Hockenheim. Sich an einer vom Nabu organisierten und vom Biologen Uwe Heidenreich geführten Fahrradexkursion über den Hockenheimer Rheinbogen zu beteiligen, vermittelt dem Teilnehmer zahlreiche spannende Eindrücke. An erster Stelle den, dass es sich bei dem Naturschutzgebiet um eine wunderschöne Landschaft mit zahlreichen Hinguckern handelt. Zum anderen, dass ein Biologe, der für sein Thema brennt, selbst zwei Stunden lang äußerst kurzweilig gestalten kann. Und nicht zuletzt die Erkenntnis – der Rheinbogen ist nicht nur das älteste Natur- und Landschaftsschutzgebiet im Rhein-Neckar-Kreis – es wurde schon 1936 ins Leben gerufen – sondern es ist auch in der Tat sehr groß, wie die Teilnehmer am Ende mehr oder minder ermattet feststellen durften.
Heidenreich steuert mit der Gruppe – für einen werktäglichen Abend ist die Teilnehmerzahl von gut 20 Radlern beachtlich – verschiedene Punkt an, an denen er exemplarisch die Bedeutung des Naturschutzgebietes vor Augen führen kann. Da sich an der Exkursion auch Landwirte und Jäger beteiligen, entwickeln sich interessante Gespräche, die zwischen den einzelnen Stopps vertieft werden – ein radelnder Debattierclub.
Die Weißstörche haben sich wieder fest im Hockenheimer Rheinbogen etabliert
Diese Heterogenität führt eindrucksvoll die Krux vor, mit denen der Natur- und Landschaftsschutz all jene konfrontiert, die sich um ihn kümmern. Beispiel Weißstorch: Auf einem Acker längs der Landstraße nach Speyer, die Gruppe hat gerade die A 61 überquert, verblüfft der Anblick von Störchen. Die Tiere, um deren Wiederansiedlung viele Jahre gerungen wurde, scheinen wieder fest in der hiesigen Natur etabliert, gut 50 von ihnen suchen auf dem Feld nach Nahrung.
Was das Herz der Freunde des Weißstorchs höherschlagen lässt, dem Jäger aber Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Denn wenn die großen Vögel am Ende des Tages satt sind, dann ist der Tisch für die Nachttiere Marder oder Eule eben nicht mehr gedeckt – man kann den Kuchen nur einmal verteilen. Was also tun?
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Die passende Antwort zu finden, fällt dem Biologen schwer, wie sich schon beim ersten Stopp am Kothlachgraben im Gebiet Marlach, kurz hinter der Anlage der Kleintierzüchter, am Hofweg in Richtung Insultheimer Hof, zeigt. Dort lenkt Heidenreich den Blick auf das Indische Springkraut – ein Neophyt – das bis zu 2,50 Meter groß werden kann und als Bienenweide gilt. Was unterstreiche, so der Biologe, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt verändere. Beschleunigt werde dieser Prozess durch den Klimawandel: „Man weiß nicht mehr wirklich, wo vorne und wo hinten ist“, sagt der Biologe.
Junge Bäume haben sich den Begebenheiten im Hardtwald bei Hockenheim angepasst
Als anderes Beispiel führt Uwe Heidenreich den Hardtwald an, in dem die Kiefern absterben, weil sie dem Klimawandel nichts entgegenzusetzen haben. Doch nun werden plötzlich junge Kiefern beobachtet, die wild aus dem Boden wachsen und die sich mit den Gegebenheiten offensichtlich arrangiert haben.
Zurück in die Marlach. Heidenreich weist auf den Kothlachgraben hin, der nach den Regenfällen der vergangenen Tage Wasser führt, der jedoch angesichts der Hitzeperiode wohl bald wieder trockenfallen dürfte. Ein Stück weiter in Richtung Insultheimer Hof merkt ein Teilnehmer an, wirke der Boden schon wieder ausgetrocknet und rissig, trotz des sommerlichen Regens.
Statt dem Hofweg weiter in Richtung Westen zu folgen, biegt der Tross nach dem Bannwald jetzt nach rechts in Richtung Autobahn ab. Hier zeigt der Kothlachgraben beim zweiten Stopp ein anderes Bild, er ist dicht mit Strauchwerk umgeben und präsentiert sich als langgezogenes Biotop, rechts und links von landwirtschaftlichen Flächen umgeben. „Wir leben in einer Kulturlandschaft, ohne die Landwirtschaft geht es nicht“, spricht sich Heidenreich für ein gedeihliches Miteinander von Naturschutz und Ackerbau aus.
