Ketsch. Auch in der Enderle-Gemeinde ist die „Schbrooch“ auf dem Rückzug. An der Alten Schule, so die Lehrerinnen Theresia Michenfelder-Frech und Tonia Steigleder, werde kaum bis gar kein Dialekt mehr gesprochen. Und genau das empfinden Dieter Rey vom Heimat- und Kulturkreis und Christel Ritter vom Seniorenbeirat als unhaltbaren Zustand.
Gegenüber der Schwetzinger Zeitung ließen die beiden keinen Zweifel daran, dass der Dialekt wichtig sei. Ja, so Rey, Heimat bleibe ohne die eigene Sprache immer unvollständig. Denn zu Heimat gehöre neben dem Raum und Bräuchen auch unbedingt der Dialekt. „Das“, so sagt es Ritter, „ist Heimat“. Und genau das wollen die beiden bei ihrem ersten Schulbesuch nach Jahrzehnten den Kindern hier vermitteln. Und, um es vorwegzunehmen, es sah so aus, als würde der dialektische Funke zünden. Zumindest machte der Ausflug zu „Grachalin“ (geröstete Brotwürfel), „Nuffzuusisch“ (aufwärts), „Aoigeel“ (Eigelb) und „Schliggsa“ (Schluckauf) nicht nur den Kindern sichtlich Spaß.
Auch der im alemannischen Schwarzwald geborene Bürgermeister Timo Wangler zeigte sich beeindruckt. Gerade im Studium sei Dialekt ja eher verpönt gewesen. Ein Irrtum, so der Mann heute. Für die Identität, die Kultur und das Verankertsein, sei der Dialekt ungemein wichtig. Rey und Richter, er 1953 in Ketsch geboren und sie 1940 in Mannheim, fügen noch Geborgenheit hinzu. Gerade wenn man weit weg von zu Hause sei, sei das Hören des heimisch-vertrauten Dialekts immer ein Wohlfühlmoment.
Einführung in den Dialekt in Ketsch: „Boggsboonisch“
Zu anfangs wandte sich Rey aber gar nicht dem Dialekt, sondern der Schule, wie sie früher war, zu. Erstmals erwähnt wurde eine Schule in Ketsch im Jahr 1705. Doch Schule damals hatte mit dem, was man heute darunter versteht, nicht viel zu tun. Unterricht gab ein Hirte und das auch nur im Winter. Im Sommer mussten die Kinder auf den Feldern arbeiten. Damals gab es übrigens eine Art Schulgeld in Form eines Stück Holzes, mit dem dann das Klassenzimmer geheizt wurde. 1775 wurde dann ein erstes reguläres Schulhaus in der Schwetzinger Straße 7 gebaut. Und 1895 wurde die Alte Schule errichtet.
Doch das Schulleben war damals noch Lichtjahre von dem entfernt, was die Kinder heute erleben. Statt Toilettenspülung gab es Plumpsklos, bei Fehlverhalten gab es auf die Finger oder auf die Ohren und Jungs und Mädchen wurden getrennt unterrichtet. Letzteres stieß bei einigen der Schüler hier spontan auf Zustimmung. Wobei schnell klar wurde, dass es auch langweilig wäre. Gar nicht langweilig war die Geschichts- und Dialektstunde. Die Schüler ließen die Fragen auf Ritter und Rey geradezu prasseln. Von, wie man sich wäscht ohne fließend Wasser, über das Pausenbrot bis zu dem was früher so gespielt wurde, hatten Frey und Ritter viel zu tun. Es war damals schon eine ganz andere Welt. Gleichgeblieben sei nur das Lernen. Wie früher ist die Schule der Ort, wo Lesen und Schreiben gelernt und Rechnen gepaukt wird.
Einführung in den Dialekt in Ketsch: „Geschdellaosch“
Lustig wurde es in den Klassenzimmern der drei dritten Klassen mit der kleinen Dialekt-Einführung. Das Ganze glich einem großen Rätselraten. Das „bludd“ nackt, „Moischlä“ mit Genuss essen oder „Geschdell-aosch“ Gerümpel heißt, wusste hier keiner. Weiter ging es dann mit „Boggsboonisch“ (stur), „Brezlmerb“ (weich) und „Schdobbaknoddl“, was kleiner Knirps bedeutet. Und die Kinder übten sofort. Kann gut sein, dass auf dem Schulhof der Alten Schule bald wieder etwas mehr „ketscherisch“ gesprochen wird. Was wohl das schönste Ergebnis dieser besonderen Schulstunde wäre.
Frey und Ritter haben sich denn auch vorgenommen, solch dialektische Stippvisiten an Schulen öfter zu machen. Bald sind sie bei der Neurottschule und auch die Alte Schule dürfte nächstes Jahr wieder als Termin im Kalender stehen. Der Dialekt ist Teil der Kultur, die den Menschen ja erst zum Menschen mache. Und insofern ist dieser Einsatz hier für die Zukunft der Enderlegemeinde ungemein wichtig.
Einführung in den Dialekt in Ketsch: „Ostereierschugge“
Vielleicht gelingt es sogar, das „Ostereierschugge“ wieder zu beleben. Dabei wurden früher auf der Osterwiese auf der Rheininsel Ostereier so hoch es geht in die Luft geworfen und durften erst gegessen werden, wenn sie kaputt gingen.
Es gibt Berichte darüber, dass einige der Ostereier viele Höhenflüge unbeschadet überlebt haben. Hört sich nach Spaß an – nicht nur für Kinder.
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