Hockenheim. Sie werden seit Monaten Nacht um Nacht um ihren Schlaf gebracht und sind verzweifelt: die Anwohner in der Ludwig-Grein-Straße. Das berichtete Bürgermeister Georg Jakob-Lichtenberg in der jüngsten Gemeinderatssitzung. Entsprechend häuften sich die Beschwerden über nächtliche Ruhestörungen in diesem Bereich. Ursache des unerträglichen Lärms seien große Personengruppen, die dort nachts Fußball spielen, laut Musik hören, singen, herumschreien und mit Autos driften oder die Motoren aufheulen lassen.
„Wir stellen vermehrt fest, dass Hockenheim ein begehrter Dreh- und Angelpunkt ist für Freizeitaufenthalte“, sagte Jakob-Lichtenberg. Der problematische Teil zu nächtlicher Stunde gehe auf sehr viele Verursacher zurück, die nicht in der Rennstadt wohnen. Das habe sich bei Polizeikontrollen herausgestellt. Betroffen sei vor allem der Ludwig-Grein-Platz, aber auch beim Rewe-Markt gehe es nachts zu munter zu.
Lärmquellen in Hockenheim beschlagnahmen
Aufgrund der Beschweren sei die Ludwig-Grein-Straße in die Schwerpunktüberwachung der Polizei aufgenommen worden, ergänzte Doris Trautmann, Fachbereichsleiterin Bürgerservice. Außerdem habe die Verwaltung einen Sicherheitsdienst beauftragt, der seit April an zwei Abenden in der Woche von 21 bis 3 Uhr vor Ort sei. „Auch unser Streetworker ist regelmäßig unterwegs“, erklärte sie. Inzwischen erreichten das Rathaus ähnliche Beschwerden aus anderen Teilen der Stadt.
Um die Lage in den Griff zu bekommen und den wirklich verzweifelten Anwohnern Rechnung zu tragen, habe die Verwaltung deshalb eine Polizeiverordnung „zum Schutz der nächtlichen Ruhezeiten“ vorbereitet, fuhr der Bürgermeister fort. Diese solle der Polizei als zusätzliche Handhabe dienen. Helfe gutes Zureden nicht, dürften die Beamten ab einer bestimmten Uhrzeit den Ruhestörern unter anderem die Lärmquellen abnehmen, zum Beispiel Fußbälle, Lautsprecher oder Musikinstrumente.
Bußgeld für nächtliche Ruhestörer in Hockenheim bis zu 5000 Euro
Auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigte Fachbereichsleiterin Trautmann, dass dies auch für Autos gilt. „Die Beschlagnahme sollte allerdings stets das allerletzte Mittel sein“, betonte sie. In der Ratssitzung berichtete sie den Mandatsträgern, dass sich an den genannten Plätzen regelmäßig Gruppen von 20 bis 40 Personen treffen, denen die Polizeibeamten wiederholt Platzweise erteilten. Die Betreffenden würden jeweils für diesen einen Abend des Platzes verwiesen, „aber mehr geht halt nicht“. Die Polizeiverordnung ermögliche hingegen längere Aufenthaltsverbote und das Einleiten von Bußgeldverfahren. Die Bußgelder können von 5 bis 5000 Euro reichen.
Mitunter handle es sich um Jugendliche von 15 bis 17 Jahren, aber auch 18- bis 21-Jährige seien dort anzutreffen, sagte Oberbürgermeister Marcus Zeitler. „Ich stelle mir gerade vor, hätte ich mit einem Fußball gegen die Glasscheibe gedonnert und wäre abends nach Hause gekommen, hätte mein Vater mir die Ohren lang gezogen“, überlegte er. Anscheinend interessiere es heutzutage die ein oder anderen Erziehungsberechtigten nicht mehr so, was ihre Jungen und Mädchen spät abends oder nachts draußen treiben. Im vorliegenden Fall habe es bereits mehrere Gesprächsrunden mit den Anwohnern, dem Ordnungsamt und der Polizei gegeben. „Bei dieser Verordnung geht es um eine kleine Handhabe und ein klares Signal“, sagte er.
