Hockenheimring

Was erlebt man im Rennsimulator im Hockenheimer Welcome Center?

Der neue Rennsimulator im Welcome Center am Hockenheimring ist weltweit einmalig und birgt grenzenloses Potenzial – wir haben das High-End-Gerät ausprobiert.

Von 
Nicolai Lehnort
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Den grünen Pfeilen folgen: Nicolai Lehnort bemüht sich beim Selbstversuch im Rennsimulator im Welcome Center am Hockenheimring, die Ideallinie einzuhalten. © Stäcker

Hockenheim. „Wer würde sich nicht gerne wie ein Rennfahrer fühlen“, lautete die Frage der beiden Geschäftsführer der Hockenheim-Ring GmbH, Jorn Teske und Jochen Nerpel, in der Pressemitteilung zum neuen Premium-Rennsimulator am Hockenheimring. Gesagt, getan – so mein Gedanke. Zeit, das hochmoderne Gerät im Welcome Center mal aus der Nähe unter die Lupe zu nehmen und zu testen.

Wer durch die Eingangstür unterhalb der Haupttribüne schreitet, sieht den Simulator gleich linker Hand. Erster Eindruck: stattlich. Der Rennsimulator mit dem Namen „miRide“ besteht aus der Hälfte eines roten Formelauto-Chassis – es ist hinter dem Fahrer abgeschnitten – das auf einer sechsachsigen Hydraulik auf einer Plattform montiert ist. Die Nase, übrigens ohne Frontflügel, reicht in einen rund 4,5 Meter hohen und breiten Kuppelbildschirm, der aus über 1600 einzigartigen und gecurvten Mini-LED-Panels besteht, wie Matthias Scheffler erklärt.

Firma aus Taiwan brachte den Rennsimulator nach Hockenheim

Scheffler ist am Ring für alles verantwortlich, das mit IT und Technologie zu tun hat. Er ist sowohl Projektleiter des Welcome Centers als auch der Zusammenarbeit mit Brogent Technologies, der Firma, die den Simulator in die Rennstadt brachte.

Das Lenkrad auf dem Chassis, Griffe als Einstiegshilfe: Der Simulator soll Rennsportfeeling vermitteln. © Nicolai Lehnort

Der Erstkontakt mit der taiwanesischen Firma, die sonst für Überflugsimulatoren in Vergnügungsparks verantwortlich zeichnet, hatte vor über zwei Jahren stattgefunden. Gemeinsam mit dem laut Scheffler motorsportbegeisterten Chef von Brogent wollte man die Rennstrecke erlebbar machen. Ein zwölfköpfiges Ingenieurteam wurde für den Aufbau extra für zwei Wochen eingeflogen.

Rennsimulator seit 2023 im Welcome Center in Hockenheim

Im November 2022 war die Weltneuheit erstmals auf einer Ausstellung im US-amerikanischen Orlando präsentiert worden. Jetzt steht der erste und einzige Rennsimulator dieser Art seit August 2023 in Hockenheim. Wobei: Ein zweites Exemplar existiert schon – allerdings in den Werkshallen von Brogent in Taiwan, fügt Scheffler hinzu. Für die Öffentlichkeit zugänglich ist seit der Eröffnung des Centers im Oktober weltweit allerdings nur das am Hockenheimring. Genau beziffern lässt sich der Preis des „miRide“ wegen seines Prototypstatus nicht. Scheffler zufolge ist es in der jetzigen Form aber ungefähr eine Million Euro wert.

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Ziel des Simulators sei es, einen Eindruck zu bekommen, „wie es ist, als Rennfahrer über den Ring zu fahren“, sagt Scheffler. Um die Piste auf den Kuppelbildschirm zu bekommen, werde sie mindestens einmal jährlich umfassend von Fahrzeugen abgefahren, die 3D-Aufnahmen anfertigen. Dabei werden selbst kleinste Details wie die Unebenheiten der blau-weißen Streckenbegrenzungen, im Rennsport englisch Kerbs genannt, oder Reifenspuren auf dem Asphalt aufgezeichnet. Das alles mache sich auch in der Simulation bemerkbar, erzählt Scheffler. „Sie haben einen Eindruck, wie es einem Rennfahrer tatsächlich geht.“

Test startet: Das kann der Hockenheimer Rennsimulator

Genug der Worte und Erklärungen – probieren wir das Ganze am eigenen Leib aus. Bevor die Ampeln für das Chassis mit der Startnummer 1 auf Grün schalten, erkundigt sich Ivonne Stäcker, Mitarbeiterin im Welcome Center, nach meinem Wohlbefinden. Kopfschmerzen oder Erschöpfung verspüre ich keine, es kann losgehen.

Erste Hürde ist der Einstieg – gemütlich ist anders. Wie man es von den Boliden kennt, muss das Lenkrad abgenommen werden. Es ist einem Original nachempfunden, die darauf befindlichen Knöpfe dienen aber lediglich der Dekoration. Einzig die aktuelle Geschwindigkeit und die Rundenzeit auf dem Display entsprechen der virtuellen Fahrt.

