Hockenheim/Oberhausen-Rheinhausen. Wenn man Rebecca Streibel nach dem Verhältnis und den Fortschritten zwischen ihrem Sohn Noel (5) und Assistenzhund „Chap“ fragt, wirkt sie fröhlich, geradezu erleichtert. „Es klappt immer besser mit den beiden“, sagt die 28-Jährige, deren Sohn an einer speziellen Form der Epilepsie leidet. Es sei schön zu sehen, wie sich beide entwickeln und wie gut sich „Chap“ auf Noel eingestellt hat. Der Junge verlange auch manchmal, wenn er auf dem Sofa ist, dass „Chap“ zu ihm kommt „und dann liegen sie zusammen auf der Couch und schmusen.“ Erleichtert ergänzt Rebecca Streibel, „dass man einfach merkt, dass alles die Mühe wert war.“ Zudem sei es erstaunlich, was der Hund alles lernt – „wir sind oft sprachlos und staunen.“
Anfang Dezember war erneut eine Teamschulung bei Streibels zu Hause in Oberhausen-Rheinhausen. Vor allem, wie sich der Australian Shepherd „Chap“ in Menschenmengen verhalten sollte, musste trainiert werden. Denn durch die Pandemie kam dies in vielen Übungseinheiten bei „Chaps“ Ausbildung zu kurz, da es kaum Möglichkeiten dafür gab. „Wir fuhren auf den Weihnachtsmarkt nach Speyer – ohne Noel. Ich trainierte zusammen mit ,Chap’“, erklärte die 28-Jährige, dass sie froh gewesen sei, dass ein größerer Weihnachtsmarkt für ein solches Training zur Verfügung stand. Es sei dabei wichtig gewesen, zu schauen, ob der Australian Shepherd auf Rebecca Streibel hört, denn er müsse lernen, sich auch unter vielen Menschen auf sie zu fokussieren. Verschiedene Übungen zur Festigung haben Streibel und der Trainer mit „Chap“ durchgeführt, wie zum Beispiel das Ablegen und Liegenbleiben, auch wenn Frauchen weiterläuft.
Auch das Geruchsprobentraining stand auf dem Plan, denn das könne nur dann trainiert werden, wenn es beim Kind zu Anfällen komme. Und von diesen gab es in den vergangenen Monaten mehrere bei Noel – „für die Übung war das gut, aber es waren schwierige Monate.“ Rebecca Streibel organisierte zwei Grabvasen, da diese aufgrund der Form und Länge perfekt für die Hundeschnauze seien. Mit Handschuhen befördert die Mutter die eingeschweißten Geruchsproben von Noels Kleidung in die Grabvasen und öffnet sie vorsichtig mit einem Messer. Pro Probe können fünf bis sieben Durchgänge gemacht werden – nach gut einer Stunde ist die Probe nicht mehr brauchbar und musst entsorgt werden. „,Chap’ hat sofort gemerkt, was auf ihn zukommt und war ganz aufgeregt und hat sich total gefreut“, berichte die 28-jährige Mutter vom so wichtigen Geruchstraining.
Die Geschichte von Noel und „Chap“
- Noel (5), der zweite Sohn von Rebecca (28) und Etienne Streibel (31) leidet an Epilepsie – einer Genmutation, die sehr selten und spontan ist. Er geht in den Kindergarten Sonnenblume in Hockenheim, der von der Lebenshilfe betrieben wird.
- Noels anfängliche kurze Anfälle veränderten sich zu ständigen „status epilepticus“ (andauernde Anfälle, die bis zu zwei Stunden am Stück in Folge auftreten können).
- Seinen ersten Anfall hatte er mit sieben Wochen in den Armen seiner Mutter. In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu kleineren bis mittleren Anfällen.
- Ein Assistenzhund wie „Chap“ dient der Familie als Erleichterung und ist Freund und Helfer für Noel. Ein Assistenzhund kann vor Krampfanfällen warnen, Hilfe holen, durch Auflegen bei einem Anfall für Wärmeerhalt sorgen und Noel dabei schützen, Begleiter im Alltag, Straßenverkehr und öffentlichen Veranstaltungen sein.
- Die zweijährige Ausbildung für den Hund kostete die Familie 26 000 Euro. Durch Spenden, Spendenläufe und „Kinder unterm Regenbogen“ – einer Hilfsaktion des regionalen Radiosenders Radio Regenbogen – konnte die Ausbildung finanziert werden. Zudem kam so viel Geld zusammen, dass ein Lärmschutz für Noels Zimmer finanziert werden konnte. Das war wichtig, weil Lärm die Gefahr von Anfällen fördert.
- Seit Juni lebt „Chap“ bei der Familie. Zuvor reisten die Streibels immer wieder ins WZ-Hundezentrum nach Lalendorf, um „Chap“ kennenzulernen und die Nähe zwischen Mensch und Tier aufzubauen.
- Alle drei Monate findet eine Teamschulung statt, zu der Ulrich Zander zur Familie reist oder die Streibels in den Norden. Bei jeder Teamschulung wird auf die Entwicklung von „Chap“ geachtet und die Verbindung zwischen Mensch und Tier. Rebecca Streibel ist für die Zusammenführung und den Bindungsaufbau zwischen Noel und „Chap“ sowie für die Versorgung des Hundes zuständig. Dies wird in den Teamschulungen vertieft und in Alltagssituationen trainiert.
