Interview

Ehemaliger Bürgermeister Jens Geiß: „Oftersheim ist meine Gemeinde“

Im September 2022 verlor der damalige Amtsinhaber Jens Geiß die Bürgermeisterwahl in Oftersheim. Im Gespräch mit dieser Zeitung blickt der ehemalige Kommunalpolitiker zurück.

Von 
Lukas Heylmann
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Mehr Zeit für seine Töchter: Der ehemalige Oftersheimer Bürger-meister Jens Geiß ist oft mit ihnen unterwegs. © Geiß

Oftersheim. Rund eineinhalb Jahre später wirkt Geiß im Interview, als hätte er damit seinen Frieden gemacht – und spricht offen über seine Zeit nach dem höchsten Amt im Rathaus, seine Familie und eine mögliche Rückkehr in die Kommunalpolitik.

Ein Blick zurück in den September 2022: Was waren Ihre Gedanken, nachdem klar war, dass Sie die Bürgermeisterwahl nicht gewonnen haben?

Jens Geiß: Es war ja nicht komplett überraschend – auch aufgrund der Vorgeschichte mit dem Gemeinderat. Schon bevor alle Wahlbezirke ausgezählt waren, habe ich Pascal Seidel gratuliert, als ich absehen konnte, dass es nicht reicht. Bürgermeister ist ein Wahlamt und da muss man damit leben, dass man auch eine Wahl verlieren kann. Viele, die mich nach der Wahl gefragt haben, wie es mir geht, haben erwartet, dass ich total niedergeschlagen bin. Aber das war nicht der Fall. Ich denke, ich bin recht sachlich damit umgegangen. Es hat wohl geholfen, dass es so deutlich ausgefallen ist. Eventuell hätte ich sonst mehr gehadert.

Die Reisen führen die Familie mit Mutter Julia unter anderem auch nach Reims. © Geiß

Sie haben die Vorgeschichte mit dem Gemeinderat – also die gemeinsame Erklärung aller Fraktionen – eben angesprochen. Wie stehen Sie dazu heute mit etwas Abstand?

Geiß: In Deutschland haben wir zum Glück das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Vorgehen war sicher ungewöhnlich, aber legitim. Es kamen danach einzelne Ratsmitglieder auf mich zu und haben mir gesagt, dass der Plan ihnen gegenüber anders dargestellt worden sei, als er letztlich umgesetzt wurde – beispielsweise, dass die Erklärung auch direkt über die Presse lief. Aber es ist okay – jeder kann das machen, wie er möchte. Auch während meines Wahlkampfs haben das Thema aber viele Menschen angesprochen. Der Tenor bei vielen war: Da wurden siebeneinhalb Jahre Beschlüsse einstimmig oder mit ein bis zwei Gegenstimmen gefasst und kurz vor Ende einer Amtszeit kommt dann so etwas. Meine beiden letzten Jahre als Bürgermeister waren Corona-bedingt nicht die einfachste Zeit – dies möchte ich aber nicht vorschieben. Ich bin grundsätzlich jemand, der eher nach vorne schaut.

Wie haben Sie die Zeit direkt nach der Wahl gestaltet?

Geiß: Ich habe direkt am nächsten Tag notwendige Schritte eingeleitet, also mich zum Beispiel beim Jobcenter als arbeitssuchend ab 1. November gemeldet. Außerdem habe ich mich mit alten Kontakten aus der Arbeitswelt in Verbindung gesetzt. Dass ich dann doch erst im Dezember 2023 eine neue Stelle angetreten habe, lag also an anderen Dingen. In einer normalen Vita hat man diesen Luxus eher nicht, sich ein Jahr Zeit nehmen zu können, um Dinge zu unternehmen. Das betrachte ich im Nachhinein fast schon als Geschenk.

Wie ging es Ihnen mit dieser freien Zeit?

