Vom Flüchtlingslager zum Zuhause (Teil 2)

75 Jahre Hardtwaldsiedlung: Vom Plumpsklo zum modernen Eigenheim in Oftersheim

Seit 75 Jahren ist die Hardtwaldsiedlung ein wichtiger Bestandteil der Gemeinde Oftersheim. Liselotte Krepper, Gaby Bursa und Harry Schreiner blicken zurück.

Von 
Benjamin Jungbluth
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Die 96-jährige Liselotte Krepper (M.) mit Gaby Bursa und Harry Schreiner vor ihrem selbst errichteten Haus, in das sie mit ihren Eltern und ihrem Mann am 1. Oktober 1950 eingezogen ist. Der Baustil ist typisch für die Hardtwaldsiedlung und von der damaligen Zeit geprägt: Schlicht, aber mit viel Platz im Hof und Garten, um Gemüse anbauen und später den Wohnraum erweitern zu können. © Benjamin Jungbluth

Das Wichtigste in Kürze

Drei Bewohner der ersten Stunden erzählen vom Aufwachsen in den 1950ern und 60ern im Oftersheimer Süden. An den Gebäuden sind die harten Anfangsjahre der Siedlung bis heute abzulesen.

Oftersheim. Wenn sich Liselotte „Lotte“ Krepper an die ersten Aufbaujahre der Oftersheimer Hardtwaldsiedlung erinnert, denkt sie an ihre eigene Zeit als junge Frau zurück. Mit ihren stolzen 96 Jahren fallen der nunmehr ältesten Bewohnerin unzählige Details ein: Wie die neuen Siedler – Einheimische und Heimatvertriebene gleichermaßen – mühsam und ganz ohne große Gerätschaften die Baugruben freibuddelten, um ihr neues Zuhause zu begründen. Wie selbst der tiefe Brunnen, der zunächst als einzige Trinkwasserversorgung dienen musste, nur von Hand gegraben wurde.

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Sie sieht die vielen Klinkersteine, die vom nahegelegenen alten Schießstand abgetragen wurden, um daraus Teile der Keller und Schuppen der neuen Siedlung zu errichten. Oder sie erinnert sich an den Luxus einer eigenen Toilette im Anbau ihrer Familie, während die meisten Gebäude bis zum Anschluss an die öffentliche Kanalisation um 1960 nur einfache Plumpsklos hinterm Haus hatten.

Eine der ersten Toiletten der Siedlung

„Mein Vater war da sehr begabt und hat unsere Toilette selbst eingebaut, das war damals die absolute Ausnahme“, erzählt Liselotte Krepper. 1929 als Ziegler geboren, verbrachte sie ihre ersten zwei Lebensjahre in Mannheim-Neckarau, bevor ihre Familie zurück nach Oftersheim in die Mannheimer Straße zog. „Mein Großvater kam von hier, deshalb hatten wir immer einen engen Bezug zu Ofdasche“, sagt Krepper.

Auch die Kriegsjahre verbrachte sie im alten Ortskern, wobei insbesondere ihre Ausbildung an der Mannheimer Handelsschule wegen der später ständigen Fliegerangriffe zur Gefahr wurde. Ihr Vater intervenierte schließlich und sorgte dafür, dass sie in einer Außenstelle im Schwetzinger Schloss unterrichtet werden konnte. „Dadurch entfielen die Bahnfahrten nach Mannheim, was immer der gefährlichste Teil gewesen war“, erinnert sich Liselotte Krepper. In den Ferien ging es dann oft aufs Feld, „um beim Bauern was zu schaffen“ und im Gegenzug Lebensmittelmarken zu erhalten.

Jahre des Mangels und harter Arbeit

Nach Kriegsende normalisierte sich das Leben der jungen Oftersheimerin zwar, doch die Aufbaujahre waren wie überall von Mangel und harter Arbeit geprägt. Die Möglichkeit, mit der Familie ein eigenes Haus auf einem kleinen Stück Land außerhalb des Ortskerns zu beziehen, war in der Folge eine große Chance. Ende 1949 konnten die ersten acht Siedler sowie weitere acht Familien in der neugegründeten Hardtwaldsiedlung ihr Zuhause beziehen, im offiziellen Einweihungsjahr 1950 folgten zwölf weitere (siehe Teil 1 unserer Serie).

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Eine von ihnen war Familie Ziegler. „Ich war damals 21 Jahre alt und hatte de facto die Verpflichtung, meinen späteren Mann Erwin direkt zu heiraten“, erzählt Liselotte Krepper schmunzelnd. „Es gab wegen der Wohnraumnot nämlich die Vorgabe, dass jeder Eigentümer eines neuen Hauses auch an eine weitere Partei vermieten musste. Damit ich mit meinem Freund zusammen bei meinen Eltern am 1. Oktober 1950 einziehen konnte, hatte der Bürgermeister uns deshalb verpflichtet, innerhalb von vier Wochen nach Einzug zu heiraten. Und das haben wir dann auch genauso gemacht.“

Im Nebenerwerb oft eine Landwirtschaft

Ihr Mann hatte zuvor schon kräftig beim Hausbau geholfen, so wie es damals in der Hardtwaldsiedlung üblich war. Das bestätigt auch Harry Schreiner, der amtierende Vorsitzende der Siedlergemeinschaft. Mit seinen heute 65 Jahren kam er zwar erst später in den Oftersheimer Süden. Doch seine Eltern, die wie so manche andere Bewohner lange Zeit noch im Nebenerwerb eine Landwirtschaft betrieben, und viele ältere Bewohner berichteten ihm von klein auf von den Anfangsjahren. „Das waren einfach andere Zeiten, da musste es pragmatisch zugehen. Um teure Werkzeuge und Gerätschaften für den Hausbau und weitere Tätigkeiten anschaffen zu können, taten sich die Bewohner deshalb bald in der Siedlergemeinschaft zusammen“, erklärt Harry Schreiner.

