Hockenheim. Als die 29-jährige Finnin Ida Zetterström am spät gewordenen Sonntagnachmittag ein letztes Mal ihren hochmotorisierten Top Fuel-Dragster starten lässt und sich nach denkwürdigen drei Tagen auf dem Hockenheimring mit einer Fabelzeit von 3,925 Sekunden den Sieg in der Königsklasse der Nitrolympx sichert, hat das etwas Episches für sich.
Newcomerin schlägt bei Nitrolympx in Hockenheim eine Spitzen-Pilotin
Denn einerseits bestätigt die Newcomerin im Dragrace-Sport in ihrer Debut-Saison damit, dass absoluter Wille im Zweifel mehr wert sein kann, als jede Erfahrung – andererseits verweist sie mit Jndia Erbacher eine längst etablierte Spitzen-Pilotin mit 11 Tausendstelsekunden auf Rang 2 – ein Abstand, kürzer als die Dauer eines Wimpernschlags.
Die Metapher fügt sich am Hockenheimring geradezu mustergültig ein in die Geschichte eines Wochenendes, das genau das ist: ein Changieren von Wimpernschlag zu Wimpernschlag. Denn auf eines konnte sich das gesamte Starterfeld in beachtlicher Selbstverständlichkeit verlassen – dass man sich auf nichts verlassen kann. Zumindest, was die äußerst volatilen Witterungsverhältnisse anbetrifft.
Blieb es am Himmel soweit trocken, sorgten Schwüle und massive Luftfeuchtigkeit dafür, dass Spitzenwerte quasi unerreichbar waren. Spendeten die Wolken ergiebiges Nass und wirbelten den Zeitplan kräftig durcheinander, rückten die tapferen Streckenpräparatoren ein ums andere Mal aus, um den Asphalt der legendären Viertelmeile mit Gummi und Kleber wieder auf Leistung zu bringen. Passte beides dann doch einmal zusammen, wollten handverlesene Piloten die Rennfreigabe dann derart begierig mit Ausnahmeleistungen krönen, dass nach entsprechend wilden Ritten doch wieder Öl auf der Strecke blieb oder Begrenzungen instandgesetzt werden mussten.
Der Königsweg dieser drei Tage lautete demnach: Improvisation. Auf die gegebenen Umstände reagieren. Sich und die eigenen Ziele hoch halten. Und vor allem: Die Faszination der eigenen Kunst nicht vom Frust der erzwungenen Geduld relativieren lassen.
Es sind Ziele wie diese, deren Erfüllung dazu beitragen, dass auch und gerade die NitrOlympX 2023 als besonderes Kapitel Renngeschichte zu vermerken sind. Da mögen die Ränge stellenweise bei Weitem nicht voll besetzt sein: Für die Umstände, unter denen sich Fahrer und Zuschauer wiederfinden, wirken Werte wie Anerkennung, Loyalität und Belastungseifer fast schon wie in Stein gemeißelt.
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Es läuft regelrecht wie am Schnürchen bei den Nitrolympx in Hockenheim
Fast schon – so möchte man es glauben – wirken Kräfte dieser Art wie ein ungeschriebenes Gesetz, dessen Erfüllung beidseitig wie garantiert erscheint. Zwar muss es zwischen bulligen Pro Stock-Boliden und den Outlaw-Profis unter den Amateuren zeitweise ebenfalls gehen, als sei nur einen Wimpernschlag Zeit: Die Stunden, in denen alles wie am Schnürchen geht, wollen schließlich ausgenutzt werden. Und die ganz große, weil gänzlich unbekannte Überraschung mag für die Routiniers unter den Fans tatsächlich nicht mehr dabei sein.
Dass die Funny Cars das „Lustige“ zwar im Namen tragen, die Rennen der kunststoffverkleideten Jäger auf vier Reifen aber bitterer Ernst sind, ist den Gästen hier ebenso bekannt wie der Fakt, dass auf Junior Dragbikes bereits heute im Kindes- und Jugendlichenalter auf der Viertelmeile antritt, wer morgen in der Weltelite auf den größten Maschinen voll angreifen will.
Und selbst, wer dieses Spektakel der NitrOlympX noch nie erlebt hat, tankt derart selbstverständlich von der Euphorie all jener, die als Überzeugungstäter die Nähe zur Piste brauchen, dass der Enthusiasmus vor Ort zu keinem Zeitpunkt ernsthaft Schaden nimmt.
Das stimmt vor allem deshalb optimistisch, weil sich so – und nur so – die Besonderheit einer Rennsportkultur vermittelt, die ganz sicher bestialisch laut, ökologisch kritisierbar und im Zweifel garantiert lebensgefährlich daherkommt. Umgekehrt vermitteln die NitrOlympX gerade deswegen, dass die Grenzen menschlicher wie mechanischer Möglichkeiten nicht nur vermessen, sondern auch immer wieder überschritten werden können.
Mercedes warb einst einmal mit dem Spruch „Das Beste oder Nichts“ – es sind Worte, die treffender für dieses Dragrace-Feuerwerk nicht stehen könnte. Eine Botschaft, die sich auch in diesem Jahr einmal mehr vermittelte – unerwartet, einzigartig und ganz am Ende sogar: triumphal.
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