Hockenheim. Es bedarf keiner akribisch geführten Statistik oder Exceltabellen, um zu wissen, welcher Künstler am häufigsten in der über 40-jährigen Geschichte des Pumpwerks zu erleben war. Kein anderer ist mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks seit 22 Jahren so regelmäßig zu Gast wie Claus Boesser-Ferrari mit seinen Internationalen Gitarrennächten. Einzig Corona hat den Saitenvirtuosen kurz aus dem Rhythmus gebracht, der schon seit den frühen 1990er Jahren im Hockenheimer Kulturhaus auftritt. Im Interview erklärt er, wie es dazu kam und warum bei der bevorstehenden Gitarrennacht am Samstag, 1. April, um 20 Uhr auch eine Stimme zu hören ist.
Sie sind weltweit unterwegs, spielen auf allen Kontinenten – warum ist ausgerechnet Hockenheim der Ankerpunkt Ihrer Internationalen Gitarrennächte geworden?
Claus Boesser-Ferrari: Mein langjähriger Freund und Studienkollege Lothar Blank, der das Pumpwerk damals leitete, fragte mich, ob ich nicht mal bei ihm spielen wolle. Ich habe ihn besucht und fand: ein sehr schöner Saal, er hat ein spezielles Flair. Wir starteten also ein paar Versuchsballons, am Anfang habe ich allein gespielt, ab dem zweiten Auftritt war das Pumpwerk schon gut besucht, aber ich habe zu Lothar gesagt, ich möchte lieber ein bisschen in den Hintergrund treten, Gäste einladen und andere interessante Gitarristen präsentieren. Ich hatte damals schon weltweite Kontakte und fing an, die Jungs abzuzweigen, die auf Tour waren.
Das war kein Musikstudium, das Sie mit Lothar Blank absolviert haben?
Boesser-Ferrari: Ich habe zunächst Sozialpädagogik studiert, aber keinen Tag in diesem Beruf gearbeitet, sondern in Heidelberg ein Studium der Musik und Erziehungswissenschaften angeschlossen, das hat mich damals brennend interessiert. Ich wollte nicht einfach Musik studieren, das wird manchmal ein bisschen eindimensional.
Sie haben also von Anfang an musikalische Freunde zu den Gitarrennächten eingeladen?
Boesser-Ferrari: Mein Verlag Acoustic Music Records unter Leitung von Peter Finger, der auch schon mehrere Male im Pumpwerk gespielt hat, öffnete da viele Türen. Als ich meine erste Solo-CD bei ihm veröffentlicht hatte, stellte er die internationalen Kontakte her – bis nach Indien, China, Japan und in die USA. Aber auch in Russland, Georgien oder Aserbaidschan kannte er Gitarristen. Viele von ihnen habe ich in Los Angeles getroffen, wie beispielsweise meinen leider verstorbenen Kollegen Isato Nakagawa aus Tokio, der bei der zweiten Gitarrennacht zu Gast war. Oder wir haben uns bei den einschlägigen Festivals ausgetauscht und ich habe die Jungs nach Hockenheim eingeladen. Übrigens sagen sie alle, dass Hockenheim eine tolle Location ist.
Zur Person: Claus Boesser-Ferrari
Claus Boesser-Ferrari, geboren 1952 im pfälzischen Bellheim und heute in Laudenbach lebend, begann seine Karriere in den 1970er Jahren mit der Folk-Rock-Band Thorin Eichenschild.
Seit den 1990er Jahren feiert er als Freistilmusiker zwischen Jazz, Avantgarde, Pop und Folk weltweit Erfolge. Er spielt unter anderem mit Gitarrengrößen wie Marc Ribot, Fred Frith und Ralph Towner. Außerdem ist er als Theatermusiker etwa in Hamburg, Berlin, Zürich und Basel gefragt.
Er hat die Klangästhetik der akustischen Gitarre um Verfremdungen und rhythmisch-perkussive Techniken erweitert.
Seit 2001 ist er Gastgeber der Internationalen Gitarrennächte im Pumpwerk, die am Samstag, 1. April, um 20 Uhr mit Edoardo Bignozzi (Italien), Tommy Gaggiani (Spanien) sowie Jutta Glaser (Gesang) fortgesetzt werden. mm
Ihre Auswahl ist also groß – nach welchen Gesichtspunkten stellen Sie die Line-ups Ihrer Gitarrennächte zusammen?
