Hockenheim. Die dreiteilige Vortragsreihe „Humanismus im Wasserturm“ wandelt auf den „Spuren des europäischen Geistes“. Am Samstag wurde die diesjährige Runde der Hockenheimer Humanismustage mit einem Referat über Nikolaus von Kues (1401-1464) eröffnet. Martina Wilk begrüßte im Namen der Stadtwerke und des Marketing-Vereins (HMV) rund 65 Besucher zu der Veranstaltung in Kooperation mit der Goethe-Gesellschaft Heidelberg und der Heidelberger Gespräche Gesellschaft.
„Der Humanismus mit seinen starken Wurzeln in der Aufklärung und in der Idee, dass die Menschlichkeit im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen sollte, hat uns unermüdlich daran erinnert, dass Wissen, Vernunft und Mitgefühl die Grundlagen für eine bessere Welt bilden“, sagt die Stadtwerkeleiterin. Die Veranstaltungsreihe leiste einen Beitrag zu einer „offenen, toleranten und aufgeklärten Gesellschaft“, dankte sie auch der Künstlerin Gisela Späth für die begleitende Bilderausstellung, die für einen „nachdenkenswerten Augenschmaus“ sorge.
Die Veranstaltungsreihe
- Humanismus im Wasserturm heißt es auch am Samstag, 11. November. Dann beleuchtet die Benediktiner-Schwester Dr. Maura Zátonyi in ihrem Vortrag über „Hildegard von Bingen und europäische Spiritualität“ das breite Themenspektrum in den Werken der Universalgelehrten aus aktueller Sicht.
- Am Samstag, 18. November, analysiert der Landtagsabgeordnete Andreas Sturm (CDU) in seinem Vortrag „Shakespeare und Europa“ unter humanistischen Gesichtspunkten. Welche Relevanz hat die Kunst des Dramatikers für die Lebensgestaltung des Einzelnen heute noch?
- Beide Vorträge beginnen um 17 Uhr, Einlass ist ab 16.30 Uhr. Eine Anmeldung per E-Mail unter humanismus@stadtwerkehockenheim.de oder Telefon 06205/2 85 55 37 ist erforderlich.
- Die Ausstellung „Vielfalt in Einklang bringen“ von Gisela Späth ist an den Veranstaltungstagen von 15 bis 16.30 Uhr geöffnet. vw
Geneviève Gansler von der gleichnamigen Buchhandlung hatte das Buch „Revolution des Denkens“ mit den „Humanismus im Wasserturm“-Beiträgen von 2019 und 2022 im Angebot. Der Vorsitzende der Heidelberger Gespräche, Ralph-Dieter Wilk, eröffnete die Veranstaltung mit dem Schlaglicht „Perspektivwechsel“. Der offene Dialog, der Disput und die Auseinandersetzung – insbesondere mit Andersdenkenden – seien von entscheidender Bedeutung. Die nie dagewesene Fülle von Informationen und Möglichkeiten erleichtere es, unterschiedliche Perspektiven zu erkunden: „Wir sehen dabei Dinge aus den Augen anderer Menschen, die uns in eine Lage versetzen und uns helfen, für sie Empathie zu entwickeln. So etwas hilft uns wiederum, Konflikte zu lösen, indem wir die Sichtweise andere verstehen lernen und Kompromisse finden.“ Nikolaus von Kues fordere mit seiner Idee vom „Zusammenfallen der Gegensätze“ dazu auf, scheinbar unvereinbare Gegensätze miteinander in Einklang zu bringen: „Cusanus ermutigt uns dazu, unsere eigenen Grenzen zu erkennen und vor allen Dingen zu akzeptieren, dass unser Wissen begrenzt ist.“
Nikolaus von Kues: An der Mosel geboren
Referentin Heike Görner stellte den „Wegbereiter des Humanismus“ in Schlagworten vor. Cusanus wurde 1401 in Kues als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns geboren. Der große Gelehrte und Namenspatron der Stadt an der Mosel hat eine umfangreiche Bibliothek mit wertvollen Handschriften hinterlassen, die im Cusanus-Stift seiner Geburtsstadt verwahrt wird.
„Mit ihm beginnt die neuzeitliche Geistesgeschichte“, erläuterte die Sachbuchautorin, die auch aktive Freimaurerin in einer Schweizer Loge und Vorstandsmitglied der Heidelberger Gespräche Gesellschaft ist. „Fortschrittsdenken sah er als gottgewollt an“, schilderte sie einige Lebensstationen des späteren Kardinals.
Mit seiner Reformschrift „De concordantia catholica“ („Über die allumfassende Eintracht“) erregte Cusanus Aufsehen auf dem Konzil von Basel. Er wandelte sich vom Konzilsanhänger zum bedeutendsten Kämpfer fürs Papsttum. Als päpstlicher Legat erreichte er in Konstantinopel eine Verständigung der getrennten Kirchen des Westens und des Ostens. 1448 wurde er Kardinal, zwei Jahre später Bischof von Brixen in Südtirol und damit Reichsfürst.
Der erste neuzeitliche Denker wirkte in vielen Bereichen prägend. Er war ein Universalgelehrter – Philosoph, Theologe, Physiker, Kartograph, Kirchenreformer und Historiker. Cusanus war sowohl Mystiker als auch moderner Denker. Er bewies, dass die „Konstantinische Schenkung“ mit dem weltlichen Herrschaftsanspruch des Papsttums eine Fälschung war. Eine akademische Laufbahn habe er abgelehnt, „weil der universitäre Betrieb ihm zu eng war“. Görner stellte die bekanntesten Schriften vor. Cusanus‘ Erkenntnistheorie besagt, dass der Einfältige viel unmittelbarer zu Gott sei als die Weisheit. In seinem Werk „Über den Beryll“ beschreibt er am Beispiel des geschliffenen Edelsteins, wie sich in unserer Welt die Einheit der Gegensätze zeigt. Sein Denken geht über aristotelische Kategorien hinaus. Auf dem Zusammenfall der Gegensätze basierend, entwickelt er seine Christologie: Kreativität ist die wahrhafte Christusnachfolge. Gott ist unendlich und das Universum sein Ebenbild, daraus leitet sich seine Kosmologie ab.
In seiner Schrift „De ludo globi“ („Über das Globusspiel“) beschreibt Cusanus seine Thesen in Form eines Gleichnisses: Ein Globulus soll möglichst nah am Mittelpunkt der konzentrisch angeordneten Kreise platziert werden. Aber aufgrund ihrer Beschaffenheit kann die Halbkugel den Zielpunkt nicht auf direktem Weg erreichen.
Welche Bedeutung hat Nikolaus von Kues heute? Der Humanist stellt die Menschen in den Mittelpunkt. „Den Perspektivwechsel und den Dialog sieht er als Erkenntnismethode“, beschrieb die Referentin. Cusanus zeige, dass das ausschließlich rationalistische Denken begrenzt sei: „Mystik als Erkenntnisweg. Dialog als Methode. Die Grenzen des verstandesmäßig Erfahrbaren durchbrechen.“
Nikolaus von Kues starb schließlich am 11. August 1464 auf einer Reise im umbrischen Todi. Er liegt begraben in seiner römischen Titelkirche „San Pietro in Vinculi“, sein Herz befindet sich in der Kapelle des St. Nikolaus-Hospitals in Kues, das Cusanus zusammen mit seinen Geschwistern gestiftet hat, um damals „33 alten und armen Männern“ ein Heim zu bieten.
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