Geiß: Am meisten hat die Familie profitiert, also meine Ehefrau Julia und meine drei Kinder. Als Beispiel: Lilli, unsere älteste Tochter, ist im Dezember 2015 auf die Welt gekommen, da war ich ein Jahr im Amt. Das bedeutet: Sieben Jahre ihres Aufwachsens waren davon geprägt, dass wir uns eher selten gesehen haben. Wegen der Familie habe ich bewusst entschieden, mir die Zeit zu lassen. So war es jetzt für die Kinder auch eine Umstellung, dass ich tagsüber wieder arbeiten gehe. Ich hatte außerdem wieder mehr Zeit für die Musik, die in meinem Leben schon immer einen großen Stellenwert einnahm und konnte wieder einige Samstage mit den Ahrschippern an der Ahr gutes tun.

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Wie haben Sie die Zeit mit Ihrer Familie genutzt?

Geiß: Wir sind viel gereist. Zufällig haben wir die Möglichkeit entdeckt, Camper günstig zu mieten, wenn man sich dafür zu einer Überführungsfahrt bereit erklärt. Erstmals habe ich das nur mit meinen beiden Töchtern gemacht. Da sind wir innerhalb einer Woche über die Schweiz nach Italien und durch Frankreich nach Spanien gefahren. So etwas haben wir über das Jahr in unterschiedlichen Konstellationen noch viermal gemacht und Europa so quasi einmal von oben nach unten kennengelernt. Außerdem hatten wir Dauerkarten für die Buga und waren dementsprechend oft – manchmal auch ganz spontan – in Mannheim.

Vermissen Sie etwas am Dasein als Bürgermeister?

Geiß: Natürlich gab es Sitzungen bis spät abends und sonst viele Termine am Wochenende, aber ich habe das immer gerne gemacht. Für mich war das nie eine Last. Ich war gerne bei den Vereinen und den Bürgern. Aus dem Amt zu gehen, ist eine Vollbremsung von 160 auf null. Mit etwas Abstand würde ich nicht sagen, dass ich es vermisse. Ich bin sehr zufrieden mit der jetzigen Situation und mit mehr Planbarkeit in der Freizeit.

Wobei sind Sie froh, dass Sie es los sind?

Geiß: Es ist schön, sich selbst steuern zu können. Man sieht das von außen vielleicht nicht, aber zum Amt gehört sehr viel Fremdbestimmung, allein schon wegen der Termine, bei denen man oft vom einen zum anderen hetzen muss. Und es gibt immer noch viele Themen, bei denen ich froh bin, mich nicht als Bürgermeister mit ihnen befassen zu müssen. Wir haben immer noch eine schwierige wirtschaftliche Lage, das merkt man natürlich auch dem kommunalen Haushalt an. Das Thema Geflüchtete ist nach wie vor auf der Agenda, da gibt es viel zu tun, aber hier können wir uns sehr glücklich schätzen über die Arbeit unseres Asylkreises, der ja dieser Tage sein 35-jähriges Bestehen feiern durfte. Den Akteuren dort bin ich unendlich dankbar – ohne deren ehrenamtliches Engagement wäre schon vieles kollabiert. Wenn eine Straßenlaterne nicht geht, bin ich auch froh, dran vorbeifahren zu können und nicht die Nummer ans Bauamt weitergeben zu müssen (lacht). Aber ich muss betonen, dass die Oftersheimer immer respektiert haben, dass es auch mal freie Zeit für mich war, wenn ich zum Beispiel mit meiner Frau im Ort unterwegs war. Da habe ich von Amtskollegen andere Geschichten gehört. Vielleicht ist es auch gut für meine Kinder, nicht als Kinder des Bürgermeisters aufzuwachsen. Rein gesundheitlich ist es vorteilhaft, den Stress nicht mehr zu haben. Ich habe rund 20 Kilogramm abgenommen, weil ich die Bewegung wieder in den Alltag integrieren konnte. In der Amtszeit fehlt einem da oft die Regelmäßigkeit.

Blickt man als ehemaliger Bürgermeister anders auf die Gemeinde als es andere Bürger tun?

