Central

Schulen dafür nicht gewappnet

Nach dem Film „Keine Zeit für Träume“ diskutieren die Anwesenden angeregt über Aufmerksamkeitsdefizitstörung

Von 
Johannes Blem
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Der Vorsitzende von „SeHT“ Rhein-Neckar, Roland Zachert (v.l.) mit Anita Rebholz, Moderator Dr. Roman Nietsch, Birgit Zachert, Stefan Klein und Karl Gajewski. © Blem

Ketsch. Lädt das Ketscher Central Kino zum Filmabend mit anschließender Podiumsdiskussion, geht es meist um profunde Themen. Auch wenn sich der Lachfaktor dabei häufig in Grenzen hält, bieten die Veranstaltungen regelmäßig Mehrwert für alle Beteiligten. So auch diesmal, als das Central in Kooperation mit dem Verein „Selbständigkeitshilfe bei Teilleistungsschwächen“ (SeHT) den Fernsehfilm „Keine Zeit zum Träumen“ zeigte.

Merle (Greta Bohacek) hat in dem Streifen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Sie wirkt oft abwesend und verträumt, was sich deutlich auf ihre Leistungen in der Schule auswirkt. Zuhause ist die Elfjährige vorlaut, jähzornig und aggressiv. Als eine Kinderpsychologin ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) diagnostiziert, lehnen Merles Eltern eine Behandlung mit Psychopharmaka vehement ab. Stattdessen versuchen sie, ihre Tochter mit Eigenunterricht zu unterstützen. Nachmittag für Nachmittag. Die enorme Mehrbelastung lässt schon bald ihre Jobs, Ehe und das gesamte Familienleben völlig aus den Fugen geraten.

„Viele der aufreibenden Situationen und Emotionen aus dem Film habe ich in meiner Vita selbst so erlebt. Es ist sehr nah an der Realität“, beginnt Birgit Zachert die anschließende Podiumsdiskussion im üppig gefüllten Kinosaal. Zachert hat selbst ein Kind mit ADS. Ihre eigenen „furchtbaren Erfahrungen“ im Schulumfeld bewogen sie dazu, Lehrerin zu werden, um betroffenen Kindern und Eltern helfen zu können.

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Die Verhaltensauffälligkeiten ADS und ADHS (mit Hyperaktivität) führen besonders in der Schule zu Problemen, die sich schnell auf das enge und erweiterte Umfeld der Kinder und Jugendlichen ausdehnen.

Wissen muss erst ankommen

Auch Karl Gajewski, erfahrener Leiter der schulpsychlogischen Beratungsstelle Ludwigshafen und Bundesvorsitzender von „SeHT“, sieht die deutschen Schulen nicht für den adäquaten Umgang mit ADS und ADHS gewappnet: „Zum einen lernen die Lehrer in Studium und Ausbildung zu wenig über das Thema. Hinzu kommt, dass wesentliche Erkenntnisse zum richtigen Umgang aus den vergangenen 20 Jahren stammen. Das neueste Wissen muss erst mal in den heutigen Schulen ankommen.“ Dazu empfiehlt Gajewski Fortbildungen und Studientage.

Die enorme Individualität von ADS erschwere die richtige Handhabung zusätzlich. „Man kann ADS nicht verallgemeinern, es gibt ganz unterschiedliche Typen“, sagt Stefan Klein, Vater eines betroffenen Kindes. Folglich sei eine präzise Diagnostik essenziell für eine erfolgreiche Behandlung, wie Psychotherapeutin Anita Rebholz betont: „Nur so kann eine individuelle Struktur für die Therapie erarbeitet werden.“

Der Film legt dabei den Fokus auf die Frage: „Tabletten – ja oder nein?“ Bei den Diskussionsteilnehmern herrscht Konsens, dass Medikamente wie Ritalin nicht pauschal zu verteufeln sind. In vielen Fällen ermöglichten sie erst einen Zugang zu den Kindern, auf dem aufgebaut werden könne. Während ein Gast dies aus eigener Erfahrung bestätigt, weist eine Besucherin auf die potenziellen negativen Begleiterscheinungen hin: „Die Medikation steuert etwa den Hunger und das Wachsein.“

Fokus auf die Stärken

Trotz all der facettenreichen Schwierigkeiten ermuntert Rebholz zu der Sichtweise, ADS auch ein Stück weit als Geschenk zu betrachten. „ADSler bringen so viele tolle Sachen mit. Sie werden kaum jemanden mit so viel Kreativität und Ideen finden“, so die Diplom-Psychologin. „Diese Stärken gilt es herauszuarbeiten und zu nutzen“, fügt Zachert hinzu.

Wie sie, Stefan Klein und mehrere Besucher bekräftigen, können Selbsthilfegruppen eine große Unterstützung sein. „Sich einfach mal mit Gleichgesinnten auszutauschen und verstanden zu werden ohne jegliche Stigmatisierung, erleichtert unglaublich“, sagt Klein. „SeHT“ bietet einen solchen Gesprächskreis monatlich in Heidelberg an.

Info: Weitere Informationen gibt es unter www.rn.seht.de

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