Im Interview

Nach Stickstoff-Hinrichtung in den USA sprechen Ketscher Pfarrer über die Todesstrafe

Die Pfarrer Erwin Bertsch und Christian Noeske aus Ketsch sprechen im Interview über die Themen Todesstrafe, Schuld und Vergebung _ und wie das Ganze aus kirchlicher Sicht einzuordnen ist.

Von 
Henrik Feth
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Die Proteste gegen die Todesstrafe sind in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten omnipräsent © Jeremy Hogan

Ketsch. Mord, Heimtücke, schwerer Raub oder Vergewaltigung – die sogenannten Kapitalverbrechen bringen immer wieder die dunkelste Seite von Menschen zum Vorschein. Während die Täter in den meisten Ländern der Welt mit jahrzehntelangen Gefängnisstrafen verurteilt werden, wird in einigen Staaten wie den USA noch immer die menschenrechtlich und ethisch höchst umstrittene Todesstrafe angewendet. Ende Januar wurde im Bundesstaat Alabama erstmals eine neue Art der Vollstreckung durchgeführt: Trotz erheblicher Proteste von Menschenrechtsexperten wurde ein 58-Jähriger unter Anwendung der als grausam geltenden Stickstoffvergasung hingerichtet.

Hat ein Staat das Recht Menschenleben zu nehmen? Wie steht die Todesstrafe in Zusammenhang mit Schuld, Sühne und Vergebung? Im Interview beleuchten der evangelische Pfarrer Christian Noeske und sein katholischer Amtskollege Erwin Bertsch die christliche Sicht auf diese Aspekte.

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Können Sie einen kurzen Überblick geben, wie Ihre Kirchen und Sie persönlich zu dem Thema der Todesstrafe stehen?

Christian Noeske: Ich habe mich im Vorfeld dieses Gespräch informiert und bin auf den Kommentar eines evangelischen Auslandsbischofs gestoßen, in dem er sagt, dass jede Hinrichtung eine zu viel sei. Also ein ganz klares Statement gegen die Todesstrafe. Und ich stimme ihm auch in einem weiteren Zitat zu: „Das Recht auf Leben und Würde muss nach christlicher Überzeugung schwerer wiegen als das Bedürfnis nach Vergeltung“. Hierbei kann ich mich auch wiederfinden, es ist schlimm, wenn jemand ein Kapitalverbrechen begeht und eventuell sogar jemanden tötet, doch es rechtfertig nicht, dass der Staat dessen Leben nimmt.

Erwin Bertsch: In der katholischen Kirche gibt es den Katechismus. Darin gibt es auch ein Kapitel über die Todesstrafe, in dem erst vor kurzer Zeit etwas geändert wurde. In der alten Version war die Möglichkeit einer Todesstrafe – mit vielen Einschränkungen – noch gegeben. Es ist bekannt, dass sie die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. hier eine strengere Auslegung gewünscht hätten, dies aber nicht durchsetzen konnten. Papst Franziskus ging nun in die andere Richtung, ließ er den Katechismus dahingehend ändern, dass keinerlei Offenheit mehr für die Todesstrafe besteht. Und damit spricht sich die katholische Kirche klar gegen Hinrichtungen weltweit aus.

In einigen Ländern werden immer noch Todesurteile gesprochen und ausgeführt – meistens für das Kapitalverbrechen Mord oder aus politischen Gründen in totalitären Staaten. Ein Leben für ein Leben, wieso ist dieser Ansatz falsch?

Bertsch: Mit Blick in die USA wird klar, dass es dort uneinheitlich ist und die Todesstrafe nur in einigen Bundesstaaten vollzogen wird. Die Todesstrafe ist streng genommen nichts anderes als staatlicher Mord. Was sind hier die Beweggründe? Das kann eigentlich nur Rache sein. Der Schutz der Bevölkerung kann auch durch Gefängnis gewährleistet werden. Ein Leben für ein Leben, das funktioniert nicht. Man nimmt den Verurteilten die Möglichkeit zur Besserung.

Der evangelische Pfarrer Christian Noeske (links) und sein katholisches Pendant Erwin Bertsch. Bild: Feth © Feth

Die Möglichkeit zur Besserung geht auch mit dem Thema Vergebung einher. Wie hängt das in einem solchen Fall aus christlicher Sicht zusammen?

Noeske: Es kommt auch im Vaterunser vor: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Im Kontext des Gebets ist Vergebung jedoch nicht einzufordern. Es kann allerdings Heilung geschehen, wenn derjenige dazu bereit ist. Ich kann verstehen, wenn man beispielsweise als Angehöriger eines Opfers nicht vergeben kann. Es kommt aber auch Gegenteiliges vor und ich habe immer die Hoffnung, dass Heilung geschehen kann – auch durch Vergebung.

Bertsch: Ich sehe das ähnlich, sage aber: Eigentlich können nur zwei vergeben – der oder die, die zu Schaden gekommen sind sowie Gott selbst. Ich würde niemals Dinge wie „Du musst dem Mörder deiner Tochter verzeihen“ predigen. Dafür ist die Wunde in solchen Fällen einfach zu tief.

Noeske: Wir müssen mit den Verletzungen, die wir erlitten haben, leben – wie man darüber hinwegkommt, ist dabei individuell.

Also gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Vergebung und Besserung?

Bertsch: Hier muss man klar differenzieren. Einsicht und Reue sind der Weg zur Besserung, die jedoch nicht per se Vergebung bedeutet. Als Pfarrer gebe ich jedem die Chance auf Besserung und predige nicht gleich die Hölle.

Noeske: Hier geht der Blick auch zu den Gefängnisseelsorgern, die mit Menschen zu tun haben, die Schuld auf sich getragen haben.

Bertsch: Diese Menschen werden auch nicht von der heiligen Kommunion ausgeschlossen. Jedoch dürfte ich aus Sicht der Beichte keine Absolution erteilen, hier brauch es eine bischöfliche Genehmigung. Entscheidend ist hierbei, dass es eine abgeschlossene Tat ist und derjenige dazu bereit ist, für seine Schuld einzugestehen.

Inwieweit stellt dieses Thema für Sie persönlich einen Konflikt mit dem eigenen Beruf dar – also wenn sich ein Mensch, der ein Kapitalverbrechen begangen hat, Ihnen anvertraut?

Bertsch: Wenn der Täter zur Beichte käme und mir einen Mord gestehen würde, dürfte ich trotzdem nicht das Beichtgeheimnis brechen. Jedoch würde ich ihm klarmachen, dass er die Tat gestehen und die Konsequenzen tragen muss.

Noeske: Wenn sich derjenige noch nicht gestellt hat, würde mich dies in einen Gewissenskonflikt stürzen, der in der Theorie fast nicht durchzuspielen ist. Glücklicherweise war ich noch nicht in einer solchen Situation, würde jedoch im Gebet die Antwort suchen und nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Wobei auch die Art und Schwere des Verbrechens durchaus mit in die Entscheidung einfließen würde.

Abschließend: Was sind die Hauptgründe, die gegen eine Todesstrafe sprechen?

Noeske: Die Todesstrafe ist ein klarer Verstoß gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person.

Bertsch: Dem stimme ich zu und Gott sei Dank müssen wir uns in Deutschland nicht mit dieser Frage beschäftigen.

Redaktion Verantwortlicher Redakteur für die Gemeinde Ketsch

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