Geiß: Ich weiß natürlich nicht, wie andere auf den Ort schauen. Natürlich ist bei mir ein besonderes Interesse da, aber nicht nur, weil ich Bürgermeister war, sondern weil ich mich für die Kommunalpolitik interessiere. Ich schaue mir immer noch die Tagesordnungen der Gemeinderatssitzungen an. Außerdem sprechen Pascal Seidel und ich auch manchmal über Dinge, die nicht öffentlich sind – sofern er das darf. Das Interesse kann man nach Ende der Amtszeit nicht einfach wegwerfen. Ich habe den Job ja auch mit Leidenschaft gemacht.

Hatten Sie nach der Wahl 2022 je den Gedanken, aus Oftersheim wegzuziehen?

Geiß: Das war für mich nie ein Thema. Wir sind hier verwurzelt, es ist immer noch meine Gemeinde und meine Heimat. Die Kinder gehen hier zur Schule oder in den Kindergarten. Ich hatte nie den Eindruck, ich müsste flüchten. Wenn ich Menschen in der Gemeinde treffe, freuen sie sich immer noch. Mir hat noch niemand vor die Füße gespuckt, auch nicht im übertragenen Sinn. Ich konnte gut mit der Niederlage umgehen und die Oftersheimer sind ja ein offenes Völkchen.

Kommt eine Rückkehr in die Kommunalpolitik für Sie in Frage?

Geiß: Ich will es nicht per se ausschließen. Was nicht in Frage kommt, wäre eine Rückkehr an den Gemeinderatstisch. Das war für mich von Anfang an klar. Ich sehe das als Gebot der Fairness und des Respekts dem eigenen Nachfolger gegenüber. Und ich durchwühle auch nicht den Staatsanzeiger nach Bürgermeisterposten. Aber ich habe mich schon als junger Mensch gerne politisch für Oftersheim engagiert. Ich stand 1999 erstmals zur Wahl, später war ich über zehn Jahre im Gemeinderat, bevor ich Bürgermeister wurde. Eine Kandidatur für den Kreistag könnte ich mir aber beispielsweise vorstellen.

Wie gut macht Pascal Seidel aus Ihrer Sicht seinen Job bisher?

Geiß: Sehr gut. Pascal Seidel ist Verwaltungsmann durch und durch. Man könnte sagen, es war überraschend, dass er nicht schon 2014 angetreten ist. Da hätte er das Rüstzeug auch schon aus Schwetzingen gehabt. Ich lasse auf ihn nichts kommen und mag ihn auch persönlich. Es ist aber klar, dass jeder eine andere Handschrift hat. Ich kommentiere die Dinge aber nicht oder sage: Das hätte ich anders gemacht. Seinen Teil denkt man sich natürlich – das liegt in der Natur der Sache. Möglicherweise merkt nun auch der eine oder andere, wenn er durch die Gemeinde geht, dass manches nicht so schnell geht, wie man es gerne hätte. Auf jeden Fall wünsche ich Oftersheim auch für die Zukunft eine gedeihliche Entwicklung!

Was können Sie zu Ihrer neuen Stelle sagen?

Geiß: Ich bin wieder bei einer Bank im Kreditbereich tätig und hatte letztlich auch das Glück, sogar zwischen zwei Angeboten wählen zu können. Ich habe mich dann für Heidelberg als Arbeitsplatz entschieden. Zwischendurch habe ich mich aber auch in anderen Feldern umgesehen. Da war zum Beispiel der soziale Bereich ein Thema, aber das kam nicht zur Umsetzung.

Womit beschäftigen Sie sich abseits der Arbeit in der Bank?

Geiß: Ich war im vergangenen Jahr als Freundschaftsdienst für einen Bestatter einige Male Trauerredner. Und ich habe auch bei meiner neuen Stelle angesprochen, dass ich das gerne nebenberuflich weitermachen würde. Ich habe das nie beworben und gehe jetzt erstmals damit an die Öffentlichkeit. Das ist für mich ein Weg, der Gemeinschaft etwas anzubieten beziehungsweise zurückgeben zu können.

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