Hockenheim. In den bisherigen Darstellungen der Hockenheimer Motorsportgeschichte wurde das Geschehen während des Dritten Reichs als weitestgehend unpolitisch dargestellt. Und so wurde sie auch von den allermeisten Zeitgenossen wahrgenommen. Faschistische Symbole wie Hakenkreuzbinden und Verhaltensweisen wie das Singen des „Horst-Wessel-Lieds“ und das Brüllen von dreifachen „Heil-Hitler“-Rufen bei Massenveranstaltungen wurden nicht als dezidiert politisch und als überbordende Propaganda wahrgenommen, sondern sie waren Teil des Alltags. Die nationalsozialistischen Verantwortlichen merkten schnell, dass ein Übermaß an ideologischer Indoktrination bei vielen Bürgern auf Ablehnung stieß. Es erwies sich als viel effektiver, Unterhaltungsangebote zu bedienen und diese subtil mit Propaganda aufzuladen.
Nationalsozialistische Veranstaltungen hatten einen hohen Unterhaltungswert. Die Inszenierungen lebten vom Erlebnischarakter und hinterließen einen nachhaltigen Eindruck bei der Bevölkerung. Ein großer Anteil der Menschen sympathisierte unabhängig von der nationalsozialistischen Ideologie mit dem Regime eben wegen solcher Spektakel.
Hakenkreuz und Uniform: NS-Symbolik war auf dem Hockenheimring omnipräsent
Eine strikte Trennung zwischen der Art der Veranstaltung und ihrer ideologischen Aufladung gab es nicht. Auch wenn das ideologisch-propagandistische Wesen nicht auf den ersten Blick erkennbar war, ist es dennoch vorhanden, besonders da viele Veranstaltungen eben nicht politisch wirken sollten. Politische Symbole wie das Hakenkreuz, uniformierte Angehörige von Parteiorganisationen und militärische Rituale waren omnipräsent und alltäglich. Eine besondere politische Aufladung erfuhren diese Aspekte seitens der Bevölkerung nicht.
Ein ästhetisches Erlebnis sollten auch die Besucher der Hockenheimer Rennstrecke haben. Vor Rennen wurde in der lokalen Presse dazu aufgerufen, dass die Einwohner ihrer „Ehrenpflicht“, der Beflaggung ihrer Wohnhäuser, nachkommen sollten. Der Schwerpunkt lag besonders auf den Zufahrtsstraßen zur Rennstrecke (Hockenheimer Zeitung vom 5. Mai 1933). Einwände werden bereits in der Annonce durch Lösungsvorschläge entkräftigt. Falls jemand keine Flagge besitze, solle er sich eine leihen „bei einem guten Freund, der in einer der nicht vom Verkehr berührten Seitenstraßen wohnt“. Eine Aufforderung zum Kauf gibt es nicht.
Auf die Anweisung „Flaggen heraus“ folgt „Blumen heraus! – wie am 1. Mai!“ (Hockenheimer Zeitung vom 5. Mai 1933). Die Bezugnahme auf einen genuin politischen Feiertag des linken Spektrums, der von den Nationalsozialisten übernommen und instrumentalisiert wurde, ist ein Hinweis auf die ästhetische Dimension politischer Veranstaltungen und deren Integrationsangebot für jene, die wenig Interesse an Politik zeigten, und für die, die skeptisch dem Regime gegenüber waren.
Vorgehen nach Nazi-Propaganda: Das Individuum hat keine Entscheidungsgewalt
„Hockenheim muss heute und morgen im Festkleide prangen! Nur dann werden die Fremden gerne bei uns weilen!“ (Hockenheimer Zeitung vom 20. Mai 1933) Die Personifizierung der Stadt ist Ausdruck eines kollektiven Verständnisses aller Einwohner. Nicht das Individuum ist entscheidend, sondern die Gemeinschaft. Eine Assoziation an den durch nationalsozialistische Propaganda beschworenen „Volkskörper” liegt durch die Personifizierung und Vermenschlichung Hockenheims besonders nahe.
Auffällig ist zudem, dass die Zufriedenheit der Gäste von der Beflaggung und dem Schmuck abhängig sei und nicht etwa von den Rennen selbst, der Verpflegung oder der An- und Abreise. Darauf haben die Mehrheit der Bürger keinen Einfluss, sie werden trotzdem für etwas vermeintlich Banales in Verantwortung genommen. Die Aufgabe ist leicht umsetzbar und vermittelt allen Bürgern das Gefühl, dass sie zum Erfolg beigetragen haben. Dies wiederum stärkt die Verbundenheit zur Rennstrecke und zur Heimatstadt (Hockenheimer Zeitung vom 20. Mai 1933).
Im Nachbericht wird die Beflaggung euphorisch gelobt: „Überall in den Straßen sah man ein riesiges Flaggenmeer von Fahnen und Girlanden. Den Vogel schoss natürlich die Heidelberger Straße als Zufahrtsweg ab; kein Haus ohne einen Schmuck […]. Die Einfahrt zur Rennbahn machte jedenfalls auf die Tausenden einen imposanten und nachhaltigen Eindruck“ (Hockenheimer Zeitung vom 22. Mai 1933).
