Dokumentarfilm

Zum Welt-Alzheimertag: Alternative Pflege im Central Kino in Ketsch diskutiert

Der Dokumentarfilm „Das Dorf der Vergesslichen“ zeigt eine hierzulande unbekannte Form des Umgangs mit Demenzkranken. Das Thema trifft den Nerv im gut besuchten Kino Central. Das macht die lebendige Diskussion deutlich.

Von 
Nicolai Lehnort
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VHS-Leiterin Gundula Sprenger (l.) und Daniela Gellert vom Generationenbüro Schwetzingen führen in Ketsch durch den Filmabend. © LEHNORT

Ketsch. Zwischen den bunten Häuserfassaden der Bungalows und ihren begrünten Vorgärten gehen sie spazieren. Der Himmel strahlend blau, die Straßen frei von Autos. Die Senioren werden an der Hand gehalten, im Rollstuhl geschoben, der Sonnenschirm wird ihnen getragen. Später sitzen zwei der Männer auf Gartenstühlen beim Essen. In Thailand sei er noch nie gewesen, sagt Martin. Seit wann und wie er hierhergekommen ist, das weiß sein Gegenüber Kurt nicht.

Kurt und Martin sind Schweizer Senioren, die an Alzheimer erkrankt sind. Tausende Kilometer von der Heimat entfernt leben sie in einem thailändischen Dorf. Ihre Familien haben die Entscheidung getroffen, sie fernab von Europa pflegen zu lassen. Das Pflegeprojekt „Baan Kamlangchay“ wird im Dokumentarfilm „Das Dorf der Vergesslichen“ vorgestellt. Anlässlich des Welt-Alzheimertags an diesem Samstag, 21. September, wurde der SWR-Film im Ketscher Central Kino gezeigt.

Zahl der an Demenz erkrankten geht in Rhein-Neckar-Kreis zurück

Wie eine aktuelle Statistik der AOK zeigt, nimmt die Zahl der Behandlungsfälle wegen Demenz unter AOK-Versicherten im Rhein-Neckar-Kreis eine erfreuliche Entwicklung. Von 3818 Fällen im Jahr 2019 ist sie um 651 Personen auf 3167 in 2023 gefallen. In Deutschland sind etwa 1,8 Millionen Menschen von Demenz betroffen, weltweit sind es rund 55 Millionen. Deren häufigste Form ist die Alzheimer-Krankheit.

Der Kinosaal im Central ist gut gefüllt. Rund 140 Gäste wollen den Dokumentarfilm über die Pflege von Demenzkranken sehen. © Nicolai Lehnort

Zahlen, auf die Gundula Sprenger von der Volkshochschule (VHS) Bezirk Schwetzingen zu Beginn des Abends aufmerksam macht. Gemeinsam mit dem Generationenbüro Schwetzingen sowie den Seniorenbüros aus Oftersheim und Ketsch hat die VHS-Leiterin die Filmvorstellung organisiert. „Wir haben einen Film gesucht, der eine gute Diskussionsgrundlage bietet“, begründet Daniela Gellert vom Schwetzinger Generationenbüro die Auswahl. Ein gelungenes Vorhaben, wie sich im Nachhinein herausstellt.

Film im Central Kino Ketsch: Patienten sind Teil des Dorflebens

Das Pflegeprojekt leitet der Schweizer Martin Woodtli. Aus der eigenen Not heraus hatte er es ins Leben gerufen, weil er für seine pflegebedürftige Mutter in der Heimat keine passende Betreuung fand.

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Die 14 europäischen Patienten sind Teil des thailändischen Alltags und wohnen in Häusern im Dorf Faham. In einer Eins-zu-eins-Betreuung werden sie rund um die Uhr versorgt. Sie kaufen mit ihren Pflegern ein, unternehmen Ausflüge ins Schwimmbad oder beteiligen sich an traditionellen Festen. Eine vorbildliche Integration in die Gesellschaft, meint Jana Zimmermann. „Wir machen uns ja schon bei nicht dementen Senioren Gedanken, wie wir ihnen Teilhabe ermöglichen können“, sagt die junge Frau von der Brühler Nachbarschaftshilfe.

Umgewohnte Umgebung kontra Lebensglück: Diskussion über Pflege in Ketsch

Doch sind es Traditionen, die ihnen fremd sind. „Es ist wichtig, dass sie ihre gewohnten Strukturen in gewohnter Umgebung haben“, gibt Martina Burger, Leiterin des GRN-Seniorenzentrums Schwetzingen, zu bedenken. Wegen der Sprachbarriere könnten die nur gebrochen Deutsch sprechenden Pflegerinnen außerdem weniger auf die Bedürfnisse der Erkrankten eingehen.

Und doch wirken Martin und Kurt, Margrit und Ruth glücklich. Für Hilde Pfähler aus Ketsch der springende Punkt. Die Besucherin verbringe selbst jedes Jahr mehrere Monate in Thailand, eine 80-jährige demenzkranke Bekannte würde dort in einer ähnlichen Umgebung leben. Trotz der Sprachbarriere fühle sie sich dank der guten Betreuung wohl und wolle nicht zurück nach Deutschland, berichtet die Ketscher Rentnerin. „Diese Herzlichkeit und Atmosphäre ist einzigartig“, pflichtet ihr Traudel Masdjedi bei. Die Ketscherin kenne die hiesigen Zustände in der Pflege aus jahrelanger beruflicher Erfahrung bestens – und fürchtet sich davor, „alt zu werden, ohne dass sich jemand um uns kümmert“.

Arbeitsbedingungen in Thailand sorgen für Kritik in Ketsch

Der Film zeigt auch die kulturellen Unterschiede auf. „Hier bei uns zahlt man nicht für die Pflege der eigenen Verwandten“, stellt etwa Kioskbesitzerin Nong On fest. Ihre eigenen Verwandten lediglich zweimal jährlich zu sehen, nimmt hingegen eine der thailändischen Pflegerinnen in Kauf. Trotz der viel intensiveren Betreuung als hierzulande – Sprenger nennt es „eine ganz andere Pflegewelt“ – wird in dem mit rund 140 Gästen gut gefüllten Saal Kritik an den Arbeitsbedingungen laut. Die Frauen sähen oft müde und erschöpft aus und seien weit von ihren Familien entfernt. Dieser Sichtweise legen wir unsere deutschen Wertvorstellungen zugrunde, wird jedoch berechtigt angemerkt.

Info: Der „Gesprächskreis für pflegende Angehörige“ findet einmal monatlich in der Schwetzinger VHS statt. Information und Anmeldung unter 06202/2 76 80.

Volontariat Nicolai Lehnort ist seit Juli 2023 Volontär.

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