Oftersheimerin Carmen Kurz-Ketterer: Pflege ist nicht selbstverständlich

Die Oftersheimerin Carmen Kurz-Ketterer eine Institution in der Pflegebranche zu nennen, trifft es ziemlich genau. Ihre Ausbildung im Klinikum Mannheim schloss sie 1990 mit damals 21 Jahren ab und wechselte bereits 1994 in die Selbstständigkeit. Wir sprechen mit ihr über den Pflegeberuf.

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Stefan Kern
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Carmen Kurz-Ketterer (2. v. r.) mit ihrem Team. Die gelernte Pflegekraft setzt sich dafür ein, ihrem Berufstand in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. © Kern

Oftersheim. Nach vier Jahren am Klinikum wagte Carmen Kurz-Ketterer 1994 mit einem ambulanten Pflegedienst den Sprung in die Selbstständigkeit. Angefangen hat sie mit drei Mitarbeitern, mittlerweile sind es 36. Im Jahr 2007 begann sie, sich aktiv in den Berufsverband „Arbeitgeber- und Berufsverband Private Pflege“ (ABVP) einzubringen. „Pflege muss eine hörbare Stimme haben“, so ihr Motto. Seit 2019 ist sie Vorsitzende des Berufsverbandes ABVP und man tritt ihr nicht zu nahe, wenn man sagt, dass sie hörbar ist. Und das ist gut so, denn die Pflege in Deutschland ist sukzessive in sehr schwieriges Fahrwasser geraten.

Bevor wir in Sachen Pflege in Deutschland zu den Schwierigkeiten kommen. Was gefällt Ihnen am Pflegeberuf?

Carmen Kurz-Ketterer: Pflege ist ein sehr anspruchsvoller Beruf. Als Pfleger ist man gefordert, ständig Neues zu lernen und am jeweils aktuellen Standard dranzubleiben. Man kann mit Wissen und Professionalität kleine Dinge für den Patienten besser machen, oft sogar, ohne dass es die Patienten bemerken. Gute Pflege benötigt Empathie, Wissen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin mit der Pflege direkt an den Menschen. Und die Dankbarkeit der Menschen ist eines der schönsten Ereignisse, die man erleben kann. Dazu gehört es auch, zu erleben, wie die Patienten gegenüber uns Pflegekräften Vertrauen entwickeln. Es sind Momente, in denen man weiß, warum man Pflegerin wurde.

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Nach einem langen und sicher auch anstrengenden Tag, wie denken Sie dann über ihren Beruf?

Kurz-Ketterer: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Tage, da würde man am liebsten alles hinwerfen. Aber die meiste Zeit ist es so, dass es sich lohnt, für die Patienten da zu sein. Für sie Lösungen zu suchen, im Kleinen zu helfen und zu sehen, das gute Pflege wertvoll ist. Da spreche ich nicht von dem Lohn, sondern vom dem, was gute Pflege leisten kann.

Wo sehen Sie heute die größten Probleme?

Kurz-Ketterer: Pflege erschien jahrzehntelang allzu selbstverständlich. Als ich mit dem Beruf angefangen habe, war er auch noch gut bezahlt. Leider hat man darüber aber vergessen, Anpassungen vorzunehmen. Auch glaubte man sehr lange, dass die Pflege nie ein Personalproblem bekommen könnte. Zudem wurden Pflegekräfte zunehmend als zu teuer angesehen. In der Folge wurden immer mehr Hilfskräfte auf die Kunden losgelassen. Bitte mich nicht falsch verstehen, viele davon haben gute Leistungen abgeliefert. Ich habe einige Hilfskräfte kennengelernt, die in der direkten Pflege mehr Empathie hatten als Pflegefachkräfte. Aber oft ohne Grundschulung, ohne Anleitung, ohne Einarbeitung. Nun kommt meine Frage: Warum muss ich drei Jahre lernen, wenn jeder einen Waschlappen schwingen darf? Waschlappen schwingen kann jeder, Pflegen nur gelerntes Personal. Examinierte Pflegekräfte wurden ins Büro vertrieben, um zu dokumentieren. Pflege wurde geteilt in der Versorgung am Bett durch Hilfskräfte und medizinische Versorgung. Somit wurde der Beruf Pflegefachkräfte reduziert auf medizinische Maßnahmen. Es fand eine Abwertung des Berufes und eine Art Entfremdung vom Patienten statt. Für mich gehört die Pflege komplett in die Hände von Pflegefachkräften. Allzu oft werden Pflegefachkräfte aber als ersetzbar angesehen. Es kann ja jeder. Nein! Eben nicht! Während Corona wurde geklatscht. Danke, aber dafür kann sich niemand ein Brot kaufen. Ein weiteres Problem ist die Arbeit von ausländischen 24-Stunden-Kräften. Diese arbeiten für einen sehr geringen Lohn in der Häuslichkeit. Vermittlungsfirmen bekommen eine hohe Gebühr. Ich verstehe die Familien, wenn sie es tun. Ambulante Pflege und stationäre Versorgung sind nicht günstig. Aber das Geld fließt ins Ausland. Sozialabgaben werden nicht in Deutschland abgeführt.

