Neulußheim. Wertvoll gewirkte Stoffe, Brokat, Samt und Seide: Die Neulußheimer Künstlerin Noémie Reichert schafft eine verblüffende Illusion stilvollster Schneiderkunstwerke – aus Papier. Mit ihrer jüngsten Ausstellung im Kulturzentrum „Alter Bahnhof“ verzauberte die vor rund 60 Jahren in Luxemburg geborene Künstlerin ihr Publikum mit ihren „Kleiderträumen aus Papier“ in einer spannenden Mischung aus Verblüffung, Unglauben und Bewunderung.
Im wahrsten Wortsinn: Das Staunen über die hochaufwendigen Exponate, die ausnahmslos wirken, als wären sie nicht aus sprödem Papier, sondern aus weich fallenden Stoffen genäht, wird vom Gefühl angeheizt, da wäre eine Frau mit einem Zauberstab unterwegs, der wahre Wunder schafft. Teil dieses magisch anmutenden Werks, das der Neulußheimer Kunstpapst Wolfgang Treiber mit sichtbarem Stolz präsentierte, ist sicherlich die fundierte Ausbildung zur Schaufenstergestalterin, die sie mit eigenen Ladengeschäften in der Dekorationsbranche in Luxemburg und Heidelberg vertiefen konnte. Genau dafür, so führt Marianne Treiber in ihrer Werkeinführung augenzwinkernd aus, hat sich Reichert auch erstmals ans Verstofflichen von Papier gemacht – ihr erstes Papierkleid war ein Werbegag und Eyecatcher für ihr Geschäft.
Dass daraus in nun bald 15 Jahren eine eigenständige Kunstform geworden ist, verdankt die temperamentvolle Frau des Ungewöhnlichen ihrer reichen Palette an Fähigkeiten: Die freischaffende Künstlerin bringt einen fantasievolle Gestaltungswillen, geniale handwerkliche Technik und eine unbegrenzte Geduld zu etwas zusammen, was weitgehend einzigartig im Sujet ist. Unzählige Papiersorten, Pappmaché, selbst aus Papier gestanzte Pailletten und aus Vliespapier ausgeschnittene, täuschend echt wirkende Federn kombiniert sie zu Kunstwerken, die inzwischen – mehr als 50 Ausstellungen in Deutschland, Frankreich und Luxemburg hat Reichert schon bestritten – auch auf Laufstegen an echten Modellen zu sehen sind.
Darauf mussten die Neulußheimer verzichten, als sie sich nach der gut besuchten Vernissage am vergangenen Freitagabend – musikalisch umrahmt von Ehemann Holger Alt mit Stücken aus seiner eigenen CD „Heul nicht mit den Wölfen“ – durch die Exponate staunten.
Farbenprächtiger Esprit
„Summertime“, ein pfiffiges Sommerkleid, zeigt im Bauschrock noch das Wesen des Papiers gleichsam als Anscheinsbeweis, während das paillettenbesetzte Brustteil und die passende Haube mit ihren aufgesetzten voluminösen Blumen die perfekte Stoffillusion abgeben. Gleich daneben „Rose Garden“, ein feurig buntes, mit farbenprächtigem Esprit fesselndes Kleid in elegant fließendem, körperbetonendem Stil, das unfassbar viele Details zu einem wahren Hingucker und Augenschmaus gleichermaßen macht, den zu erkunden, immer aufs Neue spannend ist.
Gleiches gilt für eine mittelalterliche Kreation, in der schlichte Anmut, historisch typische Komponenten und ein der Zeit entsprechend formal ausgeprägter Perlen- und Edelsteinbesatz homogen zu einer „Isabella von Kastilien“ ineinanderfließen – wohlgemerkt: Ausnahmslos aus Papier kreiert.
Der Gang durch diese Ausstellung stellt den kunsthandwerklich versierten Betrachter vor Rätsel ob der unsagbaren Detailverliebtheit und kunstfertigen Kompositionsgabe; den Menschen mit dem Künstlerauge lässt er staunen und ein ums andere Mal ungläubig verifizieren, dass diese Träume tatsächlich aus Papier sind: Noémie Reichert vermag es, aus Materialien etwas zu erschaffen, was nicht in ihnen liegt.
Info: Weitere Infos und Bilder der beeindruckenden Kunstwerke unter www.noemie-reichert.de
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