Kommunalpolitik

Nach Paukenschlag im Gemeinderat: Jens Geiß, Jens Rüttinger und Patrick Schönenberg äußern sich

Nach der Veröffentlichung massiver Kritik an Bürgermeister Jens Geiss vonseiten des Gemeinderats hat die Schwetzinger Zeitung bei beiden "Seiten" nachgehakt.

Von 
Joachim Klaehn
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Der von den Parlamentariern kritisierte Bürgermeister Jens Geiß kontert die Angriffe und verweist auf die Errungenschaften in seiner Amtszeit seit 2014. © Lenhardt Norbert

Oftersheim. Es ist zugegeben nicht ganz einfach, im Dickicht von politischen und persönlichen Motiven, strategischen Überlegungen, Erfolgen, Misserfolgen, Kommunikationsproblemen und Grundschwingungen in einer Gemeinde den Überblick zu behalten. Doch mit dem Gang aller 22 Oftersheimer Gemeinderäte in die Öffentlichkeit wurden die Koordinaten im Hinblick auf die bevorstehende Bürgermeisterwahl am Sonntag, 18. September, am Donnerstagabend mit einer gemeinschaftlichen, höchst brisanten Stellungnahme (wir berichteten) aller fünf Fraktionen neu ausgerichtet.

Die Schwetzinger Zeitung hakte bei beiden „Seiten“ ausführlich nach, was der Paukenschlag und Vorstoß einer Resolution für den Mikrokosmos einer 12 500 Einwohner zählenden Gemeinde, für das Binnenklima, die Fraktionen und einzelnen Bürgervertreter sowie für den scharf kritisierten amtierenden Amtsträger bedeutet.

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Verwaltungschef kontert

Bürgermeister Jens Geiß empfängt den Medienschaffenden in seinem Büro. Er hat keine allzu gute Nacht gehabt - verständlicherweise. Der Frontalangriff erwischte ihn sieben Wochen vor dem Wahltermin eiskalt. Geiß schildert, dass ihn am Morgen mehrere Rathausmitarbeiter aufgesucht hätten. Unverständnis, Irritationen, Solidarität und Schulterklopfen gehören dazu. Es ist ja nicht mehr aus der Welt zu schaffen dieses Schreiben des Gemeinderats. Geiß sagt, es erkläre ein Stück weit, warum es bei der letzten Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause am Dienstag, 26. Juli, vergleichsweise ruhig zugegangen sei. „Es ist Wahlkampf“, reagiert er äußerlich überraschend gelassen, „man muss in einer Gemeinde ja zusammenarbeiten und der politische Streit gehört dazu. Am Ende heißt die Sache Oftersheim.“

Der Rathauschef versucht zu versachlichen und zu objektivieren. Aus seiner Perspektive heraus hätten sich am Freitag „drei Ratsmitglieder bei mir gemeldet“, die den Inhalt des Schriftstücks nicht teilen würden beziehungsweise mit der gewählten Vorgehensweise der Veröffentlichung haderten. Unterm Strich ist das ein halbherziger Rückzug. Ein Kuriosum, denn zu den unverrückbaren Fakten zählt, dass 22 Namen unter der Resolution stehen.

Der Amtsinhaber kommentiert die Vorwürfe. „Hier passiert die Wirklichkeit“, konstatiert er, „man muss in der Verwaltung Dinge priorisieren. On top kam für Oftersheim wie vielen anderen Gemeinden hinzu, eine Pandemie händeln zu müssen. Wir sind nicht dagesessen und haben Däumchen gedreht.“

Der Gemeinderat sei „das oberste Organ, und da haben wir gemeinsam einiges in den vergangenen acht Jahren auf den Weg gebracht“, so Geiß weiter. Drei Aspekte sind ihm wichtig zu betonen. Der Gemeinderat habe fast immer den Beschlüssen zugestimmt, die Gemeinde sei „wirtschaftlich gut unterwegs mit teilweise mehr als zwei Millionen Euro Überschuss“ in einem Haushaltsjahr und ein Gegeneinander bringe niemandem etwas. „Das Schreiben ist ein Affront. Ich muss mich diesbezüglich auch vor meine Mitarbeiter stellen“, sagt der Verwaltungsherr einer Behörde, die aus Amtsleitern und vielen Mitarbeitern besteht.

