Hockenheim. Der Gemeinderat ist die politische Vertretung der Bürger in Städten und Gemeinden. Die Bevölkerung möchte ihre Interessen vertreten wissen und damit Teil der Politik in ihrem Heimatort sein. Wo steht die Stadt Hockenheim zwei Jahre nach der letzten Kommunalwahl, welche Herausforderungen stehen an und wie haben die Fraktionen die Corona-Pandemie wahrgenommen – vor allem mit Blick auf die Stadtverwaltung?
In unserem Sommerinterview beantworten die fünf Fraktionen Fragen dieser Redaktion und blicken voraus, was sie sich für die Stadt wünschen. In unserem vierten Teil stellt sich die Fraktion der Grünen – bestehend aus Adolf Härdle (kleine Bilder von oben), Larissa Rotter, Oliver Grein, Elke Dörflinger und Christian Keller – unseren Fragen.
Wenn Sie die Zeit seit der Kommunalwahl 2019 mit drei Worten beschreiben könnten, welche wären das?
Grüne: Spannend, intensiv und lehrreich.
Was war seitdem in Ihren Augen erfolgreich und was weniger?
Grüne: Die neue Kombination – neuer Oberbürgermeister, neuer Gemeinderat – hat wenig Zeit benötigt, um sich aufeinander einzustellen und die Arbeit aufzunehmen. Themen konnten schnell aufgegriffen und behandelt werden. Dadurch entstehen aber auch Fragestellungen, welche im Gemeinderat diskutiert und begleitet werden müssen. Die Mitglieder der Fraktion freuen sich darüber, dass es gelungen ist, in Corona-Zeiten den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern über Online-Formate aufrecht zu halten. Auch, dass Bebauungspläne und Bauvorhaben im Sinne der Innenentwicklung auf den Weg gebracht werden konnten, wird seitens der Fraktion begrüßt. Die Einweihung des HÖP-Geländes nach über 16 Jahren Planung und Umsetzung konnte gefeiert werden. Eine erste Entscheidung hinsichtlich der Schulentwicklung der Theodor-Heuss-Realschule wurde getroffen. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim haben die Stadt Hockenheim und der Gemeinderat im Kampf um einen besseren Schallschutz mit der DB einen Teilerfolg erzielt. Trotz des engagierten Einsatzes der Grünen-Fraktion konnte das Outsourcen kommunaler Aufgaben der Daseinsvorsorge wie der Schulsozialarbeit, drei städtischer Kindertageseinrichtungen, des Waldkindergartens nicht verhindern werden. Auch ist es nicht gelungen, eine Haushaltsstrukturkommission durchzusetzen, die an Zielen orientiert Einsparungen abgestimmt prüft.
Die Corona-Pandemie hat die Welt eiskalt erwischt. Wie beurteilen Sie den Umgang der Stadtverwaltung mit dieser Krise?
Grüne: Mit Blick auf die allgemeinen Verordnungen und Vorgaben des Landes Baden-Württemberg kann der Stadtverwaltung ein kompetentes Umsetzen der Verordnungen und Vorgehen bescheinigt werden. Allerdings wurde insbesondere die sehr eingeschränkte Erreichbarkeit der Stadtverwaltung, des Bürgerbüros und anderer städtischer Einrichtungen vonseiten der Bürgerschaft deutlich wahrgenommen. Unzufriedenheit gab es sicherlich mit Blick auf die reduzierten Betreuungsmöglichkeiten in den Kindertageseinrichtungen. Nach dem dritten Lockdown war die Stadt manchmal einen Schritt zu langsam, beispielsweise bei der Einrichtung eines stadtnahen Testzentrums. In Sachen der Digitalisierung der Schulen machte sich positiv bemerkbar, dass die Stadt davor schon mit den Vertretern der Schulen im Sinne des Digitalisierungspaktes ein Konzept erarbeitet hatte.
Hätte etwas besser gemacht werden können? Auch mit Blick auf Schulen, Kindergärten und Vereine?