Eine typische Szenerie im südlichen Teil der Siedlung: Die Doppelhäuser sind architektonisch schlicht gehalten, verfügen aber über große Gärten. Früher dienten sie dem Anbau von Obst und Gemüse oder der Tierhaltung, heute sind sie oft grüne Refugien für die Erholung der Bewohner. © Benjamin Jungbluth

Der 16. August 1952 ist das offizielle Gründungsdatum der Vereinigung. „Man hat sich in den Anfangsjahren einfach gegenseitig helfen müssen, dadurch war die Kameradschaft automatisch größer. Zudem lebten in der Siedlung sowohl Einheimische als auch Heimatvertriebene, so dass zwei Bevölkerungsgruppen erstmal zusammenwachsen mussten. Da half diese Form der Gemeinschaft“, sagt Schreiner.

Die Bauweise der damaligen Zeit war den Umständen geschuldet recht schlicht. Oft kamen einfache Hohlblocksteine und Holzbalkendecken zum Einsatz. Daran änderte sich auch nichts Grundlegendes, als 1978 die letzten 31 Bauplätze im Bereich Kuhbrunnenweg und Waldfrieden umgelegt wurden. „Hier haben viele ehemalige Mieter aus den Anfangsjahren später selbst gebaut. Gleichzeitig lag der Fokus bei der Vergabe immer auf Familien mit Kindern. In ihrer Hochphase hatte die Siedlung deshalb rund 1.200 Einwohner“, betont Schreiner.

Gaststätten und Lebensmittelgeschäfte vor Ort

Entsprechend wuchs mit den Jahren die Infrastruktur: Die Hardtwaldsiedlung hatte lange Zeit nicht nur die bis heute bestehenden Gaststätten zu bieten, sondern auch mehrere Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien und Metzgereien. Eine davon betrieb die Familie von Liselotte Krepper ab 1953 im hinteren Anbau und der Garage ihres Wohnhauses. „Eigentlich wollten meine Eltern eine Metzgerei zur Straßenseite hin eröffnen, aber auch hier gab es damals strenge Vorgaben: Die Außenansicht der Häuser durfte nicht verändert werden“, erzählt Liselotte Krepper, die viele Jahre als Verkäuferin im Familienbetrieb mitarbeitete.

Die Nachfrage nach Fleischwaren war in der Siedlung jedenfalls lange ungebrochen: Nachdem Lotte Kreppers Mann Erwin 1980 als einer der Initiatoren das erste Siedlerfest ins Leben gerufen hatte, gab es dort später als Hauptgewinn mal eine ganze lebende und mal eine bereits geschlachtete halbe Sau. „Da ging es mitunter zünftig zu“, erinnert sich auch Gaby Bursa. Die 75-Jährige ist ebenfalls in der Hardtwaldsiedlung aufgewachsen und bis heute in der Gemeinschaft aktiv.

Aus Nutzflächen wurden bunte Gärten

„Wie viele andere Bewohner auch, hatten meine Eltern in den 50er- und 60er-Jahren eigene Schweine im Garten, außerdem haben wir viel Obst und Gemüse angebaut. Entsprechend waren die Häuser so ausgelegt, dass es außenherum genug Grünflächen gab. Heute nutzen das viele Bewohner, um im Garten schöne Blumen und gemütliche Sitzgelegenheiten zu haben, aber damals war das eine eher pragmatische Notwendigkeit.“

Zu den wenigen öffentlichen Gebäuden in der Siedlung gehört dieser Umspannturm in der Breslauer Straße. © Benjamin Jungbluth

Weil mit der Zeit die Ansprüche wuchsen und die Menschen den Bedarf nach mehr Wohnfläche entwickelten, wurden trotz des strengen Baurechts neue Möglichkeiten geschaffen. Seitlich und nach hinten raus durften die Häuser erweitert werden, bei großen Grundstücken war irgendwann sogar der separate Bau neuer Gebäude im hinteren Garten erlaubt.

„Die Leute leben hier heute in größeren und modernisierten Häusern. Aber alles geht auf unsere Pionierarbeit vor rund 75 Jahren zurück“, sagt die 96-jährige Liselotte Krepper. „Damals haben wir zusammen die Hardtwaldsiedlung erbaut, in der wir seitdem gerne leben.“

Freier Autor Freier Journalist für die Region Heidelberg, Mannheim und Rhein-Neckar. Zuvor Redakteur bei der Schwetzinger Zeitung, davor Volontariat beim Mannheimer Morgen. Neben dem Studium freie Mitarbeit und Praktika u.a. beim Mannheimer Morgen, der Süddeutschen Zeitung, dem SWR und der Heidelberger Studentenzeitung ruprecht.

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