Als Andre Baumann noch ein Jugendlicher war, machte niemand großes Aufheben um die Haubenlerche. Die „Allerweltsart“ sei auf Brachflächen häufig anzutreffen gewesen, weshalb sie auch als „Trümmervogel“ bezeichnet wurde. Mittlerweile ist Baumann promovierter Biologe und Landtagsabgeordneter der Grünen und die Haubenlerche vom Aussterben bedroht. Nur noch rund 40 bis 50 Brutpaare finden sich landesweit von der Tierart, die besonderen Schutz genießt und auf den Roten Listen als vom Aussterben bedroht geführt wird. Weshalb es für den Landespolitiker keine Frage ist – „wir müssen die Haubenlerche schützen“. Ein in seinen Augen unumstößlicher Satz, dessen Grundlage eine entsprechende EU-Richtlinie ist, die keinen Spielraum lasse.
Ein Schwerpunkt der Haubenlerchenpopulation in Baden-Württemberg findet sich im Bereich zwischen Karlsruhe und Mannheim, weiß Baumann und bringt damit die Große Kreisstadt Hockenheim ins Spiel. Denn auf deren Gemarkung siedelt die Haubenlerche anscheinend besonders gern. Weshalb der Region, der Stadt besondere Verantwortung zukomme, die Haubenlerche zu schützen, sie in einen „günstigen Erhaltungszustand“ zu versetzen, wie es der Fachmann nennt.
Kein Schwarz-Weiß-Denken
Auch wenn sich Baumann als ausgewiesener Experte und langjähriger Landesvorsitzender des Nabu stets für die Umwelt einsetzt, so ist der doch ein Pragmatiker, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Weshalb es für ihn auch beim Thema Schutz der Haubenlerche nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern Lösungen, mit denen alle leben können. Besonders natürlich der bedrohte Vogel.
Kurzum, der Haubenlerche muss eine Überlebensoption eingeräumt, muss eine Fläche zugesprochen werden, auf der sich der Bestand erholen kann. Im Sinn hat Baumann dabei ein knapp über 30 Hektar großes Gelände zwischen Hockenheim und Reilingen, das Biblis. Vom Pflegezentrum Offenloch zieht sich die nördliche Grenze des Gebiets bis hin zum Ende der Wohnbebauung im Biblis. Die südlich gelegenen Teile Biblis zweites bis viertes Gewann, sie erstrecken sich bis hin zur Landesstraße 723, finden südlich der Straße ihre Fortsetzung auf Reilinger Gemarkung mit dem Eckpunkt Anglersee und einem breiten Geländestreifen östlich des Bibliswegs. Mit anderen Worten, auf Hockenheimer Gemarkung sind rund 16,5 Hektar von den Überlegungen betroffen, auf Reilinger Gemarkung knapp über 25 Hektar.
Eine Fläche, die Baumann von jeglicher Bebauung frei halten will. In enger Partnerschaft mit den Landwirten will er dort ein Gelände schaffen, auf dem die Haubenlerche gute Bedingungen vorfindet. Die Chancen dafür sind nicht schlecht, denn der Vogel liebt Sonderkulturen wie beispielsweise für den Spargelanbau genutzte landwirtschaftliche Produktionsflächen.
Quasi ein Steckbrief der infrage kommenden Fläche. Baumann zitiert aus einem Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe, in dem von „sehr günstigen Ausgangsvoraussetzungen“ die Rede ist. Weiter heißt es: „Der aktuell von Haubenlerchen besiedelte Bereich ist ein sandiger Höhenrücken, welcher in einem Mix aus Spargel, Rhabarber, Kartoffeln, extensivem Getreide und Brachflächen bewirtschaftet wird. Einige der Getreideäcker (Kraichgaukorn) präsentieren sich mit sehr gut entwickelten Sandmohn-Gesellschaften. Insgesamt sollte der Mix aus extensivem Roggenanbau sowie einzelnen eingestreuten Kartoffeln und Sonderkulturen sowie Brachflächen beibehalten werden.“
Kein Wunder, wenn der Biologe Baumann in dem Gebiet die Voraussetzungen für die Haubenlerche als optimal empfindet. Die Fläche ist in seinen Augen „vorbildlich dazu geeignet, den Naturschutz voranzubringen“. Klar ist für ihn auch, dass es hierzu eines Partners bedarf – der Landwirtschaft. Die Flächen müssen offen gehalten und geschützt werden. Punkte, für die die Bauern prädestiniert sind. Und klar ist für Baumann auch, der Schutz der Haubenlerche geht in diesem Fall Hand in Hand mit dem Wunsch der Landwirte, ihre Flächen zu erhalten. Überhaupt ist die Kooperation von Naturschutz und Landwirtschaft eines der großen Themen von Baumann, nur gemeinsam seien die Ziele zu erreichen.
