Ketsch. Die Pläne von Aldi Süd, seine Ketscher Regionalgesellschaft bis Mitte 2022 zu schließen, kam für viele der rund 275 betroffenen Mitarbeiter überraschend. Mehr als 50 Jahre war der Discounter-Riese ein verlässlicher Arbeitgeber in der Enderlegemeinde gewesen, teils über Generationen hinweg. Ein Hoffnungsschimmer war deshalb das Versprechen des Unternehmens, die Umstrukturierung sozialverträglich zu gestalten: Ziel sei es – so hieß es in einem Schreiben an die Mitarbeiter – für jeden „gute und faire Optionen für die Zukunft zu finden“.
Jetzt haben sich allerdings einzelne langjährige Mitarbeiter der Ketscher Regionalgesellschaft von Aldi bei unserer Zeitung gemeldet, die eine andere Geschichte erzählen. Sie wollen nicht mit ihren Namen genannt werden, sind aber bereit, ihre Vorwürfe öffentlich zu machen. „Aus unserer Sicht ist die Abfindungsregelung eine Frechheit für einen Konzern, der als Marktführer nach außen kommuniziert, wie wichtig ihm die Belange seiner Mitarbeiter seien. Denn anders als üblich erhalten wir unsere Abfindung nur dann in voller Höhe, wenn wir bis zum Schluss im Unternehmen bleiben: Nur wer zum 30. April kommenden Jahres – also dem letzten Tag des Logistik-Betriebes in Ketsch – geht, erhält ein Bruttomonatsgehalt pro Jahr Zugehörigkeit zu Aldi. Wer dieses Risiko nicht eingehen will oder kann, und sich bereits bis Ende dieses Jahres eine neue Stelle sucht, der bekommt nur ein Viertel dieser Summe. Das alles wurde intern sogar als „Bleibe-Prämie“ bezeichnet“, erklärt einer der Mitarbeiter.
Vorwurf der Knauserei
Auch an anderer Stelle versuche der Discounter zu sparen: So würde die Betriebszugehörigkeit monatsgenau berechnet und entsprechend weniger gezahlt als bei Abfindungen auf Jahresbasis. „Normalerweise würde bei elf Jahren und fünf Monaten Zugehörigkeit auf zwölf Jahre aufgerundet. Nicht aber bei Aldi: Da sind es entsprechend niedrigere Summen, die wir am Ende bekommen. Das ist doch Knauserei – während das Unternehmen jedes Jahr Milliarden-Umsätze einfährt“, empören sich die unzufriedenen Mitarbeiter.
Doch nicht nur das Unternehmen wird von den einzelnen Mitarbeitern kritisiert, auch der Betriebsrat bekommt von ihnen kein gutes Zeugnis ausgestellt. „Der Betriebsratsvorsitzende Viktor Felbusch ist exakt an dem Tag, als wir alle unsere Kündigung zugestellt bekommen haben, erst einmal drei Wochen in Urlaub gefahren. Und auch ansonsten können wir bei diesem Ergebnis der Verhandlungen nicht erkennen, dass wir wegen unserer Abfindungen gut vertreten worden wären, obwohl die Geschäftsleitung und der Betriebsrat genau das in der Zeitung breitspurig verkündet haben. „Eine gute Lösung für jeden Einzelnen“, so das öffentliche Versprechen von Aldi, „ist dieses Ergebnis ganz sicher nicht“, sagen die enttäuschten Mitarbeiter.
Aldi Süd und der Betriebsrat widersprechen diesen Vorwürfen jedoch deutlich. Insbesondere die öffentlich erhobene Anschuldigung, er sei an den entscheidenden Tagen „einfach in den Urlaub gefahren“, stimme nicht, sagt der Betriebsratsvorsitzende Viktor Felbusch auf Nachfrage unserer Zeitung. „Mitte April war ich auf Veranlassung des Gesundheitsamtes in Quarantäne. Der Vorwurf, dass ich in dieser Zeit Urlaub hatte, ist nicht zutreffend. Im Übrigen fanden die Gespräche mit den Mitarbeitern, wie auch mit der Geschäftsleitung, in den Monaten davor statt“, erklärt Viktor Felbusch.
Nach Beratung mit Fachanwalt
Er bestätigt allerdings, dass die Abfindungen entsprechend dem Austrittstermin gestaffelt sind. „Die Firma Aldi hat bei den Sozialplanverhandlungen großen Wert darauf gelegt, dass Mitarbeiter, die bis 30. April 2022 im Unternehmen bleiben, die volle Abfindung erhalten, da der Betrieb bis zu diesem Termin uneingeschränkt aufrecht erhalten wird. Damit will das Unternehmen einen Anreiz schaffen, bis zu diesem Datum im Unternehmen zu bleiben. Die gestaffelte Abfindung war für uns als Betriebsrat nach gründlicher Beratung mit unserer Fachanwältin gerechtfertigt“, so der Vorsitzende Viktor Felbusch. Im Sozialplan gehe es nicht darum, Kosten zu sparen, sondern den Betrieb bis zum Ende aufrecht zu erhalten und die Mitarbeiter, die bis zum Schluss bleiben werden, nicht zu überlasten.
