Umwelt

Hockenheimer Biologe Uwe Heidenreich warnt vor Artensterben

Der Biologe Uwe Heidenreich warnt vor den Auswirkungen des Klimawandels auf Ökosysteme und Tierwelt. Mit Unbehagen blickt er auf eine Studie zur Biodiversität der letzten 50 Jahre.

Von 
Andreas Wühler
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Ein Paradebeispiel für gutes Wassermanagement ist das HÖP im Zentrum der Rennstadt. © Mühleisen

Hockenheim. Es gibt Zahlen, die muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Biomasse der Wildsäugetiere ist in den vergangenen Jahren um 82 Prozent zurückgegangen, die Häufigkeit von Wirbeltieren nahm seit 1970 rapide ab. Zahlen, die einer Studie zur Biodiversität entnommen sind und die der Biologe Uwe Heidenreich im Gespräch mit unserer Zeitung zitiert. 82 Prozent oder vier Fünftel – eine kaum vorstellbare Dimension, die der Naturwissenschaftler ohne Zögern mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringt.

Klimawandel und Biodiversität gehören zusammen wie siamesische Zwillinge

Denn in seinen Augen gehören der Klimawandel und Biodiversität zusammen wie siamesische Zwillinge, vor allem, seit die Folgen des Klimawandels immer schneller auf die Natur wirken: „Der Artenschwund ist enorm“, fürchte er und nennt als Beispiele Schmetterlinge und Libellen, die grundsätzlich die Wärme lieben würden, denen der Wandel jedoch zu schnell kommt, als dass sie auf ihn reagieren können.

Und wenn lapidar im Zusammenhang mit dem Klimawandel festgestellt würde, das zum Beispiel Feuchtgebiete auf dem Rückzug seien, das sind damit nicht nur landwirtschaftliche Gebilde gemeint, es sind ganze Ökosystem, Pflanzen, Frösche und Amphibien, die vom Aussterben bedroht sind. Und es müssen nicht gleich ganze Feuchtgebiete bedroht sein, oft reicht ein austrocknende Pfütze, um einer Tierart den Garaus zu machen.

Heidenreich nennt die Kreuzkröte, die ihren Laich auf feuchten Wiesen in Pfützen abgelegt – durch die extreme Sonneneinstrahlung im Juli waren viele Pfützen vor dem Austrocknen, viele Kreuzkröten haben es nicht geschafft. Und wenn doch, dann nur durch die Hilfe von Landwirten, die Heidenreich überreden konnte, künstliche Pfützen stehen zu lassen. Dennoch, bei einem Fall hätte selbst dass nicht gereicht, sei es ihm mit knapper Mühe gelungen, gemeinsam mit einem Landwirt die Tiere einzufangen und zu versetzen – „sonst wäre alles umsonst gewesen.“

Das Biosystem kann durch besseres Wassermanagement gerettet werden

Auf jeden Fall, so der Biologe, das Aussterberisiko sei für viele Arten extrem stark angestiegen, egal wohin man schaut, ob in den Insektenatlas oder den Waldzustandsbericht – Hiobsbotschaften, wohin das Auge blickt. Weshalb für Heidenreich der Begriff der Schwammstadt nicht nur dazu dient, das kommunale Wassermanagement neu zu definieren – das Wasser soll vor Ort gehalten und nicht über Kanäle und Bach schnellstmöglich abgeleitet werden, sondern er umschreibt auch die Rettung vom Biosystem.

Das Paradebeispiel ist für ihn hierbei das HÖP-Gelände. Wasser wird in der Stadt gehalten und einer großen Zahl von Lebewesen – Fischen, Insekten oder Vögeln – bietet das Gelände neuen Lebensraum. Und ganz nebenbei hilft es, das urbane Klima zu verbessern und ist ein tolles Naherholungsgebiet für die Menschen.

Das HÖP als wichtiges Biotop. © wühler

Doch das HÖP ist ein Tropfen auf den heißen Stein, auch weil viele Entscheider die ihnen gemachten Vorgaben nicht kennen würden, bedauert Heidenreich und zählt auf: Durch die UN-Biodiversitätskonferenz 2022/23 wurde eine neue globale Vereinbarung für biologische Vielfalt bis 2050, das „Global Biodiversity Framework“ beschlossen, mit dem Ziel, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 weltweit unter Schutz zu stellen.

Anderes Beispiel: Bis 2030 sollen umweltschädliche Pestizide und Düngemittel um 50 Prozent reduziert werden. Kaum einer, der sich daran hält. Vom baden-württembergischen Ziel, den Nettoflächenverbrauch bis 2030 auf Null zu bringen ganz zu schweigen. Immerhin, etwas mehr als sechs Jahre bleiben noch, die Ziele zu erreichen.

Ein weiteres trauriges Kapitel sind die schon seit Ende des vergangenen Jahrhunderts eigentlich verbotenen Schottergärten – keine ordnende Hand die hier eingreift. Stichwort Lichtverschmutzung, ein Dolchstoßthema für viele Tierarten, deren biologischer Kompass durch die permanente nächtlich Illumination aus dem Ruder gerät. Ein Dorn im Auge ist Heidenreich dabei das Gelände von Pferdesport Krämer seitlich des Klärwerks – ohne Grund werde es die ganz Nacht über taghell ausgeleuchtet, ereifert er sich über die bisher erfolglose Versuche, dieser Lichtverschmutzung einen Riegel vorzuschieben.

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Dennoch, der Biologe hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, zumal auch kleine Schritte vor der eigenen Haustür große Wirkung haben können. Jeder kann etwa gegen Lichtverschmutzung tun: LED-Leuchten verbannen, seinen Schottergarten rekultivieren oder mit Hilfe von Zisternen und Fässern Regenwasser zurückhalten.

Und von den Kommunen erhofft er sich eine Hinwendung zur Schwammstadt. Die Gräben im Hockenheimer Rheinbogen müssten wieder dauerhaft Wasser führen, Feuchtgebiet und Moore in dem Gebiet wieder Einzug halten, sodass Libellen, Vögel, ja ganz Vegetationseinheiten wieder eine Lebensgrundlage erhalten.

Die Notwendigkeit für solche Maßnahmen ist für Heidenreich offensichtlich, wie auch für jeden, der diese momentan täglich in den Nachrichten die Folge des Klimawandels drastisch vor Augen geführt bekommt. Doch die Zeichen der Zeit müssten auch in den Rathäusern erkannt werden.

So ist es dem Biologen unvorstellbar, wie in der heutigen Zeit große Bauvorhaben, wie das Altenheim in der Karlsruher Straße, genehmigt werden können, ohne entsprechend Regenrückhaltesysteme. Wasser in der Stadt halten zu wollen sei kein frommer Wunsch, sondern überlebenswichtige Notwendigkeit.

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