Neulußheim. Unter ihrem Alias, dem Mädchennamen Nägele, gastierte die schwäbische Komödiantin Helga Becker im Alten Bahnhof von Neulußheim und gab dem Publikum vor ausverkauftem Haus eine Kostprobe ihrer herausragenden Kenntnisse in Sachen Verbrechen sowie Kriminaltaktik – dies vornehmlich aufgrund ihrer ausdauernden, jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Krimigenre durch Film, Fernsehen und Literatur. Auf Einladung von Kulturamtsleiterin Alexandra Özkalay fegte ein frischer, fast drei Stunden anhaltender, schwäbischer Wirbelwind über die Bühne.
Dort gibt Nägele ihre in alle Richtungen gehenden, kriminalistischen Ermittlungstaktiken an die gleichgesinnte Audienz in Wort und musikalisch vertont weiter. Die „Lieben da draußen“, wie sie ihre geneigten Zuschauer nennt, erfahren von ihrer Ermittlungsarbeit im privaten Umfeld ebenso wie Wissenswertes über Tatwaffen, Bestatter, Forensik oder Tatortreiniger. Durch aktives Zutun erwarben die Besucher Grundlagenkenntnisse, sowohl was das richtige Verhalten an Tatorten betrifft als auch in Sachen schwäbischer Mundart.
Humorvolle Einblicke im alten Bahnhof in Neulußheim
Neben dem Dialekt, der leider immer mehr verschwinde, sei für sie auch das Understatement typisch schwäbisch. Nicht aktiv zeigen, was man hat, aber alle sollen es wissen: „Der Urschwabe ist ‚verhockt‘, also nicht leicht zugänglich, sehr oft auch ‚bruddelig‘ und erst mal mit nichts zufrieden. Daneben aber auch gescheit und geschäftig.“ Bedauerlicherweise gibt es laut Becker unter den jungen Menschen keine ursprünglichen Schwaben mehr, mit den entsprechenden Konsequenzen.
Prinzipiell verkörpert Becker im Verlauf ihres Bühnenprogramms „Fahndung läuft!“ ausschließlich eine Person, nämlich ihre Frau Nägele. Diese ist überzeugte Schwäbin, eine herzensgute, wenn auch neugierige „Schlabbergosch“, die sich viele Gedanken über die Welt und ihre Nachbarschaft macht. Nägele beobachtet genau und berichtet gerne über die eigene, skurrile Familie. Konsequenterweise springt genau diese Frau Nägele dann von der Bühne direkt in den Sumpf des Verbrechens hinein und gibt mit ihren kriminologischen Erzählungen aus dem Alltag humorvolle Einblicke, wie sie als „schwäbische Miss Marple“ ermittelt.
Kriminalistische Ermittlungen als Kabarett
Ihre Definition des regionalen Pendants der Schauspiellegende ist wie das Original von Agatha Christie schrullig, eigenwillig, stur, intuitiv, blitzgescheit und neugierig. Und sie wird meist unterschätzt, was ihr oft zum Vorteil kommt, weil sie dann „unter dem Radar“ und mit außergewöhnlichen Methoden ermitteln kann. Gerne auch im kultigen Wettlauf mit dem Kommissar. Parallelen zu Hitchcock liegen laut Künstlerin im Wesentlichen im spannungsreichen Aufbau der Kriminalgeschichte, trotz humorvoller Ich-Erzählung.
Gefragt sind geistiger und körperlicher Einsatz, gute Laune und eine gehörige Portion an schwarzem Humor. Hauptsächlich beschreibt Nägele hier lustige Situationen, die jederman kennt, nimmt ihr eigenes Verhalten und kollektive Erfahrungen auf die Schippe und lässt auch die Gäste zu Wort kommen. In Teilen des Programms werden diese aktiv miteinbezogen „und da ich nicht aufs Maul gefallen bin, ergeben sich daraus zumeist köstliche Dialoge“.
Leicht und unbeschwert präsentiert sich Helga Becker
In Zeiten, „in denen wir buchstäblich auf allen Kanälen mit negativen Nachrichten überschwemmt werden, brauchen wir Inseln, auf die wir uns retten können“. Becker ist sich damit unbedingt der heilenden Wirkung der Komödie bewusst: Hier erlebe der Zuschauer Leichtigkeit und Unbeschwertheit, wodurch er von der täglichen Last befreit werde und sich im Kreis mit anderen, auch völlig unbekannten Menschen, wohlfühlen könne: Lachen mit seiner positiven und gesundheitsfördernden Wirkung bildet hierbei die Grundlage.
Die „Alte Schule“, sprich Theaterbühne, hat Beckers Ansicht nach gegenüber den Neuen Medien, allen voran dem Internet, den wesentlichen Vorteil des direkten Kontakts zum Publikum. Die Reaktion der Gäste wird nicht nur visuell wahrgenommen, sie ist auch körperlich zu spüren: „Ich habe Blickkontakt und sehe, wie sich die Menschen bewegen, ich höre sie lachen, reden oder raunen, das Klatschen erzeugt Schallwellen, nicht nur im Raum, sondern auch in meinem Herzen.“
Beschlossen, auf die Bühne zu gehen, hat Becker ursprünglich eigentlich nicht. Es hat sich aus ihrer Funktion als Archivarin und Heimatpflegerin ergeben, zu deren Aufgabengebieten auch Stadtführungen gehören. Ihre „Tourleiterin“ Frau Nägele, die „Perle vom Archiv“, war dann so erfolgreich, dass ein erstes Programm entstand: In „Frau Nägele macht blau“ haben neben humoristischen Moderationen auch viele Werke des schwäbischen Heimatdichters Sebastian Blau (alias Josef Eberle, der ehemalige Herausgeber der Stuttgarter Nachrichten) eine große Rolle gespielt.
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