter anderem in einem Wildpark verbrachten, verlief gut. „,Chap’ hat sich viel an mir orientiert. Bei Geräuschen musste er dann mal schauen, suchte Kontakt zum Trainer“, erklärt Streibel, dass „Chap“ sie ja schließlich noch nicht richtig kenne, aber er aufeinem guten Weg sei. Der vierte Tag forderte viel, ein Besuch im Vogelpark stand an. Eine neue Situation für den Warnhund, denn auch Schulklassen waren vor Ort. „Es war das erste Mal seit langem, dass er auf eine Gruppe Kinder stieß. Durch die Pandemie konnte das nicht trainiert werden“, erklärt die 28-Jährige, dass „Chap“ bereits am Eingang unruhig wurde und zu hecheln begann. Rebecca Streibel beschreibt die Situation: „Ich gab ihm den Befehl, Platz zu machen. Erst nach mehreren Aufforderungen konnte er sich darauf konzentrieren. Er hatte Angst und Fluchtgedanken – und das darf er eben nicht. Er war einfach gestresst, da er diese Situation viele, viele Monate nicht richtig üben könnte.“ Der Trainer beschrieb dies als einen unglücklichen, schlechten Start, was aber nun mal auch der Pandemie geschuldet sei.
Kein Besuchen in Pflegeheimen
Normalerweise besuchen die Trainer des WZ-Hundezentrums mit den Ausbildungshunden Förderschulen und Pflegeheime und gehen auf große Veranstaltungen wie Kerwen oder Weihnachtsmärkte. Dabei lernen die Tiere auf die Person, deren Begleithund sie sind, fokussiert zu bleiben. Diese Möglichkeit fehlt quasi seit über einem Jahr. Und wie der Trainer der Familie berichtete, sind diese Defizite aktuell bei vielen Hunden zu beobachten. Umso glücklicher war Rebecca Streibel, dass „Chap“ beim Stadttraining in Warnemünde fokussiert war und bei Mensch und Tier alles klappte.
Dann traten die Familie und der Hundetrainer mit „Chap“ im Gepäck die Reise nach Oberhausen-Rheinhausen an. Der Trainer blieb ein paar Tage, erlebte den Alltag der Familie mit, stand ihnen mit Rat und Tat zur Seite und versuchte Rebecca Streibel auf das Leben mit Assistenzhund einzustellen. Letztlich stand sogar auf der Kippe, ob „Chap“ überhaupt bleiben darf. „Wir sind froh, dass er jetzt bei uns ist, müssen aber aufpassen. Wenn er sich im Alltag falsche Dinge verankert, dann kann es sogar passieren, dass wir ihn wieder abgeben müssen“, erklärt sie, dass „Chap“ nun mal kein gewöhnlicher Familienhund ist.
Auch die Beziehung zwischen „Chap“ und Noel laufe immer besser. Rebecca Streibel erzählt von einem Waldspaziergang, der erst wenige Tage her ist. Noel hielt ihre Hand, der Australian Shepherd war angeleint an einer Schleppleine, konnte also auch anderswo laufen, aber das tat er nicht. „Er lief die ganze Zeit zwischen Noel und mir, blieb bei uns. Und das obwohl Noel ihm bestimmt 10 mal auf die Pfote getreten ist“, sagt sie und lacht, dass das aber auch ein Vertrauensbeweis ist und „Chap“ seiner Aufgabe als Assistenzhund nachkommt.
Telefonat – jeden Abend
Am 22. Juni ist der Hundetrainer abgereist, die Familie muss sich erst mal an das neue Leben gewöhnen und sich in die Situation einfinden. Noch bis Anfang Juli wird Rebecca Streibel jeden Abend mit dem Hundetrainer telefonieren, berichten, wie der Tag war. Dann wird es reduziert auf alle zwei Tage, bis die Gespräche nur noch einmal die Woche stattfinden. „Er gibt uns Tipps, worauf wir achten sollen oder sagt uns, was wir gut oder schlecht gemacht haben. Er stellt auch Alternativen vor, was wir noch machen können“, beschreibt die Mutter Ablauf und Hintergrund der Gespräche.
„Noel ist in den Tagen, seit ,Chap’ da ist, total aufgetaut. Er freut sich, wenn er ihn sieht, und fragt immer nach ihm“, sagt Rebecca Streibel freudig, dass sie den Australian Shepherd auch mitnimmt, wenn sie Noel aus dem Kindergarten abholt. Mittlerweile geht es dem Jungen besser, die vergangenen Monate seien schwierig gewesen. Noel habe viel geschrien und geweint. „Der Urlaub tat ihm gut, er ist regulierter, zeigt wieder mehr Interesse, redet mehr. Und die Freude auf ,Chap’ ist groß. Mein Mann und ich sind darüber sehr froh“, sagt die 28-jährige Mutter erleichtert. Auch die Brüder des fünfjährigen Noel kommen mit dem neuen Mitbewohner gut klar. Leon und Valentin dürfen „Chap“ streicheln, aber dazu muss er aus seinem Körbchen kommen und die Mutter muss dabei sein. „Das ist alles nicht vergleichbar mit einem Familienhund“, betont die 28-Jährige.
Prüfung zur Anerkennung
Im September ist die nächste Teamschulung, dann wieder im Dezember. Der Trainer wird Streibels wieder besuchen kommen. Im Februar und April geht es für die Familie erneut nach Norddeutschland. Dann muss Rebecca Streibel auch eine Prüfung ablegen, damit „Chap“ als Assistenzhund anerkannt wird und alle Vorzüge genießt. „Dies gilt aber nur, wenn Noel dabei ist“, erklärt Streibel, dass der Hund nur dann zum Beispiel mit in den Supermarkt darf, wenn ihr Sohn dabei ist.
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