Auch die anteilige Berechnung der Abfindung ist aus Sicht des Betriebsrates sinnvoll. „Wir haben auf eine möglichst gerechte Berechnungsform Wert gelegt. Eine monatsgenaue Einbeziehung der Zugehörigkeit halten wir für die gerechteste Form“, erklärt Betriebsratsvorsitzender Viktor Felbusch.
Insgesamt fällt sein Fazit zu den getroffenen Vereinbarungen positiv aus. „Wir haben für die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung mit Annina Angele aus Karlsruhe eine Fachanwältin für Arbeitsrecht hinzugezogen. Diese Entscheidung hat das gesamte Betriebsratsgremium getroffen. Die Beratung durch die Anwältin hat uns sehr unterstützt“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Viktor Felbusch.
Damit bestätigt er allerdings auch, dass die Ketscher Arbeitnehmervertreter keinen Kontakt zur Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgenommen haben – was zumindest aus Sicht von Verdi ungewöhnlich ist. „Normalerweise meldet sich ein Betriebsrat in einem solchen Fall bei uns, damit wir ihn bei den Verhandlungen mit der Geschäftsführung unterstützen können“, erklärt Gewerkschaftssekretärin Sabine Möller von der Mannheimer Verdi-Vertretung. „Da dies in diesem Fall nicht geschehen ist, können wir keine Einschätzung dazu geben, ob die getroffenen Regelungen aus Sicht der Arbeitnehmer sinnvoll sind.“
Lange Vorlaufzeit
Aldi Süd sieht die Lage naturgemäß deutlich positiver. Auf Nachfrage verweist das Unternehmen auf den langen Vorlauf der Standortschließung. „Die Regionalgesellschaft Ketsch hat ihre Mitarbeiter 15 Monate vor Einstellung des Betriebs über die Pläne informiert. Dieser lange Zeitraum dient zum einen dazu, im Sinne der Kunden ein reibungsloses Warengeschäft bis zur Übergabe an die benachbarten Regionalgesellschaften zu gewährleisten. Zum anderen kann so bestmöglich dafür gesorgt werden, sozialverträgliche Übergänge für alle betroffenen Mitarbeiter zu finden“, erklärt eine Unternehmenssprecherin, und fügt hinzu: „Während ein Teil der Mitarbeiter also zur notwendigen Aufrechterhaltung des Betriebs bis zum 30. April 2022 in der Regionalgesellschaft Ketsch verbleibt, freuen wir uns, wenn ein anderer Teil sukzessive in andere Beschäftigungen vermittelt werden kann oder sich diese aktiv sucht.“
Alle betriebsbedingten Kündigungen in der Logistik seien zum 30. April 2022 ausgesprochen worden. Alle Mitarbeiter, die bis zu diesem Tag im Unternehmen blieben, würden deshalb die volle Abfindung erhalten. Wer das Unternehmen auf eigene Initiative zugunsten einer neuen Anstellung frühzeitig verlasse, erhalte je nach Termin des Ausscheidens einen Anteil des Abfindungsbetrages, mindestens jedoch ein Viertel. „Diese Staffelung wurde gemeinsam mit dem Betriebsrat getroffen und ist aus unserer Sicht eine faire Lösung für alle Beteiligten. Die Staffelung der Abfindung dient auch dazu, den Mitarbeitern einen Anreiz für die Beibehaltung ihrer Arbeitsverhältnisse bis zum Zeitpunkt der Einstellung des Geschäftsbetriebes zu bieten und damit die Wahrung der betrieblichen Abläufe im Sinne der Gesellschaft, der Mitarbeiter und der Kunden zu sichern“, so die Aldi-Sprecherin.
Es gehe also gerade nicht darum, Kosten zu sparen, sondern den Bestand möglichst aller Arbeitsverhältnisse bis zur Standortschließung unter Zahlung der dann vollen Abfindung von einem Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr zu gewährleisten. Die Betriebszugehörigkeit werde dabei monatsgenau aufgerundet.
Anschlussbeschäftigung im Blick
„Jeder Mitarbeiter erhält also eine Abfindung. Gleichzeitig fühlen wir uns verantwortlich, alle Betroffenen bestmöglich dabei zu unterstützen, eine Anschlussbeschäftigung zu erhalten – etwa durch die Weiterbeschäftigung in anderen Regionalgesellschaften von Aldi Süd oder in anderen Unternehmen der Region“, teilt die Sprecherin mit.
Genaue Zahlen, wie viele der rund 275 betroffenen Mitarbeiter bereits eine neue Stelle gefunden haben, konnte das Unternehmen nicht nennen, es handele sich aber um „eine ganze Reihe von Mitarbeitern“. „Wir sind optimistisch, dass sich die Situation bis zum kommenden Frühjahr positiv weiterentwickelt“, so die Sprecherin von Aldi Süd.
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