Ketsch. Er befindet sich auf einer besonderen Suche: Bertrand Bier ist 61 Jahre alt und folgt den Spuren, die seine Eltern am Ende des Zweiten Weltkriegs in Ketsch hinterlassen haben. An Dieter Rey, Vorsitzender des Heimat- und Kulturkreises, hat sich Bertrand Bier längst gewandt, um Informationen über die Geschichte seiner Eltern Margaretha Susanna und Josef Bier und deren beschwerliche Tage in der Enderlegemeinde in dieser Zeit zu erlangen.
„Es geht darum, die Geschichte aufzuschreiben über die Situation, in die meine Eltern unfreiwillig geraten sind am Kriegsende in Ketsch“, schreibt Bertrand Bier unserer Zeitung. Sie hätten damals als selbstständige Schiffer mit ihrem Schiff „Angelo“ wie vermutlich noch mehrere andere Binnenschiffer aus dem Saarland das Schicksal erlitten und der vom Nazi-Regime angeordneten Versenkung ihres Schiffes beiwohnen müssen.
Soweit es ihm überliefert worden sei, waren seine Eltern wahrscheinlich die Einzigen von den Schiffern, die eine Zeit lang in Ketsch verblieben. Bertrand Bier nimmt an, dass die Geschehnisse doch nicht ganz unbemerkt damals an den Ketschern vorbeigegangen sind. Es sei freilich mit der Versenkung der Schiffe die Existenzbedrohung – wenn nicht -zerstörung – der Schiffseigentümer einhergegangen. Bertrand Bier schickte dieser Redaktion den von der Wehrmacht erstellten „Befehl“ zur Versenkung vom 22. März 1945. Weiter teilt Bertrand Bier mit: „Man muss es so verstehen, dass zu einem Zeitpunkt, zu dem der Krieg schon verloren war, man den Schiffern das Stückchen Papier in die Hand drückte und ihnen ihr Eigentum und ihre Erwerbsmöglichkeit sowie ihre Wohnung auf einen Schlag vernichtete. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass man damals Besseres zu tun hatte, als Fotos zu machen, habe ich doch noch eine kleine Hoffnung, dass eventuell Menschen, die damals mit der Bergung der Schiffe zu tun hatten, zum Beispiel vom ,Wasserbau’ oder sonstige, welche auf und am Rhein zu tun hatten, einen dokumentierten Beitrag liefern können.“
Bier erzählt außerdem, dass er den genauen Hergang der Kampfhandlungen in der zeitlichen Umgebung des 22. März 1945 im Netz recherchierte, als er auf den Ketscher Heimatverein mit Dieter Rey gestoßen sei. Seine Eltern, Vater Josef Nikolaus Bier am 5. Dezember 1913 geboren und Mutter Margaretha Susanna Bier am 27. Juni 1922 geboren, seien indes schon in 1995 und 1996 gestorben.
Die Saarschiffe seien im Schiffsregister Saarbrücken eingetragen. Und der Heimatverein Lisdorf, dort seien in der Vergangenheit viele Saarschiffer beheimatet gewesen, habe Interesse gezeigt, die Geschichte der Saarschifffahrt aufzuschreiben, um die Erinnerung eines dort aussterbenden Berufes in Buchform zu bewahren. Gleichwohl habe er den Willen, etwas über die „Angelo“ zu schreiben, schon länger bei sich verspürt, nicht erst, als die Heimatkundler ihn gefragt hätten, ob er einen Beitrag leisten könne. Bertrand Bier ließ den Stand der bisherigen Aufzeichnungen Dieter Rey zukommen mit dem Hinweis, dass jeder Beitrag zur Rekonstruktion des für die Schiffer sich abspielenden Dramas willkommen sei.
