Vor 75 Jahren eingeweiht

Ein dreiviertel Jahrhundert Friedhofskapelle Hockenheim

Die Errichtung der Friedhofskapelle in Hockenheim war damals eine Reaktion auf die stark gestiegene Einwohnerzahl der Rennstadt nach dem Zweiten Weltkrieg.

Von 
Altoberbürgermeister Gustav Schrank
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Die 1948 fertiggestellte Friedhofskapelle ist nach einem Entwurf von Stadtbaumeister Fritz Kraft entstanden. Das Gebäude wurde trotz der schwierigen Bedingungen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in relativ kurzer Zeit errichtet. © Schrank

Hockenheim. Bis 1946 hatte Hockenheim keine Friedhofskapelle, Trauer- oder Leichenhalle. Verstorbene wurden vor ihrer Beisetzung in den eigenen vier Wänden aufgebahrt. Als die Einwohnerzahl nach dem Zweiten Weltkrieg stark anstieg und Wohnraum immer knapper wurde, wurde das zum Problem, für das die Stadtverwaltung eine Lösung finden musste. Dieser Aufgabe stellte sich der Hockenheimer Architekt und Stadtbaumeister Fritz Kraft. In Zusammenarbeit mit Kunstmaler und Kirchenrestaurateur Friedrich Blaschke schuf er ein Werk, das vor 75 Jahren eingeweiht wurde.

Hockenheim war damals zentrales Aufnahmelager für Heimatvertriebene

Der Bau hat eine Vorgeschichte: Vom 20. März bis zum 26. Oktober 1946 wurden 22 186 Heimatvertriebene zumeist aus dem Sudetenland mit der Bahn in 760 Viehwaggons nach Hockenheim transportiert. In der Rennstadt befand sich das zentrale Aufnahmelager der Region. Hier wurden die Ankömmlinge registriert, dann in Schulgebäuden untergebracht und danach auf die Kommunen in der Region verteilt.

Für die aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen muss dies eine unsäglich schlimme und wohl auch entwürdigende Zeit gewesen sein. Für die Stadtverwaltung mit Bürgermeister Franz Hund an der Spitze sowie für das städtische Gemeinwesen überhaupt stellte es eine enorme Herausforderung dar, die im Großen und Ganzen gut gemeistert wurde.

Die Stirnseite der Hockenheimer Aussegnungshalle mit Spruch und zwei Engeln ist das Werk des Kunstmalers und Kirchenrestaurateurs Friedrich Blaschke. © Lenhardt

Waren 1939 bei der Volkszählung in Hockenheim 10 002 Einwohner ermittelt worden, stieg die Einwohnerzahl der Stadt bis 1947 bereits auf 12 013 Personen. Unter Berücksichtigung der rund 500 Hockenheimer Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren haben, hatte die Stadt also unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg über 2000 Personen aufzunehmen und unterzubringen. Besatzungsrechtliche Vorschriften hatten es damals ermöglicht, private Wohnräume zur Unterbringung von Vertriebenen und Geflüchteten zu beschlagnahmen. Dennoch war es ein recht schwieriges Unterfangen, so den Menschen ein Dach über dem Kopf zu beschaffen. Zusammenzurücken war das Gebot, was zwangsläufig zu sehr beengten Wohnverhältnissen führte. Dadurch wurde die Aufbahrung vor der Beisetzung immer schwieriger.

Hockenheimer Handwerker errichteten die Friedhofshalle

Fritz Kraft entwarf die Friedhofskapelle mit den Leichenräumen – in Hockenheim wird das Gebäude „Leichenhalle“ genannt – und konzipierte auch die Innenarchitektur der Trauerhalle. Die Bauarbeiten wurden von Hockenheimer Handwerkern ausgeführt, beispielsweise von Maurermeister Gustav Dorsch und seinen Mitarbeitern. Ein Großteil des Bauwerks wurde noch vor der Währungsreform (20. Juni 1948) erstellt. Die Restarbeiten und die Einweihung erfolgten kurz danach.

Markanter Teil der Trauerhalle ist die Stirnseite mit dem zirka sechs Meter hohen, dunkelbraunen Holz-kreuz, um das ein Wort aus der Offenbarung in den Wandputz eingewoben ist. Es lautet: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben.“

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Über dem Kreuz schweben zwei Engel, die eine Krone in ihren Händen halten. Auch die Engelskonturen sind in künstlerisch ansprechender Weise in den Wandputz eingearbeitet. Es handelt sich wohl um die Erzengel Gabriel und Michael. Letzterer gilt als der wichtigste Engel, der all die Dinge verteidigen soll, die rein sind. Er ist auch der Engel der Erlösung. In der Engelshierarchie folgt ihm Gabriel, der als visionärer Verkünder und Mittler zwischen Himmel und Erde ein Begriff ist.