Welche Stellschrauben gibt es, um den Fachkräftemangel beizukommen?

Kurz-Ketterer: Ein erster Schritt haben wir im ABVP gemacht. Gemeinsam mit der Gewerkschaft der GÖD wurde ein neuer, bundesweit einheitlicher Tarifvertrag verhandelt. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn meinte damals, es muss nach Tarif bezahlt werden und ein Gehalt von 4000 Euro wäre zu zahlen. Dies haben wir in unserem Tarifvertrag als Grundlage genommen. Viele meiner Kollegen haben aber Angst vor der Umsetzung. Weil allen klar ist, am Ende muss der Kunde mehr zuzahlen. Ein guter Weg wäre, dem Pflegebedürftigen die Leistungen über die Pflegekasse vollständig zu bezahlen. Und zwar die Leistungen, die der Medizinische Dienst festlegt. Nicht selten ist es so, dass mit den Mitteln die Wohnung geputzt wird. Sogar Gartenpflege wird übernommen. Aber die wirkliche Pflege bleibt auf der Strecke. Das Pflegegeld – (Das Pflegegeld wird der pflegebedürftigen Person von der Pflegekasse überwiesen. Diese kann über die Verwendung frei verfügen, Anm. d. Red.) war gut gemeint. Wurde aber oft für alles andere benutzt. Das Haus der Kinder mitfinanziert. Das Studium des Enkels oder das dringend notwendige neue Auto. Mit Pflege hat das nichts zu tun. Aber da traut sich niemand dran. Es gibt Pflegepersonen, die sich das Pflegegeld hart verdienen, aber es ist selten. Ein weiterer Schritt wäre, damit aufzuhören, den Fachkräften immer mehr Standards vor die Nase zu stellen. Eine ausgebildete Pflegefachkraft braucht diese Standards nicht. Sie hat in der Ausbildung gelernt, was sie tun kann. Für mich war auch der Schritt, die Pflege zum Studiengang zu machen, eine Abwertung der regulären Pflege. Wir brauchen nicht noch mehr Akademiker, die dann nicht direkt am Bett stehen wollen.

Welche bürokratische Regel würden Sie am liebsten zum Teufel wünschen?

Kurz-Ketterer: Die Bürokratie an sich. Es gäbe so einiges, was hier wegrationalisiert werden könnte. In meinem Dienst arbeiten wir mit der mobilen Datenerfassung. Trotz allem muss noch ein handschriftlicher Nachweis geführt werden. Hier schreit es geradezu nach Fehleinträgen. Das ist dann aber kein Betrug, sondern einfach am falschen Tag die Leistung gekürzt. Oder Bezahlung erst nach Genehmigung durch das Landratsamt. Dies bedeutet: Patient kommt nach Hause und Pflege ist angezeigt. Zuerst muss aber ein Antrag gestellt werden. Stationär wird sofort die Kostenübernahme erteilt, auch rückwirkend. Im ambulanten Bereich leider nicht. Da können Wochen und sogar Monate vergehen. Wenn dann der Patient stirbt, bleibt der Pflegedienst auf den Kosten sitzen. Oder das Landratsamt kommt auf die Idee, der Patient wäre im Heim günstiger untergebracht. Ich würde dies als Frechheit bezeichnen. Oder Leistungen werden reduziert, ohne den Patienten gesehen zu haben.

Wie könnte eine nachhaltige Finanzierung der Pflege aussehen?