Grüne: Die Schulen hätten wohl eine zentral organisierte, zeitlich frühe und zeitnahe Beschaffung von Raumluftfiltergeräten begrüßt, ebenso eine frühere und bessere Ausstattung und finanzielle Unterstützung der Schulen mit digitalen Endgeräten. In den Kindertageseinrichtungen konnten nicht alle Betreuungsmöglichkeiten allen zur Verfügung gestellt werden – eine Priorisierung entsprechend landesweiter Kriterien musste vorgenommen werden.
Klimawandel und Umweltschutz sind auch auf Kommunalebene heiß diskutierte Themen. Was kann dabei in Hockenheim besser gemacht werden?
Grüne: Für die Fraktion wird das kommunale Klimaschutzkonzept von der Stadt Hockenheim bisher zu zögerlich angegangen. Dass eine Klimaschutzmanagerin jetzt ihre Tätigkeit aufnimmt, begrüßt die Fraktion. Doch sollte das Thema Klimaschutz und dessen kommunale Umsetzung interdisziplinär und als die größte kommunale Herausforderung der Zukunft gesehen und verstanden werden. Praktisch bedeutet dies, dass alle Entscheidungen des Gemeinderates vor diesem Hintergrund bewertet werden müssen. Wir brauchen ein Klimaschutzkonzept, das auf breiten Schultern steht mit breiter politischer, überparteilicher und bürgerbezogener Beteiligung, unter Einbezug von Experten wie zum Beispiel die Lokale Agenda-Gruppe. Durch die Verwirklichung verschiedener Photovoltaik-Anlagen, der sukzessiven Umstellung der Straßenbeleuchtung auf 100 Prozent LED und Schaffung einer Ladeinfrastruktur für E-Autos können die Stadtwerke ganz im Sinne ihrer Philosophie „Mittendrin. Nebenan“ einen wichtigen Beitrag im Zusammenhang mit dem Klimaschutzkonzept Hockenheim leisten. Allerdings ist hier in der Stadt noch sehr viel zu tun – sowohl in der Entwicklung und politischen Abstimmung sind wir im Vergleich mit anderen Kommunen viel zu langsam.
Der Hockenheimring steht aufgrund der hohen Lärmbelastung der Bevölkerung immer wieder im Fokus. Wie sehen Sie das Thema und wie kann man den Hockenheimring für Großveranstaltungen attraktiver machen? Oder wird das gar nicht gewollt?
Grüne: Die Diskussion um die Lärmimmissionen des Rings muss geführt werden. Das Gespräch der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den beiden Geschäftsführern des Hockenheimrings und betroffenen Bürgern war ein erster Versuch über einen Dialog miteinander ins Gespräch zu kommen. Lösungsansätze wurden besprochen, die nun auf der politischen Ebene diskutiert werden sollten. Aus Sicht der Fraktion war dies ein sehr konstruktives Gespräch. Die Forderung, die zwanzig Jahre alte Betriebsgenehmigung zu überprüfen, ist realistisch und kann nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Gerade im Blick auf eine Neuausrichtung des Hockenheimrings wäre es für alle Beteiligten von Vorteil, wenn die Genehmigung einen aktuellen Stand besäße. Bereits heute verhindert der Ring aufgrund dieser Genehmigung und seiner dadurch erlaubten Lärmimmissionen eine aktive Stadtentwicklung. Die von den Bürgern empfundene Lärmbelastung, die es in manchen Hockenheimer Wohngebieten und in den Nachbargemeinden gibt, ist ernst zu nehmen und die Diskussion hierzu ist in einer sachlichen und nicht emotionalisierten Form zu führen, aber auf keinen Fall zu bagatellisieren. Die Fraktion vertritt die Auffassung, dass das Konzept des Rings bei der Durchführung von Großveranstaltungen, dies können sportliche, motorsportaffine Veranstaltungen und Großkonzerte sein, ebenfalls einer Überarbeitung bedarf. Es stellen sich Fragen wie „Ist das Campen in unseren geschädigten Wäldern noch sinnvoll und zeitgemäß?“ oder „Müssen tausende Besucher mit dem eigenen Fahrzeug anreisen?“.
