Ketsch. Die Situation ist schwierig. Und das Schlimmste, sagt Ursula Weik, „ich glaube nicht mehr, dass sich die Sache lösen lässt“. Und wenn Weik von der Sache spricht, meint sie den Lärm, der ihr seit Jahren zusetzt. Allein am vergangenen Wochenende gab es hier, bei der Seniorenwohnanlage in der Gassenäckerstraße, drei Polizeieinsätze. Doch die scheinen einfach zu verpuffen. Die Jugendlichen zeigten sich, so Weiks Eindruck, keinen Moment lang auch nur ein wenig beeindruckt. Im Gegenteil, die Folge sei, dass sie und weitere Senioren jetzt noch zusätzlich beleidigt würden. Mittlerweile, so sagt es Weik im Gespräch mit unserer Zeitung, möchte sie hier eigentlich nicht mehr wohnen. Natürlich bräuchten Jugendliche ihren Platz und dürften auch mal lauter sein. Aber hier sei mittlerweile jedes Maß verloren gegangen.
Fast schon verzweifelt wandte sie sich kürzlich dem neuen Mann im Rathaus zu. Vielleicht nehme sie der neue Bürgermeister Timo Wangler ernst und sorge für Abhilfe. Doch das, sagt Wangler, sei keine Frage des Ernstnehmens, sondern der Handlungsmöglichkeiten.
Einzäunen keine Lösung
Die Gemeinde suche über die mobile Jugendarbeit und auch die Polizei das Gespräch mit den Jugendlichen. Ein Vorgehen, wie bei der „Alla Hopp“-Anlage, hält der Bürgermeister genau wie sein Hauptamtsleiter Ulrich Knörzer für nicht zielführend. Das Areal ist zum Einzäunen einfach zu groß. Nur zu gern würde Wangler der 71-jährigen helfen. Aber so einfach sei das leider nicht.
Es würden verschiedene Interessen aufeinanderstoßen und diese ließen sich per Rechtsstaat nicht so einfach auflösen. Es sei öffentlicher Raum und die Jugendlichen dürften sich hier aufhalten. Zugleich gebe es auch das Ruhebedürfnis von Anwohnern, das jedem Menschen ebenfalls per Recht zugestanden werde. Am Ende, so Wangler, fuße der Rechtsstaat eben auch auf der Rücksicht voreinander. Und auch wenn es hilflos klingen mag, es ist die Bitte der Verantwortlichen an die Jugendlichen. Anders formuliert, die Freiheit des einen hört da auf, wo sie die Freiheit des anderen beschränkt.
Im Idealfall, sagt Ulrich Knörzer, würden sich die beiden Parteien an einen Tisch setzen und einen Kompromiss suchen. Doch die Karre scheint dafür schon zu tief im Dreck zu stecken. Die Ansprache scheint gegenseitig jedenfalls nur noch Ärger hervorzurufen.
Ganz aufgeben will Weik noch nicht. Vielleicht würde ein runder-Tisch mit Jugendarbeitern, dem Jugendbeirat, der Verwaltung, Anwohnern und den Jugendlichen tatsächlich helfen. So wie es ist, daran ließ Weik keinen Zweifel, kann es nicht bleiben. „Es ist wirklich schlimm.“ Klar denke sie an das Wegziehen.
Seit 54 Jahren in Ketsch
Aber das sei nicht so leicht, wie es sich anhöre. Seit 54 Jahren lebt sie in Ketsch. 1968 habe sie aus Feudenheim stammend einen Ketscher geheiratet und habe sich die Enderlegemeinde damit zur Heimat gemacht. Im September 2018 bezog sie mit ihrem Mann die Seniorenwohnanlage. Ein Jahr später starb ihr Mann. Nun aus Ketsch wegziehen, ihre Zuhause verlassen, und auch nicht mehr in der Nähe des Friedhofs zu leben, wo ihr Mann begraben ist, kann sie sich nicht vorstellen. Und in Ketsch eine bezahlbare, barrierefreie Wohnung zu finden, sei nicht die einfachste Übung. Und es ist eine Übung, die der Bürgermeister sich eigentlich nicht wünscht.
Ausgleich muss möglich sein
Es müsse doch möglich sein, hier einen Ausgleich zu finden. Wobei er eine Sekunde später von einem Dilemma spricht, das sich sicher nicht leicht und schon gar nicht hundertprozentig lösen lässt. Aber kapitulieren sei keine Option.
Runder Tisch „wenig attraktiv“
Damit könnte die Geschichte mit kleinem Hoffnungsschimmer zu Ende sein. Aber dann hätte man die Seite der Jugendlichen unterschlagen. Und beim Gespräch mit Emanuel Kuderna von der Mobilen Jugendarbeit in Ketsch kommt diese Seite mit Macht zum Vorschein. Ein runder Tisch höre sich gut an. Aber aus jugendlicher Sicht sei solch eine Institution „wenig attraktiv“. Die Übermacht der Erwachsenen sei für die Jugendlichen meist ziemlich erdrückend. Eine Erfahrung, die gerade sehr generell gilt. Im Kontext der Eindämmungsmaßnahmen haben die Jugendlichen die gesellschaftliche Deutungsmacht der Alten, von Schulschließung bis Kontaktverbot, sehr deutlich zu spüren bekommen. Mussten sie doch, zum Wohle der vulnerablen Gruppe, auf so ziemlich alles, was Jungsein ausmacht, verzichten.
Sittenverfall kein Argument
Für Emanuel Kuderna ist es auch schwierig, wenn immer von der Jugend gesprochen wird. Denn die große Mehrheit der Jugendlichen würde sich angemessen verhalten. Schon der Philosoph Plato hat vor über 3000 Jahren den andauernden Sittenverfall der Jugend beklagt. Und seitdem hat das eigentlich jede Generation getan. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass diese Analyse noch nie gestimmt hat. Denn wenn sie stimmen würde, wäre die Menschheit längst wieder in der Steinzeit angelangt.
Es geht um Vertrauen
„Die Jugendlichen, die wir kennen, waren am vergangenen Wochenende übrigens sicher nicht der Auslöser für die drei Polizeieinsätze. Da bin ich sehr sicher.“ Darüber hinaus würden sich auch Anwohner nicht immer an das Gebot mitteleuropäischer Höflichkeit halten. „Die Eskalation wird am Ende oft von beiden Seiten betrieben. Anstatt eines formalen runden Tisches wäre auch, einfach auf die Jugendlichen zuzugehen, eine Option. „Und zwar ohne Konfliktgrund.“ Das soziale Miteinander, so grundlegend es für den Menschen ist, so konfliktbehaftet ist es. Am Ende, so Kuderna, gehe es um Vertrauen. Und das herzustellen koste zum einen Zeit und zum anderen die Bereitschaft, auch die Perspektive des anderen einzunehmen. Von diesen beiden Punkten auf allen Seiten etwas mehr – und viele Konflikte wären nur halb so wild.
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