Kirchenkino

"The Whale" im Ketscher Kirchenkino sorgt für Nachdenklichkeit

Der oskarnominierte Film „The Whale“ mit Brandon Fraser greift das Thema Adipositas auf und sorgt im „Central Kino“ in Ketsch nach dem Abspann für minutenlange Stille.

Von 
Caroline Scholl
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Trotz heißer Temperaturen herrscht beim Kirchenkino im „Central“ großer Andrang. Das Thema Adipositas interessiert sehr. © Scholl

Ketsch. Minutenlang herrscht Stille im Kinosaal des Central in Ketsch, nachdem die letzten Sekunden des Abspanns des Filmes „The Whale“ längst über die große Leinwand gelaufen sind. Tief bewegend, teils verstörend, aufrüttelnd und am Ende unfassbar traurig ist die Verfilmung von Regisseur Darren Aronofsky über die Geschichte und die letzte Lebenswoche des Protagonisten Charlie, die sich in ungeschönter und realitätsnaher Weise mit dem Thema Adipositas auseinandersetzt. Dem Kirchenkinoteam Ketsch ist es mit dieser Filmauswahl erneut gelungen, auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen.

Den Zuschauern wird deutlich, dass das, was hier gezeigt wurde, zwar „nur“ ein Film ist, doch so hart am Leben, dass es sie zutiefst berührt und nachdenklich macht. Schauspieler Brendan Fraser, der für seine Darstellung des 270 Kilogramm schweren Charlie den Oscar als bester Schauspieler erhielt, überschreitet körperliche Grenzen und zeigt in den fast zwei Stunden Spielzeit des Filmes Höchstleistung bei der emotionalen Geschichte, die schon bei der Premiere auf dem Filmfestival in Venedig die Zuschauer zu Tränen rührt.

Themen wie Diskriminierung, Stigmatisierung und psychische Belastung dabei

Doch Hand aufs Herz, wer dachte nicht schon einmal beim Anblick einer übergewichtigen Person einen nicht gerade netten Gedanken? Und wenn es nur beim Gedanken bliebe, wäre es für die Betroffenen zwar schon schlimm genug, aber mit welchen Diskriminierungen, Stigmatisierungen und physischen wie psychischen Belastungen ein Leben mit Adipositas oft einhergeht, verdeutlicht der Film und so bestätigen es die Experten im Anschluss bei der Gesprächsrunde – und das geradezu niederschmetternd.

Bei den Betroffenen bleibt Scham, Selbstzweifel, das Gefühl von Versagen, oft soziale Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit bis hin zur Selbstaufgabe. „Ich habe durch meinen Beruf oft mit von Adipositas Betroffenen zu tun und ich erhoffe mir durch den Film eine andere oder weitere Perspektive. Was mir auffällt ist, dass es immer mehr Menschen mit Adipositas gibt und die Ursachen komplex sind“, erklärt Amankaja Siegel aus Oftersheim, die an diesem Abend zu den zahlreichen Kinogästen gehört, vor dem Filmstart.

Die Komplexität von Adipositas verdeutlicht Marion Rung-Friebe, vom Adipositas Verband Deutschland, Leiterin mehrerer Selbsthilfegruppen und selbst von chronischer Adipositas Betroffene, im Gespräch mit Doris Steinbeißer im Anschluss des Filmes. „Viele Betroffene stellen infrage, überhaupt etwas richtig zu machen. Konfrontiert mit Anschuldigungen, Diskriminierung oder ungefragten Tipps zum Abnehmen wird es für viele oft zum Spießrutenlauf, wenn sie sich in die Öffentlichkeit begeben. Selbst Diskriminierung bei der Vergabe von Jobs ist traurige Realität, denn Adipösen wird oft mangelnde Leistungsfähigkeit und fehlende Disziplin unterstellt, was ungerechtfertigt ist. In seltenen Fällen hat Adipositas – ein BMI über 30 – etwas mit Maßlosigkeit zu tun. Genetische Faktoren, hormonelle Einflüsse, auch bedingt durch andere Krankheiten oder Stoffwechselstörungen, die viele Ursachen haben können, führen zu Adipositas. Doch der Weg Hilfe zu bekommen ist oft schwierig.“

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Selbst Ärzte verweigerten oft weitere Untersuchungen und entließen den Patienten lediglich mit dem Ratschlag, abzunehmen. „Dabei ist es eher das Halten des Gewichtes, was das Problem der Betroffenen ist, denn der Körper ist wie programmiert auf einen Setpoint, also ein Gewicht, dass er versucht zu erreichen.“ Operationen und Behandlungen sind kostspielig, hier stellten sich Krankenkassen und auch Kliniken oft quer, daher sei guter Rat gefragt, führt die Expertin dazu weiter aus. Das Sichtbarmachen des Themas Adipositas durch Filme wie „The Whale“ sei enorm wichtig, um dadurch Betroffenen Mut zu machen, sich Hilfe zu suchen, fernab von Scham oder Selbstzweifel. Auch müsse es in der Gesellschaft noch mehr Aufklärung zu Adipositas geben, damit sich Sichtweisen veränderten, besonders im medizinischen Bereich, jedoch auch im sozialen Miteinander.

Die Adipositas-Selbsthilfegruppe ist beim Ketscher Kirchenkino vor Ort

„Wir haben hier in Ketsch eine Selbsthilfegruppe Adipositas, die sich regelmäßig am zweiten Mittwoch im Monat beim Naturfreundehaus Am Weidenstück trifft. Der Zugang ist barrierefrei und jeder ist willkommen“, lädt Susanne Ritzinger aus Hockenheim ein und sagt: „Ich bin selbst Betroffene und weiß, wie viel Überwindung es kostet, sich einer Gruppe anzuschließen, doch wir möchten Mut machen, sich selbst die Chance zu geben, etwas zu verändern. Denn niemand hat das Recht, über einen anderen zu urteilen. Ich freue mich über eine telefonische Kontaktaufnahme genauso, wie über eine E-Mail. „Oder einfach zu einem Treffen dazukommen, gerne auch in Begleitung einer vertrauten Person“, ergänzt ihr Mann Thomas. Die Selbsthilfegruppe ist unter Telefon 01520/54 43 05 7 oder per E-Mail an shg-hockenheim@t-online.de zu erreichen.

Das nächste Kirchenkino findet am Montag, 18. September, statt. Dann wird der Film „20 000 Bienen“ gezeigt.

Doris Steinbeißer (l.) im Gespräch mit Marion Rung-Friebe, Vorstand des Adipositas Verbands Deutschland, bei der Vorführung des Films „The Whale“. © SCHOLL

Freie Autorin Freie Journalistin für die Region Rhein-Neckar

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