Reicht der geplante Neubau am Hubäckerring, um dem Bedarf an bezahlbarem Wohnraum gerecht zu werden, oder müsste die Stadt da mehr tun?
Grüne: Bezahlbares Wohnen ist derzeit eines der Topthemen in der Kommunalpolitik und wird in Hockenheim seit Jahren diskutiert. Die Fraktion bedauert, dass in den vergangenen 20 Jahren der Gemeinderat auf Vorschlag der Verwaltung gegen die Stimmen der Grünen in einem nicht unerheblichem Umfang städtischen Wohnraum und städtische Grundstücke veräußert hat. Die Verwaltung konnte auf eine aktuelle Nachfrage der Grünen hin keine belastbaren Zahlen vorlegen, wie hoch in Hockenheim der tatsächliche Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist. Wir gehen realistisch, neben dem geplanten Neubau am Hubäckerring, von einem weiteren Bedarf an bezahlbarem Wohnraum aus. Auf Grund der prekären Finanzsituation und mangels einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ist die Stadt auf absehbare Zeit nicht in der Lage selbst als Investor aufzutreten. Die Grünen wünschen sich für die Zukunft bei privaten Bauvorhaben das Kriterium „bezahlbar“ mitzudenken und pro Bauprojekt einen gewissen Prozentsatz an Wohnungen vorzusehen, der für die Bevölkerung in Hockenheim bezahlbar ist und den ökologischen Standards entspricht.
Im September ist Bundestagswahl. Welches Thema tangiert Ihrer Meinung nach die Stadt Hockenheim am stärksten?
Grüne: Der Klimawandel ist die zentrale existenzielle Herausforderung. Von einer zukünftigen Bundesregierung ist zu erwarten, dass sie klare und ambitionierte energie- und klimapolitische Rahmenbedingungen setzt. Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen auch in Hockenheim die System-Relevanz der Pflege vor Augen geführt. Der Bund kann die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, dass die Pflegekräfte gute Arbeitsbedingungen vorfinden und auch in Hockenheim pflegebedürftige Menschen die für sie notwendigen Pflegeleistungen erhalten und die Eigenanteile gedeckelt werden.
Was wünschen Sie sich für Hockenheim in der Zukunft?
Grüne: Die Fraktion wünscht sich ein Klimaschutzkonzept, das möglichst im Zusammenwirken mit den Bürgern Hockenheims entsteht und im kommunalen Alltag die Bedeutung erhält, die ihm zusteht. Klimaschutz heißt auch, den exzessiven Flächenverbrauch in Hockenheim zu stoppen und das seit 2014 anhängige Biotopvernetzungskonzept umzusetzen. Auch hat die Stadt weiter ihre soziale Verantwortung im Sinne der Daseinsvorsorge ernst zu nehmen. Junge Menschen sollen sich in der Stadt aufhalten können und mit dem Skaterpark einen Ort in Hockenheim haben, an dem sie sich treffen, austauschen und kommunizieren können. Die Fraktion gibt die Hoffnung nicht auf, dass der Hockenheimring sich so entwickelt, dass er finanzielle Gewinne generiert, gleichzeitig den Grundsätzen der Nachhaltigkeit gerecht wird und einen angemessenen Beitrag zur Stadtentwicklung leistet. „Sollte es nicht möglich sein in Hockenheim auch mal visionär zu denken?“, fragen sich die Mitglieder der Gemeinderatsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Gemeinsam mit allen kommunal verantwortlichen Entscheidungsträgern und mit allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern eine Vision davon zu entwerfen, wie Hockenheim im Jahr 2050 aussehen könnte – das wäre doch ein anstrebenswertes Ziel für unsere Heimatstadt.
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