- 2022 muss Rebecca Streibel eine Prüfung ablegen, damit „Chap“ als Assistenzhund offiziell anerkannt wird.
Bei den Anfällen in den vergangenen Monaten war von kurzen bis langen alles dabei – einmal hatte Noel sogar einen Atemstillstand. Die Sauerstoffflasche funktionierte nicht sofort, erinnert sich Streibel, weil sie diese auch schon sehr lang nicht mehr gebraucht habe. „Ich war kurz davor, ihn selbst zu beatmen, aber dann holte er zum Glück Luft“, sagt die Mutter erleichtert. Sie und ihr Mann machten sich Gedanken, was zu solch vermehrten Anfällen hat führen können – alles nach einer sehr langen Zeit ohne Anfälle. „Noel hat Zähne bekommen“, sagt Rebecca Streibel, dass sie sich zu 90 Prozent sicher sei, dass dies damit zu tun habe. Zudem habe vermutlich mit reingespielt, dass die Familie an den Wochenenden mehr unternommen habe, die Kinder mal eine Stunde später ins Bett gekommen sind. „Das war für Noel dann sehr anstrengend und montags hatte er dann einen Anfall“, erklärt seine Mutter, dass sich das so äußert – denn zu anstrengend und viel sei für ihren Sohn nicht so gut.
Weniger Tränen und Gezerre
Noels Mutter glaubt, dass er von den Anfällen sehr viel mitbekommt, da sie oft merke, dass diese stärker werden, wenn viel Stress um ihn herum ist. „Es fühle sich an, als würde er versuchen, sich zu wehren“, erklärt sie. Wenn er wieder wach ist, schreie und weine er vor Frust sehr lang und sehr viel. Dies hänge auch damit zusammen, wie viel man an ihm rumgemacht habe, ohne dass er sich dazu äußern konnte.
Neu war in der Teamschulung Anfang Dezember, den Umgang mit der Autismusleine zu lernen. „Ich war total überrascht, weil das für mich ganz neue Welten eröffnen wird“, sagt Rebecca Streibel und lacht. Noel hat einen Rucksack mit Leine auf, die mit „Chap“ verbunden ist. Den anderen Teil der Leine hält Rebecca Streibel in den Händen. Dadurch, dass Noel nun am Hund „festgemacht“ ist, kann er nicht mehr davonlaufen oder auf die Straße rennen und der große Vorteil sei, dass diese auch in der Länge verstellbar ist. „Sobald Noel anfängt, daran zu ziehen oder in eine andere Richtung läuft, als vorgesehen, stemmt sich der Hund dagegen und läuft in meine Richtung. Noel wird gehindert, wegzulaufen“, erklärt Streibel, wie die Autismusleine funktioniert und Noel es immer total lustig finde, lacht und dann zu „Chap“ und seiner Mutter laufen und kuscheln will.
Mensch und Tier toben zusammen
Einen weiteren Fortschritt mit der Autismusleine hat die Mutter auch schon festgestellt und erzählt: „Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, dann macht der Hund Platz und Noel setzt sich neben ihn. Ich muss mein Kind nicht mehr zerrend und weinend an der Hand halten“, sagt Streibel erleichtert, denn bei Noel reiche es sonst schon, wenn man in die für ihn falsche Richtung läuft. „Er schreit, weint und schmeißt sich auf den Boden. Jetzt meckert er kurz, wird durch den Hund abgelenkt und es ist gut.“
Lob für die Arbeit und die Fortschritte bekam die Familie auch vom Trainer, denn es laufe nicht immer so gut ab wie bei Streibels. Auch der Australian Shepherd taue immer mehr auf. „Das war meinem Mann und mir wichtig. Wir wollten nicht, dass er nur brav ist“, sagt Streibel, dass „Chap“ auch mal mit ihren drei Söhnen auf dem Feld toben und Spaß haben soll. „Wenn wir als Familie unterwegs sind, darf ,Chap’ mit den Kindern mitrennen. Er hat seinen Orientierungspunkt bei mir, kommt zurück oder schaut, ob ich es ihm auch ,erlaube’. Er freut sich immer mit den Kindern rumzurennen“, sagt die 28-Jährige, die sich auch keine Sorgen machen brauche, dass „Chap“ nicht trotzdem ein Auge auf Noel hat – denn das habe er. „Er ist total auf Noel geprägt. Alle Kinder können in eine andere Richtung laufen, ,Chap’ würde sich immer Noel rauspicken und schauen was er macht“, erklärt sie, dass der Hund auch nervös und aufgeregt reagiere, wenn Noel wegläuft.
Hohe Priorität: Umwelttraining
Im Februar steht die nächste Teamschulung in Norddeutschland an. „Chap“ müsse dann vor allem das Bringen von wichtigen Gegenständen trainieren, da tue er sich noch etwas schwer, „da er einfach zu höflich ist“. Auch die Festigung des Erlernten und das Umwelttraining seien enorm wichtig, damit „Chap“ und Rebecca Streibel die Prüfung im Sommer gemeinsam bestehen.
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