Im rechten Teil der Stirnwand ist mittig ein kleineres, etwa 50 Zentimeter hohes Ankerkreuz in den Wandputz eingelassen. Ihm gegenüber, im linken Teil der Stirnwand, befindet sich ein gleich großes Kreuz, das auf zwei abgeschrägten Stützen steht. Während das Ankerkreuz den festen Halt symbolisiert, den der Glaube an Christus bietet, verdeutlicht das auf Stützen stehende Kreuz das solide Fundament, auf dem der christliche Glaube gebaut und ausgerichtet ist.

Kunstmaler und Kirchenrestaurateur Friedrich Blaschke gestaltete die Stirnwand

Mit der Gestaltung der Stirnwand wurde der in Altlußheim wohnende und aus Breslau stammende Kunstmaler und Kirchenrestaurateur Friedrich Blaschke beauftragt. Der arbeitete mit der Sgraffito-Dekorationstechnik, bei der nach der Auflage verschiedenfarbiger Putzschichten Teile der oberen Putzschicht abgekratzt und Teile der darunterliegenden Putzschicht freigelegt werden.

Durch den Farbkontrast schuf Blaschke somit das Kunstwerk an der Stirnseite mit den beiden Engeln, dem Bibelspruch um das große Kreuz und den beiden kleineren Kreuzen. Das eindrucksvolle Ensemble trägt dazu bei, dass die Hockenheimer Aussegnungshalle mit ihrer ansonsten zurückhaltenden, zeitlosen und unverwechselbaren Innenarchitektur ein zum Abschiednehmen würdiger Ort ist.

Der an der Stirnwand angebrachte Vers steht im letzten Buch der Bibel, der sogenannten Offenbarung des Johannes. Nach der dortigen Beschreibung erhielt der Seher Johannes von Gott den Auftrag, einen Brief mit diesem Satz an die verfolgte christliche Gemeinde in Smyrna, dem heute türkischen Izmir, zu schreiben. Es war die Zeit der ersten Christenverfolgungen im Römischen Reich um 95 nach Christus. Man konnte damals tatsächlich vor die Wahl gestellt werden, entweder „treu bis in den Tod“ am eigenen Glauben festzuhalten oder ihn aufzugeben.

Von Friedrich Blaschke gestaltet: Die vier das Vordach tragenden Säulen zeigen in allegorischer Weise Stufen des menschlichen Lebens von der Kindheit bis ins Alter. © Gustav Schrank

Der Wesensgehalt der mit dem Brief übermittelten Botschaft war: Wer standhaft bleibt und zum christlichen Glauben steht, kann daraus Hoffnung auch über den Tod hinaus schöpfen. Er kann mit der Krone des Lebens gesegnet werden, dem ewigen Leben an Gottes Seite. Insofern ist dieser tröstende und zum Nachdenken anregende Bibelvers das zu einer christlichen Aussegnungshalle passende Begleitwort.

Desweiteren ist der christliche Spruch aber auch ein Hinweis für die Treue im Leben überhaupt, sei es die Treue zu oder zwischen Menschen oder die Treue zu Überzeugungen. Dass die Treue ein hehres Gut ist und die Grundlage des ehelichen und familiären Miteinanders bildet, muss an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. Treu und fest kann man aber auch zu seinen Überzeugungen stehen – seien es humanitäre, politische oder weltanschauliche.

Wenn man bedenkt, in welch schwieriger Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Friedhofskapelle errichtet wurde, muss man den für ihre Innenarchitektur Verantwortlichen auch heute noch viel Lob zollen. Fritz Kraft und Friedrich Blaschke vollbrachten mit der Hockenheimer Leichenhalle eine zeitlos schöne Meisterleistung.

Baumaterialien gab es damals fast nur im Tausch gegen Koks

Für sich spricht wohl auch, dass die Baumaterialien in der damals schwierigen Nachkriegszeit fast nur im Tausch gegen Koks vom Hockenheimer Gaswerk zu beschaffen waren.

Auch heute, 75 Jahre nach ihrer Fertigstellung und nach ihrer Erweiterung im Jahr 1979, ist die Aussegnungshalle ein würdiger Ort zum endgültigen Abschiednehmen. Zudem zählt die Leichenhalle dank ihrer ansprechenden Architektur zu den markanten öffentlichen Einrichtungen und Gebäuden der Stadt Hockenheim.

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