Neulußheim. Bis Februar kannte Kevin Weirether die Gemeinde Neulußheim eher von der Durchfahrt aus seinem Wohnort St. Leon-Rot. Inzwischen hat er an jeder Haustür des Orts geklingelt – und meistens wurde ihm auch geöffnet. Der 37-Jährige hat als parteiloser Bewerber am 5. Mai souverän die Bürgermeisterwahl gewonnen und tritt sein Amt am 1. Juli an. Im Interview blickt er zurück auf seine Erfahrungen im Wahlkampf und nach vorne auf seine Vorbereitung auf die neue Tätigkeit und ihre Umstände.
Wann haben Sie begriffen, dass Sie tatsächlich in einigen Wochen Bürgermeister von Neulußheim sein werden?
Weirether: Das war am Wahlabend, als ich mit meiner Frau im Auto nach Hause gefahren bin und einen kurzen Moment für mich alleine hatte. Nach all der Anspannung, nach all den Gratulationen, habe ich erst da realisiert, was gerade passiert war. Vorher lief das alles wie ein Film ab. Tag für Tag kommt nun eine Schippe dazu.
Hatten Sie nach dem Wahltag noch Zeit zum Durchatmen oder ging es bei Ihnen gleich wieder mit Dienst weiter?
Weirether: Ich war montags wieder im Dienst, nachdem ich die neun Wochen zuvor nichts anderes gemacht hatte als Wahlkampf. Ab 10 Uhr habe ich täglich meine Hausbesuche begonnen, nachdem ich bemerkt hatte, dass 9 Uhr doch etwas zu früh ist, um bei den Leuten zu klingeln. Unpassend wäre es auch gewesen, sie beim Kochen zwischen 12 und 13 Uhr zu stören. Montags bis samstags ging es dann von 13 bis 18 Uhr weiter zu Fuß von Tür zu Tür. So habe ich in Neulußheim an die 3000 Haushalte besucht.
Die Nähe zu den Neulußheimern als entscheidender Faktor im Wahlkampf
Halten Sie diese Besuche für die entscheidende Komponente in einem Wahlkampf?
Weirether: Auf jeden Fall und das sagt Ihnen auch jeder Bürgermeister: Ohne Hausbesuche keine Chance. Ich hab so viele tolle Menschen kennengelernt die Woche über an den Haustüren. Davon bin ich überzeugt: Wenn ich das nicht gemacht und nur auf Veranstaltungen gesetzt hätte, hätte ich keine Chance gehabt: Sie müssen wirklich bei den Leuten an der Tür stehen und und einen sympathischen Eindruck hinterlassen – sie müssen einfach merken: Das ist ein Netter und im besten Falle ist er auch fachlich noch gut. Wenn Sie das erreicht haben in den drei bis fünf Minuten an der Tür, ist das einfach viel besser als jede Veranstaltung, wo sich die Leute dann nicht trauen hinzugehen, weil es diese Hemmschwelle gibt.
Das heißt umgekehrt, dass Sie in den meisten Fällen offen empfangen worden sind von den Neulußheimern?
Weirether: Absolut – total freundlich, das habe ich auch in meiner Rede am Sonntagabend erwähnt. Es gibt supernette Menschen in Neulußheim. Wenn ich überall einen Kaffee getrunken oder ein Stück Kuchen gegessen hätte, wo man mir das angeboten hat, würde ich heute zehn Kilogramm mehr auf die Waage bringen. Ich würde sagen, die Begegnungen waren zu 99 Prozent positiv, nett und aufgeschlossen. Die gegenteiligen kann ich an einer Hand abzählen.
Das klingt ja sehr erfreulich, gerade angesichts der aktuellen Meldungen über Angriffe auf politische Bewerber im Wahlkampf.
Weirether: Ich wusste ja auch nicht, was auf mich zukommt, ich bin ja nicht im Vertrieb. Umso angetaner war ich von der Erfahrung – und das haben mir auch die Mitbewerber bestätigt. So sind alle empfangen worden, nicht nur ich.
Wie hat denn Ihr Bürgermeister Hakan Günes reagiert auf die Nachricht von Ihrem Wahlsieg, die ja bedeutet, dass er einen neuen Kämmerer suchen muss?
Weirether: Er hat sich sehr gefreut, auch wenn demnächst sein Kämmerer weg ist, doch es wäre unangemessen, von einem weinenden und einem lachenden Auge zu sprechen, weil seine Freude doch klar überwog. Die Stelle ist inzwischen ausgeschrieben – zumindest in den Gemeindenachrichten.
Wissen Sie denn schon konkret, wann Ihr letzter Arbeitstag in Sandhausen ist?
Weirether: Tatsächlich weiß ich das noch nicht.
Das spricht ja eigentlich für Sie und Ihre Einstellung zur Arbeit, wenn Sie das noch nicht bis auf den letzten Tag errechnet haben – dann wollen Sie nicht auf dem schnellsten Wege weg . . .
Weirether: Ich habe auf jeden Fall noch Zeit, um die Aufgaben, die ich noch erledigen will, ordentlich übergeben zu können. Wenn die fertig sind, dann bin ich in Sandhausen fertig. Das sollte spätestens Mitte Juni so weit sein, damit ich zwei Wochen nochmals durchatmen kann, bevor es in Neulußheim losgeht.
Haben Sie im Wahlkampf den Eindruck gewonnen, dass die Bürger große Erwartungen an den neuen Bürgermeister haben oder sind sie eigentlich durch die Leistungen der beiden Amtszeiten von Gunther Hoffmann gut gesättigt?