Schwarz-weiß-rot mit Hakenkreuz: Nazis beschwörten Flagge als Symbol einer neuen Zeit
Die politische Dimension der Beflaggung wird im weiteren Bericht explizit hervorgehoben, indem auf Unterschiede zwischen den Rennen 1932 und 1933 hingewiesen wird. Auch 1932 bediente man sich der ästhetischen Wirkung von Flaggen, doch dominierten damals die „gelb-rot-gelbe“ (badische) und die „schwarz rot-gelbe“ Fahne. 1933 änderte sich das Gesamtbild deutlich: „Schwarz-weiß-rot und das Hakenkreuz, die Symbole der neuen Zeit herrschten vor.“ (Hockenheimer Zeitung vom 22. Mai 1933) Das Hissen der Flagge war immer ein Bekenntnis zum jeweiligen Regierungssystem.
Der Frage nach der „richtigen“ Flagge wurde eine große Bedeutung beigemessen. Ein Journalist des „Hakenkreuzbanners“ moniert, dass beim Begrüßungsabend im Saal der Gaststätte „Zur Rose“ keine Hakenkreuzfahne, sondern lediglich eine „Schwarz-weiß-rote Fahne mit einem kleinen Hakenkreuz“ sichtbar war. Im „Erlass des Reichspräsidenten über vorläufige Regelung der Flaggenhissung vom 12. März 1933“ wird angeordnet, dass die „schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzflagge gemeinsam zu hissen sind.“ Erst mit dem „Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935“ wurde offiziell festgelegt, dass einzig die Hakenkreuzflagge Reichs- und Nationalflagge sei.
Das Flaggenzeremoniell auf der Rennstrecke glich einem militärischen Appell: Es gab eine Ehrenformation, bestehend aus einem „Ehrensturm“ des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, einer Abteilung der Gendarmerie und dem lokalen Blasorchester. Unter den Klängen des Präsentiermarsches wurde die Front abgeschritten. Die Gestaltung der durchchoreographierten Eröffnungszeremonie sowie die Streckensicherung erfolgte durch Uniformierte. Dies war ebenso ein signifikanter Beitrag zur ästhetischen Kulisse.
Ganz Hockenheim wurde beim Nazi-Besuch auf Vordermann gebracht
Neben der Beflaggung wurde auch das allgemeine Erscheinungsbild der Stadt mehrmals in der Lokalzeitung thematisiert. Beim Einbringen der Ernte wurden die Straßen verschmutzt und die Anwohner reinigten sie laut Annoncen der Stadtverwaltung nicht oder nicht ausreichend. Besonders an Tagen mit erhöhtem Gästeaufkommen sollten die Straßen frei von Erde und Ernte sein, heißt es. Es wird nochmals betont, dass auch am Sonntagvormittag Dreck beseitigt werden sollte („Hakenkreuzbanner vom 30. Juli 1936). An dieser Episode wird der ländliche Charakter der Kleinstadt deutlich, die zu diesem Zeitpunkt knapp unter 10 000 Einwohner zählte, von denen die Mehrzahl in der Landwirtschaft arbeiteten.
Ein weiterer ästhetischer Eindruck war selbstverständlich der Motorsport selbst: Das Dröhnen der lauten Motoren, der Geruch von Benzin und Gummi, das Design der Rennmaschinen, die Schemen der vorbeirasenden Motorradfahrer und die Jagd nach Rekorden.
Nationalsozialistische Versammlungen waren in den meisten Fällen sicherlich nicht asketisch und enthaltsam, wie die Presseberichterstattung es vermittelte. Bei Reichsparteitagen in Nürnberg gab es neben dem offiziellen Programm auf dem Zeppelinfeld Unterhaltung inklusive über-mäßigen Alkoholkonsums, Rangeleien und Singen anzüglicher Lieder.
Brezel, Obst, Bier: Rennveranstaltungen zur NS-Zeit mit Volksfest-Stimmung
Auch bei Rennsportveranstaltungen gab es ein umfangreiches gastronomisches Angebot, das für Volksfeststimmung sorgte. Anhand der Gebührenliste für die Standbetreiber lässt sich ein Überblick gewinnen: Von Brezeln, Eis, Obst, Wurst über Postkarten eines lokalen Fotografen bis hin zu Zuckerwaren wurde alles angeboten. Selbstverständlich dürfen die Bierausschankstellen nicht vergessen werden.
Zum Autor: Moritz Mildenberger
Moritz Mildenberger wurde 1996 in Speyer geboren. Nach dem Abitur und dem Freiwilligen Wehrdienst beim Musikkorps der Bundeswehr in Siegburg studierte er Geschichte und Klassische Philologie an der Universität Heidelberg.
Während seines Studiums war er als Tutor und als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Zeitgeschichte tätig. Sein Masterstudium schloss er Anfang des Jahres ab und begann sein Referendariat an einem Mannheimer Gymnasium.
