Ketsch. Die Durststrecke ist vorbei. Das gilt sowohl für den Musikverein 1929 Ketsch als auch für sein Publikum. Am Samstagabend genossen beide das erste Frühlingskonzert seit Pandemiebeginn 2020. Die einen sorgten für beste Unterhaltung, die anderen belohnten dies mit langem Beifall.
„Kultur ist systemrelevant“, untermauerte Julian Wittig. Er hat den Verein bis Ende 2019 als Vize-Dirigent musikalisch geführt. Die Stabübergabe an Patrick Wewel konnte nun – nach weit über zwei Jahren – endlich offiziell erfolgen. Etwa 250 Zuhörer schauten zu und erlebten innerhalb von gut zwei Stunden eine abwechslungsreiche Melodienreise mit vielen Höhepunkten.
Klangvoll, sauber, homogen – so stellten sich die Aktiven unmittelbar bei „Spirit – Stallion of the cimarron“ vor. So heißt ein Animationsfilm aus dem Jahr 2002, zu dem Hans Zimmer die Musik komponierte. Schon in den in Tempi und Lautstärke wechselhaften Sequenzen wurde deutlich, dass die Mitwirkenden ihr musikalisches Handwerk nach wie vor beherrschen.
Ritt eines Mustangs
Die einzelnen Instrumentengruppen waren gut hörbar, flossen jedoch gleichzeitig in ein harmonisches Ganzes zusammen. Ein siebenminütiger Ritt durch das Leben eines wilden Mustangs, der sich mit einem Mädchen anfreundet, riss mit.
Hoch gehalten wurde die Stimmung mit einer Rückblende in die 1980er-Jahre, bei der sich der „Sternenhimmel“ auftat, „1001 Nacht“ durchlebt wurden oder „Amadeus“ gewaltig zu rocken begann. Mit diesem Bewerbungsstück hatte schon Dirigent Wewel die 29er am meisten überzeugt.
Geschmeidig kam der Bossa Nova namens „Wave“ daher. Das südländische Fieber ummantelte behaglich, bevor mit einem neuen Stück – „Espana“ – rassig und rasant an den Faden angeknüpft wurde. Fröhlichkeit und Leichtigkeit erfasste das Publikum, die Trompeten klinkten sich souverän ins Arrangement ein, das Glockenspiel funkte neckisch dazwischen, die Posaunen lernten sprechen, die Querflöten füllten die Höhe und die Saxofone folgten selbstbewusst ihrer Tonreihe.
Marken mit Märschen
Traditionelles ging nicht verloren und so setzte der Musikverein Ketsch zwei Marken mit Märschen, die ausdrucksstark und energievoll umgesetzt wurden. „Viribus Unitis“ (Mit vereinten Kräften) stand fast sinnbildlich für die vergangenen beiden Jahre, der UNO-Marsch der Vereinten Nationen hatte Symbolkraft in der Hoffnung auf Frieden in der Welt und aktuell selbstredend in der Ukraine.
Dass die Instrumentalisten besonderen Herausforderungen gewachsen sind, bewiesen sie bei der Interpretation von „Imagasy“, das von dem Deutschen Thiemo Kraas komponiert wurde. Vorstellungskraft und Fantasie wurden verwoben. Neun Minuten lang hielt das Orchester die Spannung, die das Meisterwerk auszeichnet. Mystische Passagen in langsamem Takt und leisem Ton erzielten die gewünschte Wirkung durch einen klaren Klang, der mit einem Paukenschlag zu einem sich aufbäumenden Feuerwerk wurde, um sich schließlich wieder behaglich in sanfter Melodieführung zu besänftigen. Bezaubernde Solo-Passagen und ein Klangbild, das sich sachte ins Ohr schmeichelte machten den Hörgenuss perfekt.
Mit dem Stück „25 or 6 to 4“ der Band Chicago wagte sich der MV 1929 in die rockige Ecke, mit einem Zusammenschnitt von Titeln aus Starlight Express wurde dem Musical gehuldigt. Vielseitig, kontrastreich und gehaltvoll wurden die zwölf Minuten mit musikalischem Leben gefüllt, das das Publikum mitriss.
Chapeau, Christian Scholz
Den Hut zog es zurecht vor Solist Christian Scholz, der in Reminiszenz an Acker Bilk das Stück „Stranger on the shore“ in bemerkenswerter Weise vorbrachte. Anschmiegsam wirkte sein Klarinettenspiel, in das Scholz sowohl Sanftmut und Eleganz als auch sein ganzes Herzblut legte.
Der lange Applaus, der am Ende die Zugaben einforderte, war verdient. Mit gleicher Spielfreude, musikalischer Leichtigkeit und Größe war der MV 1929 Ketsch ans Werk gegangen. Das nächste große Ereignis, das Musikfest Ende Juli, kann also kommen.
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