Polizeiverordnung in Hockenheim gilt für 20 Jahre
Gaby Horn (FWV) hob hervor, dass die Polizeiverordnung nicht nur für den Bereich des Gauß-Gymnasiums und der Ludwig-Grein-Straße umfasst, sondern das Lärm-, Ballspiel- und Musikverbot von 22 bis 6 Uhr für alle öffentlichen Flächen in der gesamten Gemeinde im Umkreis von 50 Metern zu bewohnten Gebäuden gilt. Das bestätigte Bürgermeister Jakob-Lichtenberg und bekräftigte den dringenden Handlungsbedarf: „Uns wurde berichtet, dass die ersten Personen ihre Wohnungen verkauft haben, weil sie das nicht mehr aushalten.“ Es gebe Menschen, die für die Arbeit früh aufstehen müssen und deshalb ihren Nachtschlaf brauchen. „Dann ist es einfach schlecht, wenn ich als Heranwachsender um Mitternacht mit dem Auto da drifte oder Donuts drehe oder hupe “, verdeutlichte er das Problem. „Dem muss man entschieden entgegentreten.“ Dazu erläuterte Oberbürgermeister Zeitler, dass mit Driften gemeint sei, die Reifen quietschen zu lassen. Donuts bezeichneten nicht die leckeren Süßwaren, sondern ein Fahrmanöver. Dabei drehten die Fahrer sich mit dem Auto und machten Kreise – die ,Donuts’ – auf die Straße.
Philipp Kramberg (FDP) wollte wissen, wie lange die Verordnung in Kraft bleibt und wer sie gegebenenfalls wieder aufheben kann. „Sie gilt für 20 Jahre“, antwortete Jakob-Lichtenberg. Vorher aufheben könne sie ausschließlich der Gemeinderat. Doch werde sie nicht gebraucht, sei die Verordnung unschädlich. Davon abgesehen habe jede Große Kreisstadt eine Polizeiverordnung.
Es klinge schön, wenn Leute Fußball spielen. „Ich sage bewusst Leute, weil es auch Erwachsene sind“, meldete sich Markus Fuchs (CDU) zu Wort. „Aber wenn sie einen Lederball nachts so hoch wie möglich schießen und er prall mit voller Wucht herunter, haut Sie das aus dem Bett raus“, schilderte er eine Lärmursache. Vor 22 Uhr könne man als betroffener Anwohner noch rausgehen und mit denjenigen reden, um Mitternacht oder 1 Uhr stehe einem danach eher nicht der Sinn. Dazu kämen Begleiterscheinungen wie überall herumstehende Autos mit offenen Türen, aus denen die Musik schallt, es werde laut geredet. „Das ist extrem höflich ausgedrückt nervig und eine permanente Ruhestörung.“ Ob die Polizeiverordnung am Ende tatsächlich etwas bewirke, bleibe abzuwarten. „Sie ist aber ein guter Ansatz und ich kann sie nur begrüßen.
Hockenheimer und Roudies aus der Region geben Vollgas bis zum Aquadrom
Es werde nicht nur gedriftet, sondern auch enorm oft mit Vollgas durch die Straße gefahren, berief sich Christian Keller (Grüne) auf Anwohnerberichte. Hier sollten ein oder besser zwei Tempo-30-Schilder aufgestellt werden. Ebenfalls problematisch sei, dass die Ruhestörer Gegenstände in den Kraichbach werfen. Vielleicht sei es möglich, für diese jungen Leuten einen Ausweichplatz zu schaffen.
Aylin Kuppinger (SPD) wies darauf hin, dass sich das diskutierte Areal keineswegs auf die Ludwig-Grein-Straße beschränke. Vielmehr ziehe sich das Vollgasfahren mit dem Roller und das Reifenquietschen vom Gauß-Gymnasium bis zur Schule am Kraichbach, teilweise bis ans Aquadrom. Es handele sich zudem um verschiedene Gruppen. Gehe die eine, sei es kurz ruhig, dann komme die nächste. Der Bürgermeister stellte in Aussicht, den Schwerpunkt eventuell entsprechend anzupassen.
Die Rolle des Streetworkers von Hockenheim
Welche Funktion hat der Streetworker der Stadt in diesem Bereich? Hat er auf diese Unruhestifter irgendeinen Einfluss? Das interessierte Adolf Härdle (Grüne). „Wir haben natürlich mit ihm gesprochen und er war bei den meisten Besprechungen dabei“, sagte Jakob-Lichtenberg hierzu. Der Streetworker versuche, auf die unterschiedlichen Gruppen einzuwirken, habe mit ihnen schon alternative Plätze angeschaut und manche bereits an diese anderen Örtlichkeiten gewöhnt. So konzentriere sich nicht alles auf die Ludwig-Grein-Straße, was ein Erfolg sei. „Er versucht also schon, auf die Personen einzuwirken, kann das aber im Wesentlichen nur bei Hockenheimer Jugendlichen. Und viele sind eben von auswärts“, erklärte der Bürgermeister.