Mildenberger ist aktives Mitglied in der Stadtkapelle und im Fanfarenzug, bei dem er das Amt des Schriftführers und Pressebeauftragten ausübt. Außerdem ist er Beisitzer im Vorstand der CDU Hockenheim. red
Vor dem zweiten Rennen auf dem Hockenheimring im Mai 1933 wurden in einem Zeitungsartikel rückblickend Fehler und Versäumnisse der Rennpremiere thematisiert. Ein Punkt, der für erhitzte Gemüter gesorgt haben muss, waren die in der Wahrnehmung der Zuschauer zu hohen Bierpreise und zu großen Bierflaschen – es wurden nur Einliterflaschen verkauft. Für das Mairennen 1933 wurden sowohl eine Senkung der Preise als auch andere Getränkegrößen verkündet (Hockenheimer Zeitung vom 21. Mai 1933).
Zudem gab es öffentlichkeitswirksame Aktionen: Die Hockenheimer Zeitung titelte am 24. August 1933: „Ein Motorrad fällt vom Himmel.“ Am Donnerstagabend vor dem Rennsonntag flog ein Flugzeug mit der Aufschrift „Motorradrennen, Hockenheim“ über die Kleinstadt und warf nummerierte Gutscheine ab, mit denen man grundsätzlich ein fabrikneues Motorrad gewinnen konnte. Damit ein Coupon bei der Verlosung berücksichtigt wurde, mussten die Finder 20 Pfennig zahlen. Zusätzlich galt dies alles nur für Ticketinhaber (Hockenheimer Zeitung und „Hakenkreuzbanner“ vom 24. August 1933). Dennoch werden Überflug und Gewinnspiel sicherlich Vorfreude auf das Rennen bewirkt haben.
Falsche Tickets: Auch Betrüger waren bei den NS-Rennen am Hockenheimring dabei
Die abgeworfenen kostenlosen Coupons wurden in der Zähringerstraße (in Bahnhofsnähe) von Unbekannten an unwissende Besucher für 70 Pfennig pro „Eintrittskarte“ verkauft. Die Einnahmen der Betrüger wurden auf 50 bis 70 Reichsmark geschätzt, ergo zwischen 71 und 100 falsche Tickets. Die Organisatoren kamen den Betroffenen entgegen und erließen ihnen 20 Pfennig beim Kauf der gültigen Karten. Täter konnten keine ermittelt werden („Hakenkreuzbanner“ vom 30. August 1933).
Die Werbeaktion wurde 1934 wiederholt. Das Flugzeug flog dieses Mal am Samstag eine Woche vor dem Rennen (21. Juli) über alle Städte und Gemeinden im Umkreis von 75 Kilometer. Das Prozedere bei der Einlösung der 100 000 Coupons blieb dasselbe. Im Artikel wird hervorgehoben, dass ein „armer Bauernjunge“ im Vorjahr das Motorrad gewann („Hakenkreuzbanner“ vom 19. Juli 1934). Dies mag die Hoffnungen derjenigen gesteigert haben, die sich finanziell kein Fahrzeug leisten konnten und den Anschein von sozialer Gerechtigkeit erweckt haben.
Die vielfältigen ästhetischen Erfahrungen, die die Anwesenden durch das Fahnenmeer, die Uniformen, die Volksfeststimmung und den Motorsportbetrieb selbst machten, trugen letztlich maßgeblich dazu bei, dass sich das NS-Regime bei einem großen Teil der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreute. Die Konsolidierung der nationalsozialistischen Herrschaft erfolgte daher eben nicht nur über ideologische Indoktrination durch antisemitische Parolen und ähnlichem, sondern subtiler durch die Nutzung von Populärkultur.
Hockenheimring zur NS-Zeit: Auch Nazi-Prominenz kam regelmäßig zu den Rennen
Dazu zählt auch die Präsenz politischer Prominenz, die immer wieder in Presseberichten erwähnt wird. „Die badische Staatsregierung hat ihr besonderes Interesse dadurch bekundet, dass Reichsstatthalter Robert Wagner die Schirmherrschaft übernommen hat, und auch im Ehrenausschuss die prominentesten Mitglieder der badischen Regierung vertreten sind.“ (Hockenheimer Zeitung vom 23. August 1933). Die „badische Regierung der nationalen Revolution gegenüber den Größen nach 1918 vom Volke kommend“ besuchte auch im Mai 1933 die Rennen, „um an seinen Freuden als Volksgenosse teilzunehmen“ („Hakenkreuzbanner“ vom 22. Mai 1933).
Stammgäste waren der Gauleiter Robert Wagner und Ministerpräsident Walter Köhler. Auch wenn die NS-Spitze in Berlin großes Interesse für den Motorsport hegte, lag ihr Schwerpunkt auf Automobilen. In den ersten Monaten nach der „Machtergreifung“ bewarben hohe Staatsrepräsentanten wie Hermann Göring die nationalsozialistische Motorisierungsagenda. Mit der Etablierung der Macht nahmen diese Besuche im Laufe der Zeit ab, da sich die Führungsriege ihrer Popularität sicher war.
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