Alter Bahnhof

Der Weiherer in Neulußheim: Ein bayerischer Bob Dylan begeistert Zuschauer

Mehr als fünf Jahre des Wartens haben ein Ende, als "Der Weiherer" im Alten Bahnhof in Neulußheim Station macht. Mit messerscharfer Gesellschaftskritik und sinnigem Geplauder sorgt er für ein begeistertes Publikum.

Von 
Matthias H. Werner
Lesedauer: 
Christoph Weiherer alias "Der Weiherer" schafft es in kürzester Zeit, sein Publikum zu begeistern und in Stimmung zu bringen © Wolfgang Gans

Neulußheim. Mehr als fünf Jahre haben sie auf ihn gewartet, manche ihn fraglos herbeigesehnt, andere sich einfach nur auf ihn gefreut: „Der Weiherer“, eine Art klampfender Guru für alle „Brunsbeutel“, wie sich die auch in der Vier-Sterne-Gemeinde grassierende Sekte nennen dürfte, hat am vergangenen Freitagabend im Alten Bahnhof in Neulußheim Station gemacht und es war fast, als habe er sein im Frühjahr 2018 frenetisch gefeiertes Gruppengespräch mit Gitarrenbegleitung nahtlos fortgesetzt.

Insofern war sein „versteht’s ihr mi?“ zum Opener eher eine rhetorische Frage, die der Vielbeklatschte, aber vor allem im Gelächter seines Publikums badende Langhaarträger vor der vehement geforderten Zugabe in einem „Schee is widder bei Eich“ selbst beantworten konnte. Denn nicht nur sein Psychologe attestiert dem Weiherer ein ums andere mal: „Mein Publikum ist mein Freund“. Dass diese Freundschaft bisweilen zur Hingabe wird, konnte Neulußheims „gute Stube“, die mit dem bayerischen Liedermacher und Erzählkünstler ihr Jahresprogramm gleich ausverkauft eröffnete, unter Beweis stellen.

Freundschaft zur Hingabe: Der Weiherer und sein begeistertes Publikum in Neulußheim

Taumelnd zwischen begierigem Lauschen, beherztem Lachen und jeder Menge Beifall haben die Bahnhöfler unter dem Titel „Sauber bleiben“ dem Genius und dem Humor des bajuwarischen Bob Dylan, dem Derblecken und auch den feinsinnigen Episoden des in keinem Genre wirklich verortbaren Brutalpoeten einen roten Teppich ausgerollt, gleichzeitig eine Wiesn veranstaltet und den Nockerberg an die Bahngleise geholt: Kunst, Klamauk und Knallerparty in einem.

Mehr zum Thema

Kulturtreff Alter Bahnhof

Delta Rock sorgt in Neulußheim für fetzigen Jahresabschluss

Veröffentlicht
Von
Jakob Roth
Mehr erfahren
Kulturtreff Alter Bahnhof

Künstlerin Anna Schaberick stellt ihre Werke in Neulußheim aus

Veröffentlicht
Von
Maria Herlo
Mehr erfahren
Rückblick

Das Jahr 2023 in Neulußheim: Rolf-Heidemann-Halle, Bürgermeister tritt nicht mehr an, Investition in Feuerwehr

Veröffentlicht
Von
Andreas Wühler
Mehr erfahren

Das schafft der inzwischen 43-jährige langhaarige Quassel-Barde, der nach wie vor aussieht, als würde er noch die Berufsschulbank zum Chemielaboranten drücken, was er einstmals unter seinem bürgerlichen Namen Christoph Weiherer als „ordentlichen Beruf“ gelernt hatte, mit einem langen Programm mit vielen Liedern, von denen er aber am Ende nur wenige spielen kann – „Ich verplaudere mich“.

So hatte er gerade einmal sechs Stücke zwischen Klassikern wie „Eia sissdem“, das es 2004 in die Vorauswahl des Protestsongcontests schaffte, und ganz neuen Werken, wie dem seine derbe Kritik grandios auf den Punkt bringenden „Habe die Ehre, Drecksau, gscherte“ präsentiert, bevor er nach über eineinviertel Stunden in die verspätete Pause schickt, die gar niemand erhofft hatte.

Der Weiherer – Ein unbezahlbarer Quassel-Barde begeistert Neulußheim völlig unverkrampft und fesselnd

Denn was der so natürlich wirkende, völlig unverkrampfte Plauderguru zu sagen hat, ist derart fesselnd und auch unterhaltsam, dass die drei Stunden, die man für einen Weiherer-Abend schon einplanen sollte, wie im Flug vergehen. Dabei serviert er seine meist doch recht beißende Gesellschaftskritik in Anekdoten und kleinen Erlebnisberichten, die dem quirligen Ewigjungen ganz spontan einzufallen scheinen, wenn er sich selbst unterbricht: Dann gibt’s einen kleinen Chinesisch-Sprachkurs, bei dem Vizeministerpräsident „Hubsi“ Aiwanger zum „Watscheng’sicht“ avanciert, eine autobiografische Selbstanalyse, die offenbart, dass Weiherers Doppelbödigkeit aus der Kindheit stammt, in der sein Opa versaute Lebensweisheiten raushaute, während die Oma sich bekreuzigte oder eine selbst erlebte Realsatire aus dem Kreisverwaltungsreferat um eine Unterschrift: „Weiherer. Punkt. Do is aus, do kimmt nix mehr!“

Christoph Weiherer signiert in der Pause seine CDs für das freudige Publikum, wie hier für Heike Ullrich aus Hockenheim. © Wolfgang Gans

Fast trocken, aber mit einem wissenden Lächeln, fasst der Künstler selbst zusammen, weshalb er auf der Bühne keine Figur ist, sondern er in Reinform: „Das Programm schreibt sich quasi von selbst, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht“. In seinen Geschichtenreigen flicht er dann das ein oder andere Lied ein, mehr als Destillat für das ohnedies schon Gesagte, darunter wie ein musikalisches Abklingbecken der eher nachdenkliche „Fährmann“ von Weiherers erstem Solo-Album 2022, natürlich die Dobrint-Hymne „Is des nu mei Hoamat?“, aber auch ganz neue Titel wie „Drunt is da Deifi, drom is der liebe Gott“ oder dem noch gar nicht fertiggeschriebenen „Bei der Menschheit feiht’s so weit“, dessen erste bereits getextete Zeile er eigentlich nur als Aufhänger für einen mündlichen Rundumschlag nutzte – ganz in seiner Manier messerscharfer Gesellschaftskritik, die den Einzelnen auch unter seinen Zuhörern nicht aus der Verantwortung entlässt.

Als der letzte Ton verklungen war, konnte das restlos begeisterte Publikum feststellen, dass die Drohung, die Qualität des Programms an der Höhe des Eintrittsgeldes auszurichten, doch nicht eingetreten ist: Der Weiherer ist ohnehin unbezahlbar.

Info: Weitere Infos zum Künstler unter www.weiherer.com

Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung

VG WORT Zählmarke