Hockenheim. Der Karfreitag 1724 war auch ein 7. April – mags Zufall oder Fügung sein, exakt 299 Jahre nach der Uraufführung der Johannes-Passion, die neben der Matthäus-Passion die einzige vollständig erhaltene Passion Johann Sebastian Bachs ist, hat sich der Hockenheimer evangelische Kirchenchor „Soli Deo Gloria“ zusammen mit seinen Gästen, die die Stadtkirche fast bis auf den letzten Platz füllten, das rund zweistündige Sakralwerk zum Geschenk gemacht: Die ergreifende Karfreitagsmusik krönt das 140. Jubiläum des Kirchenchores.
Kantor Samuel S. N. Cho, der seit 2013 die Reihe denkwürdiger Chorleiter und Kirchenmusiker der Rennstadt als 13. auf beeindruckende Weise bereichert hat – als große Meilensteine sind 2013 Bachs Weihnachtsoratorium, 2015 Brahms Requiem und 2018 Mozarts Requiem ebenso in Erinnerung, wie die vielen grandiosen Orgelkonzerte des Meisters selbst – setzte mit der Johannes-Passion des ehemaligen Thomas-Kantors einen neuen Meilenstein, der völlig zurecht mehrfach den Namen des unvergessenen Kantorei-Giganten L. Günther Mohrig vernehmen ließ.
Samuel Cho ist nicht nur ein würdiger Nachfolger, sondern er prägt mit einem ganz eigenen Stil die Gegenwartsgeschichte der Musik zwischen Ring und Wasserturm weiter. So auch mit diesem Passionskonzert, das an Qualität, emotionaler Finesse und interpretatorischer Kraft gleichermaßen berührte und begeisterte.
Johannes-Passion in Hockenheim: An Perfektion grenzende Dynamik
Die solide Basis der Heidelberger Kurpfalzphilharmonie um Konzertmeister Arne Müller konnten Cho mächtig einsetzen. Die Instrumentalisten, die in meist weiten Spannungsbögen den emotionalen Duktus der Bach’schen Passionsmusik betonten und deren Verlässlichkeit und technische Klasse auf der einen Seite, vor allem aber deren interpretatorische Stärke glanzvoll und würdig zugleich wirkten: Ein hochhomogener Klangkörper, der mit einer fein nuancierten, an Perfektion grenzenden Dynamik glänzte. Auf dem Unterbau aus tiefen Streichern, einer Barocklaute und der Orgel konnten sich die Holzbläser und Violinen ausleben, um Botschaft und Esprit zu vermitteln. Punktuell traten wie leitmotivisch die Oboen hervor, um feine, kaum hörbare aber doch sehr wohl wahrnehmbare Akzente zu setzen.
Auf diesem Teppich schritt der Chor – mal würdig, mal energisch – in einer erstaunlich tragfähigen Mischung aus äußerst sauberem Ton und großer dynamischer Spannkraft. Die inzwischen nur noch 22 Sänger der Kantorei selbst wurden durch einige Gastsänger auf einen 35-stimmigen Klangkörper ergänzt, der sich durchsetzungsstark, wenn auch nicht dominant, vor allem aber zu jeder Zeit den Herausforderungen der komplexen Musik Bachs gewachsen zeigte.
Getragen in der Grundlast, präzise in den Fugato-Passagen, spontan und mit perfektem Timing in den kurzen Coro-Teilen. Gerade in den Chorälen verschmolzen Chor und Orchester zu einer berührenden Einheit, die der ermahnenden Besinnlichkeit, die Bachs Werk atmet, viel Raum gab.
Johannes-Passion in Hockenheim: Eigengewächs sticht hervor
Von den Solisten stach zunächst des Hockenheimer Eigengewächs Konstantin Rupp hervor: Als Evangelist und mit mehreren Arien hatte er eine große Partie zu stemmen. Der heute in der Schweiz lebende Tenor erhielt seinen ersten Gesangsunterricht bei der legendären Christa Mohrig, setzte seine Studien bei Alejandro Ramirez und Sylvia McClain fort und gehört seit 2008 dem Chorensemble des Theaters Basel an. Mit seiner absolut ebenmäßigen, schlanken, kristallklaren Stimme und der ganz herausragend guten Absprache verlieh er den Evangelisten-Partien große Würde, natürliche Schönheit und einen beeindruckenden Glanz – in dieser Kombination trug die Botschaft weit und ging tief in die Herzen.
Ebenso faszinierend Changhoun Eo. Der südkoreanische Countertenor fesselt mit seiner fest gegründeten und dabei doch so federleicht wirkenden Stimme bereits nach wenigen Tönen, sein sphärischer Klang und die unbedingte Reinheit lassen die hochemotionale Arie „Von den Stricken meiner Sünden“ ebenso glänzen, wie die Trauerarie „Es ist vollbracht!“ – einziges Manko am grandiosen Eo, dass man gern viel mehr von ihm gehört hätte.
Gleiches gilt für den Bass-Bariton Bartolomeo Stasch: Der in Breslau geborene und in Hannover aufgewachsene Sänger gab den Pilatus mit all der Zerrissenheit, die der Rolle innewohnt, die Arie „Mein teurer Heiland, lass Dich fragen“ aber mit einer Inbrunst und Fülle, die begeisterte.
Als Jesus trug der in Seoul geborene Bariton Junchul Ye eine etwas urwüchsigere Partie bei, mit glockenhellem Sopran Yeji Shin zwei bezaubernde Arien.
Johannes-Passion in Hockenheim: Musik vom Feinsten
Als nach dem lieblichen Schlusschoral „Ach Herr, lass Dein lieb Engelein“, der so etwas wie eine tröstende Botschaft ist, minutenlanger tosender Applaus und stehende Ovationen das Kirchenschiff förmlich erbeben ließen, mag dem Kirchenmusiker das Herz geblutet haben – ist die Passionsmusik doch zur Einkehr und Ermahnung konzipiert, die einfühlsame Stille nach dem letzten Ton erfordert.
Dem Kirchenmusik-Freund aber ging das Herz auf: Verdienter Jubel nach einem ganz herausragenden Konzert, das sakrale Botschaft und musikalische Größe perfekt verband.
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