Weirether: Mein Eindruck war, dass die überwiegende Mehrheit sehr zufrieden ist mit der Arbeit von Bürgermeister, Verwaltung und Gemeinderat. Die Richtung, die das Rathaus in den vergangenen 16 Jahren vorgelebt hat, ist gut, das habe ich auch immer so kommuniziert. Dieses Niveau gilt es, bei Pflicht- und freiwilligen Aufgaben zu halten und auszubauen. Das ist die Herausforderung an mich: Dafür zu sorgen, dass diese gute Arbeit gut bleibt, sich vielleicht in Punkten noch verbessert.
Die Arbeit in Neulußheim ist bereits jetzt allgegenwärtig beim designierten Bürgermeister
Ertappen Sie sich manchmal dabei, dass Sie im Kopf schon bestimmte Projekte und Prioritäten für Ihre neue Gemeinde erstellen, wenn Sie gerade Muße haben?
Weirether: Ja, natürlich, das kommt von Tag zu Tag mehr, dass man sich solche Fragen stellt, je nach Situation. Wenn ich an meiner aktuellen Arbeit in Sandhausen bin, gar nicht, aber wenn es eine freie Minute gibt, in der ich darüber nachdenken kann, passiert das einfach.
Sie werden sich wohl auch darauf einstellen, dass Sie als Bürgermeister künftig für mehr Themen zuständig sind und verantwortlich gemacht werden, als das bisher als Kämmerer der Fall ist und das Verhältnis zwischen Privatleben und Dienst sich verschiebt?
Weirether: Solche Überlegungen muss man anstellen, bevor man letztlich die Entscheidung trifft zu einer Kandidatur – zusammen mit der Familie. Hätte meine Frau gesagt, sie will das nicht, hätte ich nicht kandidiert. Ich sehe ja, welches Pensum Bürgermeister Hakan Günes in Sandhausen absolviert, meine Frau als stellvertretende Kämmerin in Bad Schönborn weiß, was Klaus Detlev Huge zu leisten hat – wir konnten uns schon ganz gut vorstellen, was da auf uns zukommt. Das war die Frage, die wir Anfang, Mitte Februar klären mussten.
Stichwort Familie: Planen Sie, nach Neulußheim umzuziehen oder legen Sie größeren Wert auf die Präsenz bei Ihren Aufgaben und nicht auch noch in der Freizeit? Das interessierte sicherlich auch die Wähler.
Weirether: Präsenz ist auf jeden Fall wichtig. Bei den Gesprächen mit den Neulußheimern hat das Thema aber eine untergeordnete Rolle gespielt. Ich habe dabei immer gesagt: Umziehen ja, aber auch das ist eine Familienentscheidung. Wir wohnen jetzt im Eigentum in St. Leon-Rot und würden uns ungern verkleinern, nur um in Neulußheim zu wohnen. Dafür hatte jeder Verständnis. Es muss einfach passen: der Zeitpunkt und die Immobilie. Das wird wohl nicht von heute auf morgen klappen.
Wie funktioniert eine Stabübergabe zwischen Bürgermeistern – wie häufig treffen Sie sich mit Gunther Hoffmann, um sich möglichst umfassend Kenntnisse für Ihr neues Amt zu holen?
Weirether: Wir haben uns schon in der Woche nach der Wahl für einige Stunden zusammengesetzt. Da wir nacheinander jetzt erst mal in Urlaub gingen, wird sich die Übergabe in den Juni hineinziehen, aber wir setzen uns bestimmt noch fünf-, sechsmal zusammen. Die ersten vier Stunden sind verflogen wie nichts, da brauchen wir schon noch einige Termine. Wir werden auch gemeinsam verfolgen, welcher am 9. Juni als neuer Gemeinderat herauskommt.
Es gibt sicher auch viel Hintergrundwissen, das für Sie von Anfang an wichtig ist?
Weirether: Das stimmt, aber da ist Gunther Hoffmann auch sehr zugänglich, mein Kopf hat geraucht, als ich aus dem Rathaus kam. Das klappt super. Er hat das 16 Jahre lang gemacht hat, sich ein großes Wissen angeeignet und kennt jeden – das muss man aufsaugen und jede Möglichkeit nutzen, um möglichst viel davon mitzukriegen.
War der Wunsch, selbst Bürgermeister zu werden, schon länger bei Ihnen gereift?
Weirether: Ich glaube, jeder, der in Kehl studiert, kriegt dieses Bürgermeister-Gen irgendwie mit, spätestens, wenn es Kommilitonen gibt, die von vornherein sagen, ich will Bürgermeister werden. Das war damals im Studium bei mir nicht so, aber ganz ehrlich: Mit 18, 19 Jahren will man erst mal das Studium schaffen. Aber da ist schon der Grundstein gelegt worden und dann ergibt sich das einfach mit der Zeit, wenn man älter wird und die Berufserfahrung dazukommt, ist das der natürliche Weg. Für mich war es wichtig, dass die Kommune passt. Ich wollte auf jeden Fall etwas Kleineres, weil es mir wichtig ist, nah am Bürger zu sein. Ich war nicht umsonst zwei Jahre in München – in der Großstadt hat es mir einfach nicht gefallen. Und ich wollte in die Umgebung meiner Heimat: Ich habe immer gerne einen Bezug zu etwas – es ist anders, wenn man mit dem Herzen ein Stück weit dabei ist.
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