Im Cockpit geht es eng zu. Der Fahrersitz ist nur durch eine dünne Stoffauflage gepolstert. Die Beine werden vertikal nach vorne zu den Pedalen gestreckt. Für meine Körpergröße müssen sie bereits auf die maximale Entfernung eingestellt werden. Je nach Proportionen wird es ab 1,90 Metern schwierig, größer als zwei Meter dürfen die Fahrer nicht sein. Ivonne Stäcker wählt unter den 16 verfügbaren Rennwagen – darunter neben historischen auch den Formel-1-Wagen nachempfundene – einen Audi R18 für mich aus. Ich starte in der Variante „Mild“. Der Modus „Thrill“ würde ein noch realistischeres, aber auch deutlich schwierigeres Fahrerlebnis bieten. Große Erfahrung mit Rennsimulationen habe ich aber nicht.

Virtuell steige ich in den Sportwagen, vor mir sehe ich die Start- und Zielgerade der fast 4,6 Kilometer langen Grand-Prix-Strecke auf die Kuppel projiziert. Die Ampeln schalten auf Grün. Man würde in den Dome hineingezogen werden, hatte Matthias Scheffler angekündigt, es sei wie beim Tragen einer 3D-Brille. Außer dem Bildschirm nehme ich tatsächlich nichts in meiner Umgebung wahr. Es fühlt sich an wie in einem 4D-Kino: Trete ich aufs Gas, spüre ich den Fahrtwind aus dem Luftgebläse im Gesicht. Motorengeräusche sind aus allen Richtungen wahrzunehmen. Ein starker Tritt auf das schwergängige Bremspedal neigt die Nase des Chassis gen Boden. In den Kurven herrschen leichte Fliehkräfte.

Der SZ-Reporter landet bei der Fahrt mit dem Rennsimulator im Grünstreifen

Allzu stark werden diese bei mir nicht. Vielmehr gilt es, die auf dem Asphalt vorgegebene Ideallinie einzuhalten. Ist sie Gelb eingefärbt: vom Gas gehen. Bei Rot: bremsen. Ein Ausflug über die Kerbs hinaus auf den Grünstreifen bleibt mir trotzdem nicht erspart. Es ruckelt ordentlich. Sogar den Rückwärtsgang muss ich in Anspruch nehmen. Es ist das einzige Mal, dass die kleinen Schalthebel hinten am Lenkrad gebraucht werden, denn manuell schalten muss man in der Simulation nicht. Der Ring erstrahlt auf meiner Fahrt in all seinen Facetten: Es geht vorbei an Osttribüne und Sachskurve, neben der Rennstrecke sind Fahrzeuge und Kräne vor satt grünen Bäumen zu sehen.

Einmal wie ein Rennfahrer fühlen: Die Perspektive aus dem Formel-Chassis im Simulator. © Nicolai Lehnort

Trotz gemäßigten Fahrstils überkommt mich nach kurzer Zeit ein unwohles Gefühl – Magen und Kopf machen sich bemerkbar. Im Vorfeld wurde ich auf den roten Notausknopf mit der „Stop“-Aufschrift im Cockpit hingewiesen, jetzt muss ich tatsächlich Gebrauch davon machen. Mein Selbstversuch endet deutlich früher als geplant. Ich krabbel aus dem Wagen heraus – was das Aussteigen am besten beschreibt. Über Rundenzeiten verlieren wir lieber keine Worte. Sonderlich oft käme das nicht vor, erzählt Ivonne Stäcker, während ich draußen etwas frische Luft schnappe. Aber einigen wenigen sei das schon passiert. Ein Redakteurskollege hatte mich schon vorgewarnt.

„Der Simulator kann noch mehr“, verrät Projektleiter Scheffler. Zukünftig soll er etwa für E-Sports genutzt werden. Scheffler arbeitet mit dem Münchner Entwicklerstudio Competition Company zusammen, aus dessen Feder die Motorsportsimulation „Rennsport“ stammt, die in diesem Jahr veröffentlicht wird. Schon vor dem Release soll der Hockenheimring im Videospiel im Simulator befahren werden können. „Wir wollen die virtuelle Spielerwelt auf den Hockenheimring holen“, peilt Scheffler eine neue Zielgruppe an. Über den Simulator, der ja noch eine Art Testballon und in ständiger Entwicklung ist, sollen bald auch E-Sports-Wettbewerbe ausgetragen werden.

Die Expertise von Profi-Rennfahrern hilft beim Verbessern des Simulators

Auch professionelle Rennfahrer könnten im Simulator ihre Runden drehen. Schon jetzt zählen sie bei virtuellen Rennspielen zu guten Kunden. Dafür würden technische Helferlein deaktiviert, das Erlebnis noch anspruchsvoller und realer. Bereits jetzt setze man bei der Weiterentwicklung auf die Expertise von Rennfahrern, um die Abstimmung zu optimieren.

Im Hockenheimer Formel-Chassis verschwimmen Simulation und Realität schon heute zu einem Erlebnis für alle Sinne. Wohin das in Zukunft führt, wird die Zeit zeigen. Denn wozu das High-End-Gerät wirklich fähig ist, scheint selbst Matthias Scheffler noch nicht genau abschätzen zu können. Unzählige Ideen hat der Technikchef allemal.

Volontariat Nicolai Lehnort ist seit Juli 2023 Volontär.

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