Auftritt

Kabarettist Mathias Richling in der Stadthalle Hockenheim: Zwischen Genialität und Klamottenkiste

Der 71-Jährige analysiert in "#2024“ noch immer scharfsinnig das politische Geschehen, parodiert in der Hockenheimer Stadthalle aber auch mal an der Aktualität vorbei.

Von 
Matthias H. Werner
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In seiner Karl-Lauterbach-Persiflage unübertroffen: Kabarettist Mathias Richling ist in der Stadthalle auch mit 70 Jahren noch sehr agil. © Lenhardt

Hockenheim. In einigen Tagen wird er 71 Jahre alt – und kann dann auf ein Jahrhundertwerk des Kabaretts und der Komik zurückblicken. Mathias Richling, der seit über 50 Jahren auf der Bühne steht, in den 1980ern als „Dauerfernseher“ nach der „Abendschau“ über den Sessel rutschte und überhaupt lange Zeit große Fernsehprominenz genoss, von der bis heute eine regelmäßige SWR-Sendung übriggeblieben ist, hat fraglos Satiregeschichte geschrieben und sich – gerade bei uns im Süden – einen Ehrenplatz in der Galerie der Ausnahmekabarettisten gesichert.

Dazu trug sein immer sehr eigenständiger Stil bei, in wahrhaftigen Wort-Tsunamis den Finger in Wunden zu legen, die er bisweilen selbst erstmal aufreißen musste, dazwischen einige flotte Parodien zu streuen und gern zuletzt den eigentlichen verblüffenden Erkenntnismoment dem Publikum selbst zu überlassen.

Kabarettist Richling zuletzt mit "Krefelder Krähe" ausgezeichnet

Kein Wunder, dass Richling – von der Kritik durchaus nicht geschont – zuletzt hochausgezeichnet in sein siebtes Jahrzehnt gegangen ist und im vergangenen Jahr mit dem Ehrenpreis der „Krefelder Krähe“ bedacht wurde, womit er sich in die prominente Reihe von Dieter Hildebrandt, Dieter Hallervorden, Dieter Nuhr, Hans Liberg und Dr. Eckhart von Hirschhausen einreiht.

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Wenn er aber am 24. März einen langen Atem brauchen wird, um die Kerzen auf seiner Torte auszublasen, könnte er das auch mit dem Wunsch verbinden, sich selbst treu zu bleiben und nicht im Einerlei zu versinken.

Dass es diesen scharfzüngigen, paradox analysierenden Richling noch gibt, der Wortsalven auf sein Publikum abfeuert und dabei Erhellendes wie Bitterböses in die hochpräzisen Texte fast wie beiläufig einflicht, war bei seinem jüngsten Programm „#2024“, das am Freitagabend in der Hockenheimer Stadthalle über die Bühne ging, noch zu erahnen, ging aber in allzu vielen ollen Kamellen aus der Klamottenkiste phasenweise unter.

Richling parodiert und parodiert

Dass es die Politprominenz, die sein natürliches Hauptziel ist, dem Quasselmeister nicht eben leicht macht, mag das seine beitragen: Charakterköpfe sind im Mainstream-Einerlei der Protagonisten selten geworden. Weshalb eigentlich nur noch die genialen Parodien als Landesvater Winfried Kretschmann oder die unübertroffene Karl-Lauterbach-Persiflage („Fassen sie sich nicht an beim Duschen“) wirklich aktuell sind. Aber muss man dann einen Boris Becker oder eine Angela Merkel zusammenhanglos aus der Versenkung holen?

Wenn es nichts zu parodieren gibt, dann könnte man auch einfach reden über die Damen und Herren des Schreckens – das kann Richling nämlich ausnehmend gut. Gerade seine verbalen Kunstgriffe sind es, die faszinierend Zusammenhänge ans Licht zerren. Wenn wir doch nur 1,8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen beitragen, „warum klebt ihr euch nicht in Peking auf die Straße“, fragt er spitzzüngig die „Klimakleber der Allerletzten Generation“, um Kritik in alle Richtungen zu versprühen.

Kabarett in Hockenheim bringt Dauerjahresrückblick auf die Bühne

Dass man Spaltung so installieren müsse, dass sie als natürlich empfunden wird, kann man wundervoll als Merz-Evergreen aufs Tapet bringen, man muss es ihn nicht selbst sagen lassen, wenn er einfach nicht genug hergibt. Die Politik karikiert sich ausreichend oft selbst – es kommt darauf an, was gesagt wird, selten wie.

Insofern war der neuerliche Rundumschlag im Dauerjahresrückblick-Format in der gewohnt gehetzten Bühnenshow eine Mischung aus grandiosen Gedankenkunststücken, die auf eine ganz natürlich wirkende Weise offenbaren, dass Baerbock gezwungen war, ihren Lebenslauf zu frisieren („sie musste ja was erfinden – sie hatte ja nichts“) und dass Ex-Kanzler Schröder mit seinem Starrsinn in Wirklichkeit Friedenspolitik betreibt („Das Geld, das Putin mir zahlt, kann er schon nicht im Krieg gegen die Ukraine einsetzen“).

Viel Wirkung mit einfachen Mitteln

Mit scheinbar so einfachen Mitteln erzeugt Richling die größten Wirkungen: „Dass der große Willy Brandt jemanden wie Frau Esken als Nachfolgerin hat . . .“ – sagt’s und wartet, dass das Volk sich seinen eigenen Reim darauf macht.

Von hochintelligent prononcierenden Sätzen hat das Programm gestrotzt: „Man muss die Menschheit auch mal verstehen als Naturkatastrophe – wir können nichts gegen uns machen.“ „Ist der Selbstvernichtungswille größer als der Wille zur Selbstverwirklichung?“

Das hätte man sich – wie früher – in Reinform gewünscht und auf Becker und eine inhaltlich grandiose, aber parodietechnisch grottige Lindner-Rede verzichtet. Aber wie sagt der Meister selbst: „Man muss nicht alles verstehen von so einem Abend.“

Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

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