Logisch, dass der Attackierte seine grundsätzliche Herangehensweise („Politik in der Gemeinde hat mit Realität zu tun.“) verteidigt. Geiß führt Positivbeispiele während seiner Ära an. Man habe 2015/16 die Flüchtlingskrise gemeistert, Wohngebäude für Asylsuchende errichtet, das Rettungszentrum geplant und eingeweiht, den TSV-Sportplatz saniert, die Gemeindeentwicklung mit der „STEG“ forciert, die 30er Tempozone fast flächendeckend durchgesetzt, die Ganztagesgrundschule in der Theodor-Heuss-Schule installiert, in die Elektrotechnik der der Friedrich-Ebert-Schule investiert, die Verschuldung im Kernhaushalt in Höhe von 6 Millionen Euro von End 2014 sowie alle hochverzinslichen Darlehen komplett zurückgeführt und die Aktiva der Gemeinde beliefen sich aktuell auf über 80 Millionen Euro. Es sind Aussagen eines gelernten Betriebswirts und Pragmatikers.

Geiß wird für einen kurzen Moment emotional: „Ich lebe Oftersheim, ich liebe Oftersheim!“ Gewisse Aktionen wie beispielsweise der Abbau beim Ortsmittefest seien für ihn selbstverständlich. Er zähle nicht Stunden und Überstunden, er übe „das Amt sehr gerne aus“. Am 16. November 2021 habe er bereits den Sitzungskalender 2022 an alle Gemeinderäte verschickt. Sein Selbstverständnis: „Ich bin für 12 500 Oftersheimer da, die muss ich alle im Blick haben“, sagt Geiß. Alle Wünsche könne er aber beileibe nicht erfüllen.

Schock sitzt tief

Der Schock der Stellungnahme sitzt erst einmal tief. Geiß muss es sacken lassen, verarbeiten und nacharbeiten. „Ich bin weit davon entfernt, fehlerfrei zu sein“, räumt er ein. Den Vorwurf zur Außendarstellung, zu der maßgeblich sein Facebook-Account gehört, gebe es schon lange. Jens Geiß sieht das so: „Facebook ist Teil meines authentischen Auftretens. Während der Coronazeit habe ich ihn tagtäglich bestückt, das ist für mich zugleich Service am Bürger.“

Aufgeben ist für den Bürgermeister keine Option. Er hat seine Bewerbung abgegeben, den Hut in den Ring geworfen. „Es gibt wichtige Aufgaben in Oftersheim, ich möchte weitergestalten. Mit dem Gemeinderat will und muss ich einen Modus Operandi finden, sollte ich wieder gewählt werden“, sagt er und lässt durchblicken, dass der Prozess der Selbstreflexion nunmehr richtig begonnen hat.

Besorgniserregende Entwicklung

Im Büro des SPD-Fraktionsvorsitzenden Jens Rüttinger, das sich wie das Rathaus in der Mannheimer Straße befindet, betrachtet man die Entwicklung in der Gemeinde mit Sorge. Genosse Rüttinger und der Grüne Patrick Schönenberg führen stellvertretend für die Geiß-Kritiker und die Fraktionsvorsitzenden das Anschlussgespräch mit dieser Zeitung. Von drei Abrückern der Stellungnahme wissen sie nichts. „Es haben alle gesagt, dass sie dahinterstehen“, sagt Schönenberg. „Wir sind schon früh mit der Amtsführung von Geiß unzufrieden gewesen. Jede Fraktion hat es angesprochen - schon 2017 gab es zwei gemeinsame Anträge zu den Themen Verkehr und Flüchtlingsunterbringung nach einer offenen Tagung im Heidelberger Kloster Neustift. Ohne den Bürgermeister“, fügt Rüttinger hinzu. Er verrät, dass die Stellungnahme für einige der Räte nicht scharf genug, sondern zu diplomatisch ausgefallen sei. „Letztendlich ist solch ein Schreiben immer eine Art von Kompromiss“, so der erfahrene Kommunalpolitiker.