Mit Blick auf die Fläche merkt der Biologe an, dass hier der Kiebitz brüte. In diesem Jahr ohne Erfolg: Die Jungtiere hätten nicht überlebt. Im Verdacht hat er Marder oder Fuchs, doch die anwesenden Jäger widersprechen. Der Fuchs sei schon länger kaum mehr in der Feldflur anzutreffen, Krankheiten hätten den Bestand dezimiert, allenfalls noch in den urbanen Gebieten sei er zu beobachten. Und der Marder allein könne es nicht sein, im Verdacht steht bei ihnen eher der Habicht. Dessen Wiederansiedlung sei gelungen, allerdings die Populationsdichte schon wieder so hoch, dass andere Tiere darunter leiden würden.
Weiter geht es über Landstraße und Autobahn hinweg in Richtung Karl-Ludwig-See. Der See hat seinen Namen von Kurfürst Karl Ludwig, dem Vater von Liselotte von der Pfalz, der ihn als Fischzuchtgewässer nutzen ließ. Mit dem Rhein durch den Strang-Graben verbunden und vom Seekanal an den Kraichbach angeschlossen, war für steten Wassernachschub gesorgt und Dämme stellten sicher, dass es aufgestaut blieb. Das herrschaftliche Treiben des kurfürstlichen Hofs – in der Nähe wuchs Liselotte im Seehaus auf – gab dem Gebiet Herrenteich wohl seinen Namen. Im 18. Jahrhundert wurden die Dämme rund um den See zerstört, das Gebiet überschwemmt, später als Weide genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde es mittels eines Grabensystems be- und entwässert und landwirtschaftlich genutzt.
Im Winter wurde dabei Wasser ins Gelände gelenkt, im Frühjahr abgelassen, die Feuchtigkeit diente dem Wachstum der Pflanzen. Mit der aufkommenden Industrialisierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert hatte das Bewässerungssystem ausgedient, die kleinparzelligen Flächen waren für den Maschineneinsatz ungeeignet. Doch die Gräben blieben, dienen dem Hochwasserschutz und noch heute erinnern sich die Älteren an kalte Winter, wenn sie zugefroren waren und es über sie und den Kraichbach mit Schlittschuhen von Reilingen bis an den Rhein ging.
Doch das ist längst Geschichte, so Heidenreich, mit dem Bau der Autobahn kam die Flurbereinigung in den Rheinbogen und mit ihr eine starke Veränderung. Die kleinen Parzellen wichen immer größeren Feldern. Hinzu kommt in der heutigen Zeit, merkt ein Landwirt an, dass immer mehr Betriebe aufgeben, die Anbauflächen der restlichen größer würden. Den Hinweis Heidenreichs, auf der Fläche würden sich Monokulturen breitmachen, ließ der Landwirt nicht gelten, er sprach von zehn bis 15 Kulturen, die hier im Fruchtwechsel angebaut würden.
Über die landwirtschaftliche Flächennutzung entsteht ein akademischer Disput
Ein akademischer Disput, der nichts daran ändert, dass immer mehr Flächen landwirtschaftlich genutzt werden. So auch das abfallende Gelände zum Flugplatz Herrenteich hin. Das unterschiedliche Niveau erklärt sich aus dem Tonabbau im Gebiet, den schon die Römern betrieben und der später die Ziegelei im Herrenteich fütterte. Als der Abbau in den 1930er Jahren endet, entstehen Brachwiesen – „ein Paradies für Ornithologen“, erinnert sich Heidenreich an die Zeit vor der Nutzung.
Am Regenrückhaltebecken gegenüber dem Wehr, an dem sich der Kraichbach aufspaltet, endet die Exkursion. Noch heute ist gut zu sehen, wie sich der alte Kraichbach in seinem Kanal westlich des Flugplatzes Richtung Karl-Ludwig-See erstreckt. Der „neue Kraichbach“ fließt in Richtung Hinter den Bergen, um in Ketsch in den Rhein zu münden.
Für die Teilnehmer zwei kurzweilige Stunden, die ihnen vor Augen führen, wie erhaltenswert der Hockenheimer Rheinbogen ist und wie er auf seiner Fläche von rund 2500 Hektar exemplarisch aufzeigt, wie Naturschutz und Landwirtschaft nebeneinander auskommen. Denn das eine ohne das andere geht in der hiesigen Kulturlandschaft nicht, betont Biologe Uwe Heidenreich abschließend.
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