Von Bebauung frei halten
Kurzum, die besagte Fläche will der Landtagsabgeordnete von jeglicher Bebauung frei halten. Und damit kommt das Land Baden-Württemberg ins Spiel. Denn die besagten gut 30 Hektar Fläche sind im Eigentum des Landes. Weshalb sich Baumann mit einem Schreiben an Dr. Gisela Splett, Staatssekretärin im Finanzministerium, gewandt und auf den notwendigen Schutz der Haubenlerche hingewiesen hat.
Wie Baumann in dem Schreiben ausführt, wurde im grün-schwarzen Koalitionsvertrag vereinbart, „dass auf Landesflächen das Land seiner Vorbildfunktion für Klimaschutz und Biodiversität gerecht wird, ökologisch wertvolle Flächen im Landeseigentum gesichert und gepflegt werden“. Darüber hinaus sei von der Koalition beschlossen worden, Bodenbrüter wie Feld- und Wiesenvögel besonders zu schützen.
Die genannten Flächen hält Baumann für „von hohem ökologischen Wert“. Weshalb er die Staatssekretärin bittet, „dafür zu sorgen, dass diese Fläche vollständig im Eigentum des Landes verbleibt und von einer Bebauung frei gehalten wird“. Parallel dazu soll das Land zusammen mit der Staatlichen Naturschutzverwaltung ein Artenschutzprojekt für Haubenlerchen nach dem Vorbild des Feldhamsterprojekts in der ehemaligen Domäne Straßenheimer Hof in Mannheim durchführen.
Auf den Spuren des Hamsters
Bekannt wurde der Feldhamster in der Region durch den Bau der SAP-Arena im Mannheimer Bösfeld. Dort lebte noch eine Hand voll der putzigen Tiere, die zu den seltensten Säugetieren in ganz Europa zählen. Mithilfe des Projekts in Straßenheim ist es gelungen, die Art zu retten, im Sommer des vergangenen Jahren konnten dort über 1000 Hamsterbaue gezählt werden. Diese Erfolgsgesichte möchte Baumann mit der Haubenlerche fortschreiben.
Auf jeden Fall – mit seinem Schreiben rannte Baumann bei Splett offene Türen ein: Gerne unterstütze sie ein Schutzprojekt für die Haubenlerche auf landeseigenen Flächen in Hockenheim, antwortete die Staatssekretärin und erinnert an den Schutz der Haubenlerche in Ketsch, der im Zusammenspiel zwischen der Gemeinde und der Liegenschaftsverwaltung des Landes umgesetzt werden konnte.
Um das Projekt in Hockenheim und Reilingen in Angriff nehmen zu können, hat Splett die zuständigen Ämter in Mannheimer und Heidelberg des Landesbetriebs Vermögen und Bau gebeten, zusammen mit der Naturschutz- und Landwirtschaftsverwaltung sowie den Kommunen ein Konzept zu entwickeln.
„Das Land übernimmt hier Verantwortung, weil es in der Pflicht ist, für einen günstigen Unterhaltungszustand zu sorgen“, fasst Baumann zusammen und verweist auf die rechtliche Lage, die ein anderes Handeln nicht zulasse. Doch wie gesagt, er ist Pragmatiker, weshalb er die Haubenlerchen-Population im Mörsch nicht im Blick hat. Hat der Vogel im Süden der Gemarkung einen festen Bestand, dann könne man im Westen der Stadt andere Prioritäten setzen, betont der Abgeordnete, für den es ganz wichtig ist, dass die Bilanz stimmt.
Die Bilanz muss stimmen
Womit der Abgeordnete deutlich gemacht hat, dass eine weitere Bebauung im Biblis für ihn nicht vorstellbar ist. Weder auf Hockenheimer noch auf Reilinger Gemarkung. Und zugleich deutet er einen Weg an, wie es in den Gewerbeflächen Mörsch weitergehen kann, wenn sich die Haubenlerchen-Population in einem guten Zustand befindet. Denn der Vogel selbst sei äußerst genügsam, brüte beispielsweise auch auf begrünten Flachdächern und störe sich nicht an Gewerbeflächen.
Dr. Baumann ist nicht nur Naturschützer und Pragmatiker, der gerneauch griffig formuliert, weshalb er die Haubenlerche öfters als „Kurpfalzvogel“ bezeichnet. Vielleicht hat das Tier ja, wenn es im Biblis klappt, das Zeug zum Wappentier.
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