Ketsch. Der große Gänsehautmoment kam kurz vor Schluss. Mit dem orchestralen Queen-Klassiker „Who wants to live forever“ hatte sich der Musikverein 1929 Ketsch am Ende seines Frühjahrskonzerts einen großen Klotz ans Bein gebunden. Der wog am Ende jedoch federleicht. Die Leistungsstärke der „29er“ war wirklich nicht zu überhören. Ein Blick auf das Programm verriet: Der Sonntagabend wird musikalisch bunt. Bekannte Titel und spannende Unbekannte fielen ins Auge. Ihr Versprechen auf Abwechslung und Hörgenuss hielten alle. Dirigent Patrick Wewel kündigte an, was das Publikum richtig vermutete: „Wir gehen heute quer durch die Musikgeschichte, spielen nicht nur konzertant.“
Eine gute Entscheidung, denn so wurde die bemerkenswerte Bandbreite dessen, was der Ketscher Musikverein zu bieten fähig ist, deutlich. Schon der Einstieg mit dem „Concerto d’Amore“ gelang mühelos. Ganz viel Liebe steckte in dem vom Niederländer Jacob de Haan komponierten Werk. Bis ins letzte Detail arbeiteten die Instrumentalisten die Stimmungen heraus.
Musikverein Ketsch: Wahre Talente im Orchester
Stabile Trompeten, elegante Querflöten, die mit frechen Trillern ein großes Crescendo einleiteten, gezielt gespieltes Schlagwerk – die Kontinuität in der Dynamik des Ausdrucks über sieben Minuten und 20 Sekunden hinweg war beachtlich. Ohnehin lässt sich feststellen, dass der Musikverein nicht nur Aktive mit Leidenschaft zu ihrem jeweiligen Instrument, sondern auch wahre Talente zusammenführt.
So harmonisch und im wahren Wortsinn aufeinander abgestimmt die große Gruppe ist, so lobenswert ist die Empathie, die die Solisten beim Frühjahrskonzert an den Tag legten. Die meisten von ihnen wagten erstmals den Einzeleinsatz vor der Öffentlichkeit – und die war an dem Abend richtig groß.
„Sie sind zahlreicher gekommen, als wir gedacht haben“, freute sich schon bei der Begrüßung die stellvertretende Vorsitzende Nina Zorn darüber, dass die Mitwirkenden spontan weitere Stuhlreihen stellen mussten. Ein tolles Lob für die „29er“, für die das Frühlingskonzert ein besonderer Höhepunkt des Jahres ist. „Wir haben nicht oft die Möglichkeit, große konzertante Werke aufzuführen“, erklärte Zorn. Die intensive Vorbereitung auf die Veranstaltung am Samstag und die separaten Proben Wewels mit den einzelnen Registern waren aber wieder all Mühen wert.
Die Zuhörer begegneten einem leichtfüßigen „Girl von Ipanema“, bekamen einen begeisternden Eindruck von der emotionalen Wirkung einer Polka durch den Titel „Von Freund zu Freund“ und erlebten, dass ein Flügelhornist, der den böhmischen Rundtanz beherrscht, auch im Tango – genauer gesagt in Piazollas „Libertango“ – seinen solistischen Mann stehen kann.
Dass Wewel seine Bläser auch gerne herausfordert, zeigte die Wahl des Stückes „Birdland“. Schon dessen Komponist Josef Zawinul sagte darüber: „Das ist das schwerste Stück, das ich je komponiert habe, aber auch das schwerste, was ich je selbst gespielt habe.“ Die Angst der Instrumentalisten vor der Umsetzung war nicht begründet. Der Respekt vor dem Anspruch dagegen aber durchaus verständlich.
Musikverein Ketsch: Wunderbar und kreativ
Fast fünf Minuten dauerte die rhythmische Herausforderung, die Sprünge auf der Tonleiter, der Wechsel der Tonarten und im Sound. Grandios auch das Intermezzo am Schlagwerk, das erst kurz vor dem Konzert eingebaut worden war, wie Wewel anmerkte.
Dirigent und Orchester bildeten eine stimmige Einheit im Konzertverlauf, was nicht zuletzt an der federleichten, souveränen und sensiblen Führung durch ausdrucksstarke Werke lag. Der lang anhaltende Applaus im Stehen war mehr als gerechtfertigt, der Dank des Musikvereins ans Publikum mit dem „Badner Lied“ hat ja fast schon Tradition.
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