Kurz-Ketterer: Die Pflege muss zu einer Vollversicherung werden. Dies bedeutet nicht, dass der Kunde alles bezahlt bekommt, was er möchte, sondern das, was er braucht. Pflege gehört in die Hand von Pflegekräften. Haushaltsreinigung gehört bestimmt auch dazu, aber sollte nicht der Hauptbestandteil sein.

Glauben Sie, dass der Wert Ihrer Arbeit in der Gesellschaft mittlerweile den Stellenwert genießt, der ihr zukommen müsste?

Kurz-Ketterer: Nein. Mir ist bewusst, dass ich durch diesen Artikel wieder viele böse Kommentare zu hören bekomme. Sogar Pflegekräfte selbst sehen ihre Arbeit nicht wertig. Das ist einer der schlimmsten Umstände. Andere Berufe sehen uns mit einem Lächeln an, weil sie mehr zu sagen haben. Wie kann dies sein?

Und ist dementsprechend auch das gesellschaftliche Problembewusstsein in Sachen Pflegenotstand wirklich größer geworden?

Kurz-Ketterer: Im Moment nimmt das Bewusstsein zu. Die ersten Kunden finden keinen Platz im Heim oder finden keinen Pflegedienst, der die Versorgung übernehmen kann. Die Pflege wird an die Wand gefahren. Und keiner bremst oder versucht das Lenkrad herumzureißen. Die Pflege, die es bis jetzt gibt, wird es in ein paar Jahren so nicht mehr geben. Es gibt Menschen, die mir sagen, die Pflege muss in staatliche Hand oder von der Wohlfahrt erbracht werden. Naja, ich kann mich an diese Zeit noch erinnern. Da war die Pflege, höflich formuliert, nicht so ausgedehnt wie heute. Qualität hat nichts mit dem Anbieter zu tun, sondern mit den Pflegekräften, die am Bett stehen. Klar gibt es private Investoren, die nur den Gewinn sehen. Aber die meisten, vor allem Inhaber, die selbst Pflegekräfte sind, wollen gute Pflege an den Markt bringen.

Wie sieht es mit der Bezahlung aus, ist diese angemessen?

Kurz-Ketterer: Das ist ein heißes Thema. Seit September 2022 müssen Pflegekräfte nach Tarif bezahlt werden. Der frühere Gesundheitsminister Spahn und viele andere meinten, dies würde zur Verbesserung der Bezahlung beitragen. Manche Verträge liegen aber unterhalb des Pflegemindestlohns. Das wollten wir nicht akzeptieren. Wie erwähnt, haben ein paar Pflegedienste im Umkreis den Tarifvertrag mit der GÖD verhandelt und umgesetzt. Somit liegt das Einstiegsgehalt einer Pflegefachkraft bei 4000 Euro. Aber auch andere Pflegekräfte sind hoch eingestuft worden. Diese Vergütung musste zuerst mit den Kassen verhandelt werden. Die Kassen haben uns belächelt und wollten die Verhandlungen nicht beginnen. Wir waren hartnäckig und haben uns durchgesetzt. Am Ende bedeutete das in Teilen eine Lohnsteigerung von bis zu 39 Prozent bis zum angepassten Lohn. Dies zeigt, wie weit weg wir von einem auskömmlichen Lohn waren.

Was ist angemessen?

Kurz-Ketterer: Ich bin der Meinung, wer gute Arbeit leistet, soll auch gutes Geld verdienen. An 365 Tagen im Jahr, egal, ob Wochenende, Feiertag, Nacht und sogar an Weihnachten wird gearbeitet. Auch wenn wir in der Fünf-Tage-Woche angekommen sein sollten, muss alles abgedeckt werden. In meinem Betrieb arbeiten die Mitarbeiter von morgens um 6 Uhr bei dem ersten Patienten und der letzte Patient wird oft erst nach 23 Uhr angefahren. Dienstanfang und Ende ist noch früher und später. Es müssen Materialien und Schlüssel besorgt werden und der Weg zum Kunden ist ja auch noch da. Und was auch dazu kommt, ist die Rufbereitschaft in der ambulanten Pflege. Diese ist unterschiedlich in den Diensten organisiert. Bei uns gilt für jede Pflegekraft drei bis fünf Tage im Monat. Mit Diensthandy nach Hause oder wohin auch immer und beim Notfall zum Kunden fahren.

Was verdient ein Berufsanfänger?

Kurz-Ketterer: Sehr unterschiedlich. Von 2500 bis 4000 Euro bei uns ist alles drin. Durchschnittlich bei ungefähr 3000 Euro Grundlohn.