Der Streetworker sei nicht zum Maßregeln da, merkte Verwaltungschef Zeitler an. Er fungiere eher als Vermittler, Sprachrohr und vielleicht sogar Sorgentelefon, um die Kommunikation zwischen Rathaus und Straße offen- und aktuell zu halten. Er checke die Lage und vollziehe keine Strafe oder erteile keine Platzverweise. „Darüber hinaus ist er, das wissen viele nicht, Vertrauensperson und zur Verschwiegenheit verpflichtet“, informierte er. Der Streetworker mache seine Arbeit: „Er berät, er empfiehlt und er diskutiert, das ist das Wichtigste.“ Er habe sich für die leidgeplagten Anwohner sogar als Kummertelefon angeboten.
FDP: Übertrieben
„Wir können alle Beschwerden rund um das Thema Gauß-Gymnasium und Ludwig-Grein-Straße verstehen und nehmen sie auch ernst. Mit der Verordnung schießen wir aber mit Kanonen auf Spatzen“, fand Kramberg. Die Gültigkeit auf das gesamte Gemeindegebiet auszuweiten, sei unverhältnismäßig. Singe etwa jemand auf dem Waldfestplatz , hätten Polizeibeamte den Ermessensspielraum, gegen ihn oder sie ein Bußgeld zwischen 5 und 5000 Euro zu verhängen. „Das ist ein Eingriff in die individuelle Freiheit und das werden wir nicht mittragen“, erklärte er.
Seiner Fraktion sei klar, dass so etwas nicht die Absicht der Verordnung sei und es um Lärmbelästigung durch Jugendliche gehe. Vor ein paar Monaten hätten noch alle Parteien um die Stimmen der jungen Leute gekämpft. Jetzt solle der Rat dieses Regelwerk beschließen, das ausgerechnet diese Zielgruppe übermäßig stark belaste und sofortige Strafen ermögliche. „Sollten wir nicht lieber darüber nachdenken, wie wir das Problem – das fehlen adäquater Treffpunkte für Jugendliche – anpacken, anstatt übergriffige Symptombekämpfung zu betreiben?“, fragte er.
Nicht zuletzt müsse die Verordnung umgesetzt werden. Schaue er sich an, wie die Polizei personell aufgestellt sei, bezweifle er, dass sie die Aufgabe erfüllen könne. Für Straftaten gebe es bereits genügend Regeln. „Was wir in Hockenheim brauchen, ist Aufklärung, Prävention, Orte für Jugendliche, an denen sie nicht ungewollt sind“, forderte er. Selbstverständlich müsse das Land außerdem sein Versprechen einlösen und die Polizei endlich personell verstärken, damit Gesetze auch durchgesetzt würden.
Die Polizeiverordnungen allein werde nicht reichen, befürchtete Elke Dörflinger (Grüne Hockenheim)
Dem hielt Christdemokrat Fuchs entgegen, der Liberale solle sich den Lärm mal selbst vor Ort anhören. Die Verordnung ziele zudem nicht auf Jugendliche, sondern auf Personen, die sich nicht an die Ordnung halten können und wollen. Ihnen andere Orte anzubieten, werde nicht helfen, weil „sie bewusst herkommen, um Krach zu machen“. Es sei ein starkes Stück zu behaupten, das sei mit Kanonen auf Spatzen schießen. „Ich möchte betonen, dass in der Verwaltung niemand auf Tiere schießt, weder auf die Haubenlerche noch auf Spatzen“, kommentierte der Oberbürgermeister diesen Aspekt. „Wir sind eine friedliebende Verwaltung.“
Jakob Breunig (SPD) hielt es für sinnvoll, die Verordnung auf die gesamte Gemeinde anzuwenden. Sonst würden die Betreffenden einfach an einen anderen Platz in Hockenheim umziehen, an dem sie nicht gelte. Sein Parteigenosse Richard Zwick verwies auf den allgemein verloren gegangenen Anstand bei den Menschen.
Die Polizeiverordnungen allein werde nicht reichen, befürchtete Elke Dörflinger (Grüne). Daher forderte sie, über weitere Maßnahmen nachzudenken wie Poller und baulichen Lärmschutz. Die nächsten Gespräche seien bereits vereinbart. „Wir fahren auf Sicht und gehen Schritt für Schritt, um die Lage zu beruhigen“, sagte Jakob-Lichtenberg.
Bei zwei Gegenstimmen erließ der Rat letztlich die Verordnung.
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