Hockenheim. Die Treppenstufen bis zur Eingangstür überwinden oder die Schwelle zwischen zwei Zimmern: Über solche alltäglichen Gegebenheiten denken Menschen ohne Behinderung nicht nach. Eltern von Kindern ohne Behinderung ebenfalls nicht. Warum auch? Für sie sind das keine nennenswerten Hürden. Olivia und Christian Scheppat hingegen, die bis 2009 in Hockenheim lebten und hier eine Fliesenlegerfirma betrieben, machen sich über solche vermeintlichen Kleinigkeiten täglich viele Gedanken. Denn ihre kerngesund auf die Welt gekommenen Töchter Anika und Emma erkrankten beide im Kleinkindalter und sind seitdem schwer mehrfach behindert. Treppenstufen und Schwellen sind für die beiden jungen Frauen, die heute 23 und 21 Jahre alt sind, aus eigener Kraft nicht zu überwindende Hindernisse. Beide sind auf den Rollstuhl angewiesen und bedürfen der Pflege rund um die Uhr.
Anikas plötzliche Erkrankung und die lebenslangen Folgen seien ein großer Schock gewesen, erinnert sich Olivia Scheppat. Zumal sie zu dieser Zeit bereits mit Emma hochschwanger war. „Und knapp zwei Jahre später wurde für uns der gleiche Alptraum ein weiteres Mal zur bitteren Realität“, erzählt die heute 50-Jährige. Erschwerend kam hinzu: „Wir hatten uns damals gerade selbstständig gemacht.“ Aus mehreren Gründen, darunter der alle Lebensbereiche umfassende Pflegebedarf ihrer Töchter, sei es schließlich nicht gelungen, die Firma zu halten. Der Vorteil war laut Olivia Scheppat, dass „wir dadurch frei waren“.
Von Hockenheim ging es für die Familien in den Nordschwarzwald
Frei für den Umzug in eine kleine Gemeinde in der Nähe von Freudenstadt im Nordschwarzwald. „Anika war bereits eingeschult und besuchte eine sehr gute Förderschule in Ladenburg. Die war aber auch sehr groß und wir erkannten, dass Emma dort nicht zurechtkommen würde“, erklärt die Mutter. In ihrem neuen Zuhause in der ländlichen Gemeinschaft habe sich die gesamte Familie wohlgefühlt, 13 Jahre wohnten die Scheppats dort, bis es sie 2022 nach Lohmen in Mecklenburg-Vorpommern verschlug. Als Grund für den erneuten Tapetenwechsel nennt Olivia Scheppat den Ansatz der dortigen Werkstätten für behinderte Menschen, der den Bedürfnissen ihrer Töchter viel mehr entsprochen habe als das Konzept in Baden-Württemberg. Auch sonst seien die Möglichkeiten im Norden der Republik in allen Belangen besser gewesen. Also suchten ihr Mann und sie dort in der Gegend ein Haus und wurden fündig.
Allerdings handele es sich um ein betagtes Gebäude, das eines größeren Umbaus bedürfe, um es barrierefrei und behindertengerecht zu gestalten. Heißt im Klartext: Neben den hohen monatlichen Ausgaben für Therapien, Fahrtkosten, Windeln – „unsere Kinder müssen auch im Erwachsenenalter gewickelt werden“ – und vielem mehr stand die Familie vor einer zusätzlichen großen Investition. Die Krankenkasse decke zwar vieles ab, aber eben längst nicht alles. „Es fehlt oft an Geld. Dazu kommen Schwierigkeiten wegen Zuständigkeiten und Bereichen“, nennt sie übliche Erschwernisse. Ein früheres Beispiel: Hätte ihre Tochter in demselben Landkreis gewohnt, in dem ihre Schule war, hätte dieser die Fahrt zur Bildungsstätte organisieren müssen. Da die Familie aber in einem anderen Landkreis lebte, musste sie sich selbst darum kümmern. „Wir hätten sie morgens also 45 Minuten hin- und nachmittags wieder 45 Minuten heimfahren müssen, alles auf eigene Kosten.“
Doch zurück zum nötigen Umbau ihres neuen Domizils. Für diesen habe ihr Schwiegervater 55.000 Euro bereitgestellt, um die Familie zu unterstützen. Allerdings gab das speziell für Anika und Emma umgebaute alte Auto ausgerechnet jetzt endgültig den Geist auf. „Gott sei Dank hat es wenigstens noch den Umzug überstanden. Auf der 13-stündigen Fahrt hierher standen mir die Schweißperlen auf der Stirn vor lauter Sorge, dass es unterwegs schlappmacht“, erinnert sich Olivia Scheppat. Wer auf dem Land lebt, sei auf einen eigenen Wagen angewiesen, besonders mit zwei Kindern im Rollstuhl. „Selbst die meisten Taxis bekommen höchstens einen unter“, gibt sie zu bedenken. Deshalb sei das Geld von ihrem Schwiegervater notgedrungen in einen umgebauten Ford Transit geflossen – und fehle jetzt natürlich für den Umbau des Hauses.