Geschichte des Binnenschiffer-Ehepaars Bier in Ketsch: Unterschlupf bei einem Bäcker
So wie es im bereits vorliegenden Text vorkomme, hätten seine Eltern zeitweise bei einem Bäcker in Ketsch im Keller Unterschlupf gefunden. Denn nach der am 23. März 1945 angeordneten Versenkung der „Angelo“ (Hitler hatte in seinem „Nero-Befehl“ vom 16. März 1945 angeordnet, dass dem Feind nichts in die Hände fallen darf) hatten seine Eltern und seine im Speyerer Vincentius Krankenhaus am 13. Februar 1945 zur Welt gekommene Schwester Melitta keine Bleibe mehr. Die „Angelo“ lag am rechten Rheinufer bei Flußkilometer 406 etwa 300 Meter oberhalb der Ketscher Rheininsel vor Anker – und zwangshavarierte auch dort.
Am 23. März 1945 wurde die Rheinbrücke in Speyer durch die Wehrmacht gesprengt, am gleichen Tag nahmen die Amerikaner Ludwigshafen ein. Am 24. März nahmen die Amerikaner Speyer ein, am 29. März Mannheim und am 30. März Schwetzingen – „um die Zeit des 30. März kamen die Amerikaner auch in Ketsch an“, heißt es im Text für den Heimatverein Lisdorf. In der Folge konnte sich die Familie Bier wieder um die „Angelo“ kümmern. Vater Bier hatte einen Plan zur Hebung. Dazu brauchte er Material.
Angeblich hätte Vater Bier womöglich von einem Schmied in Ketsch genügend Bolzen erhalten, um die „Angelo“ über monatelange Arbeit wieder fahrtüchtig zu machen. Mutter Margaretha und die kleine Melitta seinen immer dabei gewesen. Den Po hätte die Kleine im Rhein gewaschen bekommen.
Der lang ersehnte Tag, ehe die „Angelo“ wieder fahrtüchtig wurde, dauerte bis zum 27. Juli 1945. Am 1. April 1946 hatte die Transportabteilung des US-Hauptquartiers eine vorläufige Fahrerlaubnis für die „Angelo“ ausgestellt, die bis Ende 1947 befristet war. Doch Vater Bier, der sich mit Anträgen zum Ausgleich der Kriegsschäden bis in die 1970er Jahre herumplagte, beschloss dann im August 1948, dass der Rhein nicht mehr die Fahrrinne sein soll.
Bertrand Bier, der bis heute selbst auf der „MS Delta“ einen Einmannbetrieb bildet und sein Fahrgebiet in Holland, Belgien und Frankreich findet, gehe es bei seinen Nachforschungen überdies um den genauen Zeitpunkt der Ankunft der Amerikaner in Ketsch oder um das Ende der auslaufenden Kampfhandlungen in Nähe der Ketscher Rheininsel. „Ich wäre euch auch für den kleinsten Beitrag sehr dankbar“, heißt es in einem Schreiben an Dieter Rey.
Letzterer hat sich ins Zeug gelegt und Recherchen angestrengt. Er wandte sich ans Landesarchiv Baden-Württemberg, sodass beim Generallandesarchiv Karlsruhe genauer geschaut wurde. Dieter Rey bekam die Nachricht, dass es zur Versenkung der Schiffe vielleicht Unterlagen im Bundesarchiv-Militärarchiv (BArch-MA) in Freiburg gibt. Bis dahin hatte der Ketscher schon beim Marchivum angefragt, doch auch dort ließen sich Unterlagen oder Bildmaterial nicht aufstöbern.
Gleichwohl hat Rey eine Zeitzeugin ausgemacht, die sich gut an die versenkten Schiffe erinnerte. Ihre Schwiegereltern hatten wohl Kontakt mit „Schiffsleuten“, die in der Schwetzinger Straße in einem Keller untergebracht waren. Die Schwiegereltern hätten von den „Schiffsleuten“ gelernt, wie man Schnecken koche und esse, erfuhr Rey. Und „nach dem Krieg ist im Keller noch eine Schiffslaterne übrig geblieben“, berichtete Rey von diesem Gespräch.
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