Ketscher Geschichte(n)

Binnenschiffer-Familie Bier in Ketsch: Sohn Bernhard bringt Licht ins Dunkel

„Wer erinnert sich an Josef und Margaretha Bier?“, fragten wir an dieser Stelle Ende Oktober. Denn Bertrand Bier, der Sohn der beiden, hatte sich auf die besondere Suche begeben. Nun gibt es neue Infos.

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Marco Brückl
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Die „Angelo“, die am Kriegsende nahe Ketsch zwangshavarierte, ist hier 1950 bei Nancy zu sehen. © privat

Ketsch. „Wer erinnert sich an Josef und Margaretha Bier?“ fragten wir an dieser Stelle Ende Oktober (Ausgabe 27. Oktober). Denn Bertrand Bier, der Sohn der beiden, hatte sich auf die besondere Suche begeben und wollte den Geschehnissen rund um seine Eltern, die sie als Binnenschiffer nahe Ketsch erlebt hatten, mehr Licht geben: Wo kamen seine Eltern in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges unter, nachdem sie das eigene Schiff, die „Angelo“, gleichsam Lebensgrundlage und Wohnung, auf Geheiß der Wehrmacht versenken mussten, wollte der Binnenschiffer-Sohn, der sich selbst für den Beruf entschieden hat, unter anderem wissen?

An Dieter Rey, Vorsitzender des Heimat- und Kulturkreises, hatte sich Bertrand Bier freilich längst gewandt, um Informationen über die Geschichte seiner Eltern Margaretha Susanna und Josef Bier und deren beschwerliche Tage in der Enderlegemeinde zu erlangen. Die „Angelo“ lag am rechten Rheinufer bei Flußkilometer 406 etwa 300 Meter oberhalb der Ketscher Rheininsel vor Anker – und zwangshavarierte auch dort, wie es der aus jener Zeit erhaltende Befehl besagt: „Dem Schiffseigner Josef Bier aus Wallerfangen wird bescheinigt, dass sein Trainsportschiff ,Angelo’ am 22.3.1945 durch die 2./Pi. Br. BTl. 145 auf Befehl der vorgesetzten Führung im Rhein ca. 300 m oberhalb der Ketscher Insel versenkt wurde“, steht auf einem Dokument zu lesen.

Binnenschiffer-Familie Bier in Ketsch: Unterschlupf bei Bäckerei Mack

Rey wiederum setzte sich unter anderem mit unserer Zeitung in Verbindung, damit Berichte und Erinnerungen rund um diese Zeit gegebenenfalls wieder wach werden können, schließlich hätten seine Eltern nun ohne Bleibe zeitweise bei einem Bäcker in Ketsch im Keller Unterschlupf gefunden, hatte Bertrand Bier berichtet.

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Zunächst interessierte Bier allerdings auch, wie sich die Kampfhandlungen in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges rund um Ketsch gestalteten. Von der Gemeinde, von Sabine Janson, konnte nun Gewissheit darüber erlangt werden. Denn sie verwies auf Heimatforscher Robert Fuchs, der wie folgt beschreibt: „Ketsch und die Nachbargemeinden Brühl, Schwetzingen und Plankstadt bildeten an diesem letzten Kriegsfreitag die gemeinsame ,Frontlinie’“, schreibt Fuchs über den 30. März 1945. An diesem Tag nahmen die Amerikaner Ketsch ein, kamen mit sieben Sherman-Panzern in den Ort, wo im Kirchturm der katholischen Kirche noch ein deutscher Leutnant saß, der ein letztes deutsches Kampfgrüppchen leitete. „Die deutschen Soldaten zogen sich im Laufe des Nachmittags auf die neue Hauptkampflinie am Hardtgraben, auf halbem Weg nach Hockenheim zurück. Gegen Abend dröhnte es im und um das Dorf von dem unaufhörlichen Nachrücken der amerikanischen Großverbände“, schreibt Robert Fuchs.

Binnenschiffer-Familie Bier in Ketsch: Schiff mit Christbaumkugeln und Lametta 

Von Günther Martin, Ketscher Gemeinderat für die Grünen, erfuhr Dieter Rey nach Erscheinen des ersten Artikels, dass die Schiffsleute nicht in der Schwetzinger Straße – wovon Bertrand Bier ausgegangen war – sondern in der III. Rheinstraße nämlich bei Martins Großeltern untergekommen waren. Das war die Bäckerei Mack. Dieter Rey hatte auch schon von anderer Seite gehört, dass es sich um eine Bäckerei gehandelt haben müsse, die es heute nicht mehr gebe.

Die „Angelo“ 2008 im Hafen in Douai – alsbald legt sie als Museumsschiff in Rotterdam an. © privat

Außerdem erinnerte sich ein Zeitzeuge, dass ein Schiff mit Christbaumkugeln und Lametta beladen war und dass die Kinder sich hier bedient haben, wie Rey zu berichten weiß – früher war einfach mehr Lametta. Und tatsächlich war die „Angelo“ bei Weitem nicht das einzige Binnenschiff, das in den letzten Kriegstagen noch zum Opfer wurde.

Harald Weiler vom Verein für Heimatkunde Lisdorf meldete sich im Nachgang unserer Veröffentlichung und wies einmal mehr auf den Sonderdruck hin, der Zeugnis über die vielen Saarschiffer, die man beheimatet hatte, Zeugnis ablegt. „Herr Bertrand Bier hat mir eine Kopie des Presseartikels über seinen Vater Josef Bier und sein Schiff ,Angelo’ zugesendet. Ich freue mich sehr, dass Sie und die örtliche Presse dieses Stück Heimatgeschichte aufgegriffen haben und ich möchte noch etwas dazu beitragen. Elf der zwölf am 23. März 1945 bei Ketsch versenkten Schiffe sind uns inzwischen namentlich bekannt, vor allem dank der Hilfe des ehemaligen Saar-Schifferverbandes und einiger ehemaliger, noch lebender Saarschiffer“, schrieb Weiler an Rey. Am 22. und 23. März wurden neben der „Angelo“ auch die „Diana“, „Germania“, „Halberg“, „Ideal“, „Ludowika“, „Rio“, „Stephanus“, „Wellenbraut“ , „Maria“ und „Solvay 8“ versenkt. Auch diese Schiffseigner brauchten infolgedessen Hilfe oder mussten flüchten.

Bertrand Bier schreibt im Sonderdruck des „Lisdorfer Heimatblatts: „Etwas, was ich nie so richtig realisiert hatte, war, dass der Zeitpunkt der Versenkung der ,Angelo’ und das Ende der Kämpfe im Raum Speyer-Ketsch nur wenige Tage auseinanderliegen. So viel Leid in einem so unsinnigen Krieg! Diese Erfahrungen waren für meine Eltern ihr ganzes Leben präsent und trotzdem hatten sie die Kraft und den Willen, das Beste aus dem darauffolgenden Leben zu machen.“

Vater Josef Bier machte die „Angelo“ unermüdlich wieder flott. Sohn Bertrand, der heute in Frankreich, Belgien und Holland auf den Flüssen unterwegs ist, hat sie 2010 verkauft – in Rotterdam ist sie als Museums- und Wohnschiff für die Nachwelt erhalten. „Der Wunsch unseres Vaters, das Schiff zu erhalten, ging durch den Verkauf nach Rotterdam letztlich in Erfüllung“, schreibt Bertrand Bier.

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