Alter Bahnhof

Imposante Stoffgemälde beeindrucken in Neulußheim

Die „Quilting-Queen“ Ursula Mehler begeistert mit ihren Arbeiten bei ihrer mittlerweile fünften Werkschau im Alten Bahnhof Neulußheim. Die 87-Jährige beweist, dass sie nichts an Strahlkraft verloren hat.

Von 
Matthias H. Werner
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Ursula Mehler ist mit ihrer Kunst zum fünften Mal im Alten Bahnhof zu Gast und noch immer haben ihre Werke nichts von ihrer Faszination verloren. © Lenhardt

Neulußheim. Ein paar Tage mehr als 20 Jahre ist es her, als die Mannheimer Künstlerin Ursula Mehler im Herbst 2002 zum ersten Mal im Neulußheimer Kulturzentrum „Alter Bahnhof“ ausgestellt hatte – damals hat unsere Zeitung sie in Anlehnung an einen augenzwinkernden Kommentar Tassilo Treibers, der die Ausstellungseröffnung mit der Klarinette umrahmt hatte, beeindruckt von den technisch genialen, künstlerisch aber vor allem herausragenden Werken zur „Quilting-Queen“ gekürt.

Am vergangenen Freitagabend eröffnete die inzwischen fast 88-jährige Königin über die Nadeln ihre fünfte Werkschau in der guten Stube der Vier-Sterne-Gemeinde – und sie hat weder als Person an Strahlkraft verloren, noch hat ihr mitreißender künstlerischer Ausdruck gelitten.

Usrula Mehlers Kunst ist auf der ganzen Welt bekannt

Ganz im Gegenteil zeigen die rund 30 Exponate das unbedingte Ausdrucksverlangen der international renommierten und gefeierten Künstlerin, deren Ausstellungen überhaupt stets als Gesamtkunstwerk zu verstehen sind: Mehler, die zahlreiche Preise errungen und die zahllose Ausstellungen in die ganzen Welt getragen haben, begeistert auch die Skeptiker unter ihren Besuchern immer wieder mit kleinen Geschichten, Erläuterungen und Hinweisen für ihre Kunst – wer mit dem Gedanken, eine Patchwork-Handarbeiterin zu sehen, gekommen war, wird von der Künstlerin und ihren imponierenden Werken beseelt den Ort des Geschehens verlassen in der Erkenntnis, dass hier große Kunst und berührende Botschaften nicht unter das Diktat von Nadel und Faden gejocht, sondern von diesen Techniken geradezu befreit werden.

Beim mit der Patchwork-Technik durchaus verwandte Quilten wird zusätzlich zwischen zwei Stoffbahnen Watte eingebracht und versteppt - eine bereits im Mittelalter sehr gebräuchliche, heute vor allem in Amerika übliche Art, um Gebrauchstextilien herzustellen.

"Quilt-Queen" nutzt Tiefentwicklung mit Perfektion

Was nun Ursula Mehler macht, um aus der Handarbeit Kunst werden zu lassen, ist eine Befreiung von den Grenzen, die Nähmaschine und Werkstoff eben nur scheinbar aufzwingen: Sie nutzt die Möglichkeiten einer Tiefenwirkung in den Raum hinein, die dem Quilten schon innewohnt mit einer solchen Meisterschaft, dass bisweilen fast plastische Gebilde entstehen, sie kombiniert dazu eine Vielfalt an Farben, wie sie sonst nur der Maler auf seiner Palette hat und erreicht durch teils viellagige Schichtungen nicht nur räumliche Dimensionen, sondern vor allem eindrucksvolle visuelle Erfahrungswelten.

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Der Titel der jüngsten Werkschau, in die der Neulußheimer Kunstpapst Wolfgang Treiber gemeinsam mit seiner Frau Marianne einführte und die von Künstlerkollege Dieter Köster, der im vergangenen Jahr seine Farbgeschichten im Alten Bahnhof gezeigt hatte und Hans Durst am Akkordeon mit französischen Melodien umrahmt wurde. „Textile Impressionen“, bleibt weit hinter dem zurück, was Ursula Mehler präsentierte. Neben einigen Werken, bei denen die technische Perfektion und der Respekt, den auch das meisterhafte Handwerk abringen, im Vordergrund standen, waren es imposante Stoffgemälde, die ihre Betrachter durch fesselnde Wirkung aus Farbe, Form und Kontur förmlich einsogen in eine jeweils eigene Kleinwelt.

Beispielhaft das Doppel „Phlegma“ und „Elan“, stilisierte Gestalten, denen die Kraftlosigkeit im einen Falle fast mit Händen zu spüren vom Körper rinnt und im anderen Falle wie Energiefunken in die reich ausgestaltete Umgebung spritzt.

Spannung und Energie des Domin-Gedichts als klingender Appell

Oder das ebenfalls fast sakral in zwei Teilen angelegte Werk „Hilde Domin“, mit dem Mehler in einem grandiosen Farbrausch von Blattwerk in sattem Grün das Minigedicht der 2006 in Heidelberg verstorbenen jüdischen Lyrikerin Domin anlegt und durch ihre eigene Interpretation und die aus der Spannung von Farb- und Formkontrast bezogene Energie das dem kürzesten Domin-Gedicht innewohnende Paradox zu einem fast in den Raum hinein klingenden Appell verarbeitet.

Wenn sich ein Kreis schließt – Tassilo Treiber, der einst als Bub die Musik beitrug, hat diesmal als fescher Mann die Gäste bewirtet – eröffnet er die Möglichkeit, zu einer neuen Runde. Ursula Mehler, das hat diese Ausstellung einmal mehr unter Beweis gestellt, hat noch viel zu erzählen, „stark sein hinter dem Gerät, auch wenn man alt ist“, so hat sie es mit einem Lachen gesagt. Und ihre Bewunderer haben auf jeden Fall noch viel zu sehen.

Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

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