Übers vergangene Wochenende wurde die Stellungnahme abgestimmt und dann noch mit vereinten Kräften an den Feinheiten und Formulierungen bis Donnerstagvormittag getüftelt. Das Fass sei schlichtweg übergelaufen. „Wir hatten es in den letzten Gemeinderatssitzungen einfach aufgegeben. Wir waren alle gefrustet und unzufrieden, es hat keinen Spaß mehr gemacht. Doch es geht ja darum, dass wir gute Ergebnisse für die Gemeinde erzielen“, meint Rüttinger. Schönenberg weist darauf hin, dass die Räte Jobs und Familie hätten, also müsse in den Sitzungen und danach auch als Ehrenamtlicher, womöglich mit mehreren Funktionen, etwas Sinnvolles und Konstruktives für die Kommune herauskommen. Meist sei es seit 2014 freilich so gewesen, dass „die Energie, die wir reinstecken, verpufft“, berichtet Schönenberg.

Aus Sicht der Gemeinderäte und Fraktionen Freie Wähler (FWV), CDU, Grüne, SPD und FDP sei die Mängelliste von Geiß ellenlang. Hauptkritikpunkt sei die Amtsführung. Gemeinderatssitzungen hätten oftmals Workshop-Charakter und seien laut Jens Rüttinger unzulänglich vorbereitet, sogar „Amtsleiter sind teilweise nicht entsprechend vorinformiert“. Unisono betonen die beiden, dass Jens Geiß ein durchweg „sympathischer Mensch“ sei, doch demgegenüber stünden mangelnde Entscheidungsfreude und das Nichtnutzen beziehungsweise die Teilnutzung der „geballten Fach- und Sachkompetenz“.

Die Vorstellung und das Anforderungsprofil der neuen Bürgermeisterin oder des neuen Bürgermeisters: eine andere Amtsausübung. „Man muss führen und in allen Belangen ein Vorbild sein“, monieren Rüttinger und Schönenberg den kolportierten Geiß’schen Hang zu Abwesenheiten.

Im Kern laufen die Beanstandungen darauf hinaus: fehlende Inhalte, fehlende Projekte sowie deren schleppende oder nicht vorhandene Umsetzung, zu wenige Impulse, zu wenig Transparenz, Kommunikation und Informationsfluss. „Wir haben Jens Geiß immer wieder auf die Problematiken hingewiesen“, erörtert Jens Rüttinger, „er sagt dann, dass er sich darum kümmert, doch in Wahrheit passiert dann wenig oder nichts. Da spielt leider eine gewisse Beratungsresistenz mit rein.“

Den Ratsmitgliedern stellten sich die Nackenhaare, wenn die typischen Antworten „Ich habe das auf dem Schirm“ oder „Ich nehme das mit“ fallen, beschreibt Schönenberg anekdotisch.

Als Beleg der verschobenen und nicht realisierten Projekte nennen Rüttinger und Schönenberg die Anträge zum Haushalt 2016 aus der Gemeinderatssitzung vom 22. November 2016. Antrag 1, die Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft, und Antrag 5, Errichtung eines Wasserspielplatzes auf einem bestehenden Spielplatz, seien damals vom Gemeinderat beschlossen worden - und bis Ende Juli 2022 immer noch nicht umgesetzt. Nach Gemeinderatssitzungen würde es ferner ewig dauern, bis die Protokolle der Sitzungen die Gemeinderäte erreichten.

Deutliches Zeichen

Wie dem auch sei: Der Gemeinderat hat in aller Deutlichkeit, Schärfe und Tragweite ein unmissverständliches Zeichen gesetzt. „Unser Ziel ist ganz klar kein ,Weiter so‘!, wer auch immer am 18. September als Bürgermeister gewählt wird, die Neue oder der Neue soll sich mit unserer Unterstützung auf die Sacharbeit konzentrieren“, blickt Schönenberg in die nahe Zukunft, „unser Ziel ist es, die Gemeinde voranzubringen und nicht Jens Geiß bloßzustellen.“

Man braucht kein Prophet zu sein: „Ofdasche“ steht vor heißen sieben Wochen und womöglich darüber hinaus, wenn am 1. November die neue Amtszeit beginnt. Das Dickicht an politischen Prozessen wird bleiben. In der Gemeinde steht nachvollziehbare Aufklärung und jede Menge Aufarbeitung an. Alles andere würde zur Lage dieser Kommune nicht passen.

Jens Rüttinger (l.) und Patrick Schönenberg stellen sich im Namen des Oftersheimer Gemeinderats den Fragen dieser Zeitung. Am Donnerstagabend hatte sich das 22-köpfige Gremium in einer öffentliche Stellungnahme geäußert. © Lenhardt

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