Ketsch. Muss das denn sein – die Schwulen, Lesben und sonstwie Queeren haben doch schon fast alles bekommen,was sie wollen. Die können sogar schon heiraten. Muss das Anderssein unbedingt mit einer schrillen Parade in Ketsch so öffentlich präsentiert werden?
Ja. Es stimmt: Juristisch ist schon einiges erreicht worden. Als ich noch jung war – und ich fühle mich wahrlich nicht als Dino – stand gelebtes Schwulsein noch unter Strafe. Das änderte sich erst 1994! Und als ich vor 13 Jahren eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen bin, durfte ich das nicht – wie es bei Heterosexuellen üblich war – im örtlichen Standesamt machen, sondern nur in einer Verwaltungsstelle des Landkreises. Das ist beides inzwischen de jure verändert worden. Aber in vielen Köpfen ist eines geblieben: Queere sind unnormal anders.
Wie sonst kann man den Satz erklären, der mich einmal sehr verletzt hat: „Ich habe nichts gegen Schwule – trotz alledem!“ oder die Aussage vieler scheinbar verständnisvoller, aber wohl überforderter Eltern beim Outing ihrer Kinder: „Ich habe dich trotzdem lieb!“
Selbstverständlich sollen Eltern ihre queeren Kinder lieb haben. Aber nicht trotzdem. Eigentlich müsste die Reaktion auf ein Outing sein: „Na und?“ Denn queere Menschen sind normal, keine anders- oder sogar abartige Menschen. Und um das klarzumachen, muss es einfach manchmal laut und schrill zugehen. Aktuell genauso wie zu Hochzeiten von Dirk Bach und Hella von Sinnen. Queersein ist kein Manko oder sogar eine Krankheit – das war es für die Weltgesundheitsorganisation übrigens noch bis 1990. Und dennoch haben es queere Menschen in vielen Bereichen schwerer als heteronormativ gelesene Menschen.
Ich habe Blutgruppe B, das ist recht selten. Da musste ich aber noch nie erklären, dass das nicht unnormal sei. Und ich habe auch noch nie gehört: „Deine Blutgruppe merkt man dir gar nicht an – du bist sonst so normal!“
Und jetzt kommt der Hammer: Meine Beispiele beziehen sich nur auf Schwul- und Lesbischsein, LGBTQ+ ist noch viel, viel bunter – und das ist gut so. Es kommt aber nicht von ungefähr, dass queere Jugendliche ein vergleichsweise erhöhtes Sucht- und Suizidrisiko haben – das verdanken sie großen Teilen der Gesellschaft, die nicht erkennen, dass es um Vielfalt geht – nicht darum, dass Einzelne queer sind.
Und solange das so ist, muss man Flagge zeigen – übrigens auch vor dem Rathaus, vor dem in der Fünften Jahreszeit vollkommen selbstverständlich die bunte Narrenfahne weht.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Bunter, aber nicht anders