Boesser-Ferrari: Wir treten mit dem Anspruch an zu zeigen, was es an Musik noch gibt, es war immer das Ziel, die Bandbreite des Instruments zu präsentieren. Das wird am kommenden Samstag auch so sein. Edoardo Bignozzi aus Italien ist ein toller Gitarrist und Tommy Gaggiani ist ein spanischer Percussionist, Professor für Schlagzeug und Percussion in Pamplona. Ich habe die beiden kennengelernt, als ich auf einem großen Festival in Spanien spielte, und habe sie direkt gefragt, ob sie in Hockenheim spielen wollen.
Das heißt, das musikalische Angebot geht über die reine Gitarrenmusik hinaus?
Boesser-Ferrari: Ich habe immer mehr die Idee, „Gitarre plus“ zu denken. So hatte ich die kanadische Nummer eins unter den Klarinettisten, Francois Houle, zu Gast. Einfach, weil er stilistisch so gut in den Abend gepasst hat und es spricht nichts dagegen, das reine Gitarrensegment aufzubrechen und Ausschau nach Instrumenten zu halten, die gut mit der Gitarre oder den Gitarristen kooperieren. Im Winter kommt ein ganz toller Saxofonist aus Italien zusammen mit einem Bassgitarrenspieler. Dazu habe ich Jacques Stotzem eingeladen, der die traditionelle Pickingseite vertritt. Solche Spannungsfelder aufzuzeigen, ist mein Interesse.
Über die instrumentale Bandbreite hinaus ist am Samstag auch eine Stimme zu hören: die von Jutta Glaser, mit der Sie auch schon ein Album „Ajoi“ aufgenommen haben – wie kam es dazu?
Boesser-Ferrari: Wir spielen zurzeit sehr viel gemeinsam, waren gerade zusammen in Beirut, gehen jetzt nach Tallinn auf ein großes Festival, spielen diese Woche in Düsseldorf und München – da habe ich sie gefragt, „Hockenheim ist doch für dich um die Ecke“. So können wir das Spektrum ganz im Sinne des Aufbruchs durch ihre Stimme erweitern. Ich glaube, dass das der Sache guttut.
Gibt es denn ein neues gemeinsames Album von Ihnen und Jutta Glaser?
Boesser-Ferrari: Es wird eins geben. Es ist noch nicht erschienen, wir „kämpfen“ im Moment noch mit den Verlagsrechten, es wird aber auf jeden Fall bei „Enjoy Jazz“ im Herbst vorgestellt. Wir haben Gedichte der libanesischen Lyrikerin und Malerin Etel Adnan vertont. Ein Gitarrist in Beirut kennt sie sehr gut und hat den Kontakt vermittelt. Das eine oder andere Stück werden wir am Samstag sicher vorstellen.
Das heißt, die Zuhörer kommen im Pumpwerk in den Genuss von Stücken, die es sonst noch nirgends zu hören gibt?
Boesser-Ferrari: Es wird zumindest eine Deutschland-Premiere sein, wir haben es hierzulande noch nirgendwo aufgeführt.
Wer ist in den zurückliegenden 22 Jahren Ihr häufigster Gast bei den Internationalen Gitarrennächten gewesen?
Boesser-Ferrari: Woody Mann aus New York hatte ich ebenso regelmäßig wie Tim Sparks aus Minneapolis da. Franco Morone aus Italien war mehrere Male zu Gast, genau wie Jacques Stotzem aus Belgien. Aus Deutschland bringen es Ulli Bögershausen und natürlich Peter Finger auf wiederholte Auftritte.
Sie haben aber kein Maximum an Einladungen, nach dem endgültig Schluss ist, wenn die Musiker weiter Interessantes zu bieten haben?
Boesser-Ferrari: Grundsätzlich möchte ich mehrere Wiederholungsgastspiele schon vermeiden, wenn nichts wirklich Neues zu erwarten ist. Das ist ja das Problem bei der Fingerpicking-Gitarre, dass bei den Festivals oft die Gleichen spielen, aber ich gehe lieber das Risiko ein, Leute einzuladen, die noch keiner kennt und die was ganz anderes machen. Einfach, um die vielen Wege aufzuzeigen, auf die man eine Gitarre bearbeiten kann.
Was sagen die Fans zu diesem Anspruch, der ja etwas unbequem sein kann?
Boesser-Ferrari: Ich glaube, die haben uns vertraut – Sie kamen auch, wenn wir unbekannte Künstler eingeladen hatten. Nur nach der langen Corona-Pause war es zuletzt etwas dünner besetzt.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim_artikel,-hockenheim-claus-boesser-ferrari-spricht-ueber-internationale-gitarrennaechte-in-hockenheim-_arid,2066632.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim.html