Spendenaktion wurde dem Ehepaar schon in Hockenheim vorgeschlagen
Für dieses Vorhaben Geld anzusparen, sei angesichts der monatlichen finanziellen Belastung nur begrenzt möglich und würde lange dauern. Ohne den Umbau wäre die tägliche Pflege Anikas und Emmas für ihren Mann und sie allerdings noch anstrengender als ohnehin schon. So sei allmählich die Überlegung gereift, nach all den Jahren doch eine Spendenaktion zu starten. Schon damals in Hockenheim hätten Freunde derartige Aufrufe vorgeschlagen. „Chris und ich stellten jedoch den hohen Anspruch an uns selbst, es alleine schaffen zu müssen“, erklärt Olivia Scheppat.
Nach mehr als 20 Jahren, in denen sich ihr Leben vor allem gedreht habe um Pflege, Ämter, Schmerzen, Zukunftssorgen, Schlafmangel und den Willen, alles zu tun, „damit unsere Mädels die Chance bekommen, sich zu entwickeln“, sähen ihr Mann und sie das anders. „Weil wir schon sehr lange weit über unsere Grenzen gehen und nur wenig Rücksicht auf unser eigenes Wohlbefinden nehmen, sind wir mit unseren Kräften einfach am Ende und völlig erschöpft“, erklärt die engagierte Mutter. All das sei auch an ihrem Mann Christian und ihr nicht spurlos vorbeigegangen. „Die Therapien waren nicht alle für unsere Kinder, sondern mitunter auch für mich, weil ich im ganzen Körper Schmerzen habe“, verrät sie.
Was es im Einzelnen zu tun gibt? Neue Rampen an den Hauseingängen errichten, um die kleinen Treppen zu überwinden. Die Küche vergrößern und umbauen, sodass für Anika und Emma zugänglich und nutzbar wird. Weitere Türen verbreitern, damit die Rollstühle durchpassen. Wege im Außenbereich anlegen, damit sich die Töchter im Freien um das Haus herum aufhalten können. Die Türschwellen eben gestalten, damit die beiden auch zu Hause ihre E-Rollstühle verwenden können. „Wir brauchen keine riesigen Dinge wie einen Aufzug, dafür aber viele kleinere Maßnahmen“, beschreibt Olivia Scheppat das Projekt. Außerdem sei bei einem älteren Gebäude auch jederzeit die ein oder andere Überraschung möglich. „Man weiß nie, was einen erwartet, wenn man eine Wand öffnet. Es könnte zum Beispiel sein, dass wir den kompletten Fußboden rausreißen müssen“, sagt sie.
Pflege der Töchter nimmt den Alltag des Ehepaares fast komplett ein
Während sie sich rund um die Uhr um Anika und Emma kümmere, arbeite ihr Mann „zwischendurch“ bei der Agentur für Arbeit. Davor und danach helfe der 54-Jährige selbstverständlich bei der Pflege der zwei Töchter oder stemme diese auch mal alleine, wenn es ihr schlecht gehe. Betreuer, die sie früher zumindest vorgehend unterstützten, finde die Familie seit einiger Zeit kaum noch. Entlasten könnte das Paar allenfalls, wenn Anika und Emma einen geeigneten Platz in einer Wohngruppe bekommen. So schnell werde das aber wohl nicht passieren.
Geschehe jedoch eines Tages ein Wunder und es finde sich eine gute Wohngruppe, seien die Schwierigkeiten nicht vorüber. Manche Kosten würden dann zwar entfallen, aber längst nicht alle. „Wir werden unser Leben lang mit vielen Ausgaben rechnen müssen, die weder von der Pflegekasse noch von den Ämtern übernommen werden, zum Beispiel für Therapien, gute Windeln und bestimmte Lebensmittel, da unsere Mädchen Unverträglichkeiten haben und so weiter“, erläutert Olivia Scheppat.
Vor diesem Hintergrund hege sie den Wunsch, ihre Familie selbst finanziell unterstützen zu können und so die alltäglichen finanziellen Sorgen zu verringern. Darüber hinaus sei ihr wichtig, dass die Familie nicht allein auf das Einkommen ihres Gatten angewiesen ist und eine zweite Geldquelle hat, falls dieses eines Tages wegfallen sollte. Daher wolle sie die Ausbildung zur Hörbuchsprecherin absolvieren, damit sie von zu Hause arbeiten kann und Geld verdienen kann, während Anika und Emma in der Werkstatt beziehungsweise in der Schule sind. Auch dafür benötige sie zunächst einige Tausend Euro, zumal sie ja auch das erforderliche Equipment anschaffen müsse. Neben der Ausbildung müsse sie zum Beispiel in ein ordentliches Mikrofon, einen Laptop und das Herrichten der Wände für die richtige Klangkulisse investieren. Auch hierfür sei das Spendengeld gedacht.
Ob sie sich noch an Hockenheim erinnert? Natürlich. „Ich habe immerhin 30 Jahre in der Stadt gelebt.“ Durch die Christians Firma hätten die beiden auch viele Bekannte gehabt. Zudem halte sie bis heute einige Kontakte in ihre ehemalige Heimatregion. „Meine Mutter lebt in Altlußheim, eine enge Freundin in Schwetzingen und eine ganz gute Freundin direkt in Hockenheim“, erzählt die 50-Jährige.
Info: Wer Olivia und Christian Scheppat unterstützen möchte, kann das im Internet unter www.gofundme.com/f/eine-lebenswerte-zukunft-fur-anika-und-emma
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