Hockenheim. Karyna mit ihrem kleinen Sohn Ruslan, Raisa, Dmytro, Veronika, Khrystyna, Valentyna und Valeri sind kurz vorm Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine im Büro des Integrationsbeauftragten Konrad Sommer zusammengekommen, um im Pressegespräch ihre Gedanken zu diesem bedrückenden Anlass zu schildern.
Dmytro macht den Anfang. Er hat als Busfahrer gearbeitet, war zwischen der Krim und der Ukraine unterwegs, seine Frau Veronika hat in Simferopol Medizin studiert. Mit ihren beiden Kindern sind sie am 12. März nach Deutschland gekommen. Dmytro hat gleich bei der Firma Altenberger in Vollzeit zu arbeiten begonnen als Hilfskraft.
Inzwischen macht er einen Integrationskurs und hat nebenbei einen Minijob: „Ich möchte nicht von Unterstützung abhängig sein“, sagt er. Er ist sehr froh, dass Deutschland ihn aufgenommen hat, ihr Vermieter Konrad verdiene eine Urkunde, sagt er lächelnd. Die Familie besucht gerne die Veranstaltungen in Hockenheim, kirchlich, kulturell und kürzlich beim Karneval. Dmytro und Veronika würden gerne in Deutschland bleiben und sich hier integrieren, sie möchte gerne ihr Studium wieder aufnehmen und als Ärztin arbeiten.
Ein Jahr Ukraine-Krieg – Geflüchtete in Hockenheim berichten: „Wir waren im Keller und beteten“
Bei Karyna und ihrer Familie kam der Krieg sofort an: Sie lebten in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine nahe der russischen Grenze. „Wir waren mit unseren Kindern im Keller, hörten die Einschläge der Raketen und haben gebetet, weil wir nicht wussten, ob wir den nächsten Tag erleben, das Haus über uns zerstört ist.“
In panischer Angst seien sie mit dem Auto aus der Stadt herausgefahren, hatten sich nur 15 Minuten Zeit genommen, um das Nötigste zu packen. Erst, als sie weit aus der Stadt heraus waren, habe sie wieder durchatmen können. „Es war wie eine zweite Realität – die Leute haben dort ihre Hunde ausgeführt, als wäre nichts passiert.“
Nach knapp drei Wochen in der Zentralukraine gab es auch dort Alarm. „Ich habe das nicht mehr ausgehalten, meine Nerven waren kaputt“, sodass sie sich auf eine dreitägige anstrengende Zugreise nach Deutschland aufmachte. Sie ist sehr glücklich über die große Hilfe, die sie schon an der Grenze erfahren habe. Sie kamen direkt nach Hockenheim, eine Familie hat sie mit ihren beiden Hunden aufgenommen. Seit sieben Monaten wohnen sie jetzt bei ihr, wurden selbst Teil ihrer Familie. „Wir werden auch für sie immer eine offene Tür haben.“
Ein Jahr Ukraine-Krieg – Geflüchtete in Hockenheim berichten: Deutschland sicherer für die Kinder
Karyna hat in der Schule in der Ukraine Deutsch gelernt und kann sich gut ausdrücken. „Ich liebe meine Stadt und mein Land sehr, aber ich muss auch an mein Kind denken, sagt sie im Hinblick auf ihre Zukunft.“ Sie hoffe, es gibt eine Möglichkeit, hierzubleiben, weil es sicherer ist für die Kinder. Es sei viel zerstört worden, der Wiederaufbau werde Jahre dauern und keiner könne sagen, wie viele Minen irgendwo liegen. Gleichwohl sei ein Teil ihrer Familie in der Ukraine geblieben.
Khrystyna hat in Kiew gelebt. Als ihre Mutter sie beim Kriegsbeginn morgens weckte, habe sie gesagt „Ich schlaf noch ein bisschen.“ Ihr Vater blieb ruhig und meinte, „alles wird gut, das sitzen wir aus.“ Dann lebten sie drei Tage im Bunker, hörten die Granateinschläge. „Es war sehr kalt und staubig, viele sind krank geworden“, berichtet Khrystyna.
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Sie wollte trotzdem nicht weg, dann erfuhr sie von Plünderungen und Vergewaltigungen, sie erfuhr per Whatsapp, dass jemand versucht habe, in ihre Wohnung einzubrechen, also machte sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg mit Zug und Bus. Sechs Tage waren sie unterwegs, teilweise gab es keine Tickets. Sie kamen bei Verwandten unter, ein Teil der Familie lebt seit 20 Jahren hier.
Ein Jahr Ukraine-Krieg – Geflüchtete in Hockenheim berichten: Weder hier noch dort zu Hause
Khrystynas Mutter ging im Mai 2022 wieder zurück in die Ukraine. Sie selbst hatte gehofft, nach zwei Wochen in Deutschland wieder heimkehren zu können. Inzwischen hat sie sich in Hockenheim eingelebt, engagiert sich ehrenamtlich beim DRK, gibt Tanzkurse in Hip Hop und Zumba. Sie müsse sich eingestehen, dass es in der Ukraine nach dem Krieg nicht mehr so sein werde wie vorher, möglicherweise gebe es auch Anfeindungen gegen die, die zwischendurch weggegangen sind. „Hier ist nicht mein zu Hause, aber dort auch nicht mehr“, sagt sie nachdenklich.
Für Valentyna hat der Krieg schon vor neun Jahren begonnen. Sie lebte in Hirnyk, rund 30 Kilometer von Donezk und floh 2014 vor Bomben und Raketen in eine ländliche Gegend weiter westlich. Als der Krieg näher rückte, zog sie mit ihren beiden Kindern in die Region Kiew, etwa 70 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, wo ihre Mutter und ihr Stiefvater eine Wohnung gekauft hatten. Am Morgen des Kriegsausbruchs stand Valentyna an der Bushaltestelle, um zur Arbeit nach Kiew zu fahren, als sie die ersten Einschläge in der Ferne hörte.
Im Jahr zuvor hatte sie Valeri kennengelernt, der in Kasachstan geboren wurde, als Kleinkind mit seiner Familie nach Deutschland kam und seit vielen Jahren in Hockenheim lebt. Zwei Tage nach Kriegsausbruch packten die beiden kurzentschlossen das Nötigste, schnappten die Kinder und brachen mit dem Auto Richtung Hockenheim auf – obwohl es kein Benzin mehr gab. In einem Reisebus an der Bundesstraße fanden sie noch Stehplätze bis zur polnischen Grenze. Valeris Bruder hat sie in Lublin abgeholt, 16 Stunden dauerte es bis nach Hockenheim.
Jetzt leben sechs Personen und ein Hund in Valeris früherem Singlehaushalt, nachdem Mutter und Stiefvater auch nachkamen. Die beiden arbeiten als Produktionshelfer in Mannheim. Valentyna besucht einen Integrationskurs in Schwetzingen. Sie versuchen, eine Normalität zu schaffen – vor allem für die Kinder. Und wie alle anderen das Beste aus ihrer Situation zu machen.
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