Was kann der Einzelne tun, um für die Pflegebedürftigkeit vorbereitet zu sein?

Kurz-Ketterer: Ganz wichtig ist, zu wissen, was ich in der Zukunft an Pflege haben möchte. Wenn mir heute schon klar ist, dass ich meine Angehörigen nicht mit meiner Pflege beschäftigen und stattdessen ins Heim möchte, dann kann eine stationäre Versicherung zusätzlich abgeschlossen werden. Wenn ich zu Hause bleiben möchte, kann man schon in frühen Jahren damit beginnen, alles rollstuhlgerecht zu gestalten. Badezimmer und Schlafzimmer sollten auf einer Ebene sein. Und noch so einiges mehr. Dafür gibt es eine Wohnraumberatung, die man über die Kasse oder über den Pflegeberater der Gemeinde erfahren kann. Zusätzlich ist es ratsam, auch die ambulante Pflege abzusichern. Auch hier gibt es viele Anbieter. Die Vielfalt der Angebote sollte man sich aber genau anschauen. Ich rate dazu, die ambulante Pflege auf jeden Fall mitzuversichern.

Würden Sie einem Schulabgänger heute den Pflegeberuf ans Herz legen – und wenn ja, warum?

Kurz-Ketterer: Klar, auf jeden Fall. Aber bitte nur, wenn er sich für den Beruf interessiert und nicht, weil er sonst nichts findet. In der Pflege gibt es sehr viele Möglichkeiten zu arbeiten. Die unterschiedlichsten Fort- und Weiterbildungen gibt es auch. Klar muss halt sein, dass es kein Job von „nine to five“ ist, also nicht von 9 bis 17 Uhr.

Was muss jemand für diesen Beruf mitbringen?

Kurz-Ketterer: Empathie, Lernbereitschaft, Akzeptanz der Nähe zu Menschen, Deutschkenntnisse und, ja auch die Bereitschaft, sich in Dialekte hineinzuhören.

Welches Pflegeklischee würden Sie gerne aus der Welt schaffen?

Kurz-Ketterer: Pflegen kann jeder, diese Aussage finde ich ganz furchtbar. Es kann jeder einen Waschlappen schwingen, aber nicht pflegen. Pflegen besteht nicht nur daraus, jemanden zu waschen. Dazu gehört auch, mögliche Gefahren zu erkennen, vorzubeugen, zu beraten und bei Bedarf notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Und: „Das ist ein Beruf für Frauen.“ Hilfe, nein! Es gibt sehr viele Männer, die diesen Beruf machen. Und es gibt Frauen, die besser nicht in diesem Beruf unterwegs sein sollten. „Das muss ein kräftiger Mann machen.“ Auch hier: Nein! Dazu benötigt man entweder Technik in der Pflege oder Hilfsmittel. Auch starke Männer haben nur ein Kreuz.

Und zum Schluss, wie sieht eine ideale Welt aus, in der eine anständige Pflege stets gewährleistet ist?

Kurz-Ketterer: Es wäre Zeit, dass Pflegekräfte über den Beruf entscheiden und nicht Menschen, mit einem ganz anderen Beruf. Rechtsanwälte, BWLer und weitere Berufe sitzen an einem Tisch und diskutieren mit ein paar wenigen Pflegekräften über den Berufsstand. Die Aussage einer Rechtsanwältin oder eines Sozialarbeiters sind wichtiger, wie die einer Pflegekraft. Verhandlungen müssen auf Augenhöhe geführt werden. Der Beruf muss auskömmlich sein. Die Aussage einer Pflegefachkraft muss wieder wertig werden. Es gibt Nachbarländer, in denen die Pflege vom Staat und oder der Pflegekasse übernommen wird. Die Leistungen werden mit den Pflegefachkräften, der Kasse und mit dem Kunden abgestimmt. Dies wäre bestimmt auch in Deutschland möglich. Die Bürokratie muss reduziert werden. Das Gespräch zwischen Arzt und Pflegekraft sollte auf Augenhöhe stattfinden. Dazu gehört auch Vertrauen haben in die Pflegekräfte. Die jährlichen Kontrollen und Beratungen durch den medizinischen Dienst kann man sich sparen. Diese Kontrollen der Pflegedienste fressen Ressourcen und haben gezeigt, dass es Betrüger trotzdem schaffen, weiter zu hantieren.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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