Soziales Projekt (mit Fotostrecke) - Oftersheimerin Katrin Bugert bleibt wegen der Corona-Krise bei den bedürftigen Kindern in Brasilien / Neue Therapieformen bringen Erfolg

Oftersheimerin Katrin Bugert bleibt bei den bedürftigen Kindern in Brasilien

Von 
Katrin Bugert
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Oftersheim/São Paulo. Das Projekt geht weiter – und es wurde umbenannt. Die Oftersheimerin Katrin Bugert lebt und arbeitet in São Paulo in Brasilien. Zusammen mit Kolleginnen engagiert sich die Waldorfpädagogin beim „Pequenas estrelas na terra“ (Kleine Sterne auf Erden). Da es so viele Projekte dort gibt, fassen es die Verantwortlichen nun unter diesem Namen zusammen. Die Oftersheimerin hilft dabei, Jugendlichen von zwölf bis 18 Jahren und auch jüngeren Kinder aus der sozialen Unterschicht eine Zukunftsperspektive zu bieten (wir berichteten mehrfach).

Für die Arbeit spenden

  • „Pequenas estrelas na terra“ ist eine NGO für benachteiligte und traumatisierte Kinder in den Randgebieten São Paulos. Sie unterstützt 150 Kinder, Jugendliche und ihre Familien in Form einer Tagesstätte mit Babygruppen, Kindergarten-, Schulkind- und Jugendgruppen, sowie zusätzlichen pädagogisch therapeutischen Projekten, wie dem Circus Sternenbrücke und alternativen Therapien zum Beispiel der tiergestützten Therapie „Ando Junto“.
  • Die Grundlage der Arbeit ist die Waldorfpädagogik und das Menschenverständnis der anthroposophischen Medizin.
  • Interessierte können hier spenden: Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. , Kontonummer: 130 420 10; BLZ: 430 609 67; IBAN DE47 4306 0967 0013 0420 10, BIC: GENODEM1GLS, Verwendungszweck: 6705 CIRCO oder 4711 für die Casa Criança Querida. 

In einem Jahresbericht hat Katrin Bugert zusammen mit ihrem Team die Eindrücke aufgeschrieben. Eigentlich kommt sie auch einmal pro Jahr nach Deutschland – wegen der anhaltenden Corona-Krise ist das aber nicht möglich.

In Ihrem Bericht schreibt Bugert: Es ist Anfang Dezember, die Liste der Kinder und Jugendlichen, die mit uns auf Reisen gehen, ist fertig. Wir räumen Kisten mit Lebensmitteln, Matratzen, Bettlaken in die Wagen. Cristians Mutter ruft an. Ihr Sohn soll nun doch nicht mit verreisen. Er will nicht mitkommen. Cristian ist eines unserer bedürftigsten Kinder und nichts ist für ihn schlimmer, als wenn er nicht zu uns kommen darf. Irgendetwas stimmt da nicht. Wir lassen Cristian rufen. Es stellt sich heraus, dass er mit elf Jahren noch Bettnässer ist und Angst hat, dass die Jungs ihn auslachen werden. Wir erklären, dass wir das irgendwie so hinbekommen werden, dass es keiner merkt und niemand lacht. Und so beschließt Cristian doch mitzukommen.

Mehr Armut durch die Pandemie

Im zweiten Jahr im Schatten der Pandemie gibt es immer noch sehr viele Einschnitte und Einschränkungen. Im Februar galt es zu organisieren. Die Lebensmittelkisten und zusätzlich Reinigungskisten wurden geplant, gekauft und verteilt. Dazu begannen die Helfer „Grüne Kisten“, frisches Gemüse und Obst vom Großmarkt, an die Familien zu schicken. Es war absehbar, dass die Maßnahmen der Pandemie und die beinahe noch verheerenderen Einschläge der zerstörerischen Politik des Präsidenten und seines Regimes langhaltig schwere Folgen nach sich ziehen würden.

Katrin Bugert (rechts an der Tür) musiziert zusammen mit den Jugendlichen, die innerhalb des Projektes „Pequenas estrelas na terra“ betreut werden. © Bugert/Klein

Die direkten Folgen hatten wir schon im vergangenen Jahr gespürt. Neben hohen Todesraten hat die Wirtschaftskrise im Laufe des Jahres 2021 mehr als 27 Millionen Menschen in den Abgrund der unteren Armutsgrenze getrieben. Da die meisten der Familien bereits zu den Menschen der unteren Armutsgrenze gehören, bedeutet das, ohne zu verschönen – Hungergrenze. Auf der Website von „Food for Justice“ kann jeder einsehen, wie genau sich die Zahlen veränderten.

Die Einkommenssenkung, beziehungsweise der Ausfall, und gleichzeitig die Inflation und Überteuerung (zum Beispiel ist der Preis für Reis im vergangenen Jahr um 76 Prozent gestiegen), hat Familien unter die Sicherheitsgrenze gebracht. Nicht zu glauben, dass in solch einer Situation der Präsident dann noch die Notfallzahlung abschaffte.

Eine Umfrage unter 16 Millionen Familien hat ergeben, dass bei 67 Prozent wichtige Produkte wie Nahrung und Hygieneartikel fehlten. 68 Prozent gaben zu, dass mindestens ein Mal in der Woche kein Geld für Mittagessen da war und acht von zehn Familien sagten, dass sie ohne die Lebensmittelspenden von NGOs nicht überlebt hätten. Wenn es schon an Lebensmitteln fehlt, dann braucht man über den Rest wie Kleidung, Schulmaterial, Rechnungen von Strom, Gas und Miete gar nicht mehr nachdenken. Mit Hilfe von besonderen Spenden konnten wir Kleidung für besonders bedürftige Familien besorgen, Mieten bezahlen, wo Familien ihr Dach über dem Kopf verloren hätten und überlebenswichtige Rechnung begleichen. Eine zusätzliche Bücher- und Kleiderspende einer befreundeten Schule in Campinas und Spenden aus Deutschland mit Babykleidung halfen dabei. Gleichzeitig unterstützten uns Freunde aus dem In- und Ausland mit spontanen Spenden und die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners/Deutschland und der ACACIA-Fonds/Schweiz halfen uns, neben unserem offiziellen Träger, der Aktionsgruppe Kinder in Not, die Arbeit in diesem Jahr fortzuführen.

Soziales Projekt

Oftersheim: Katrin Bugert hilft bedürftigen Kindern in Brasilien

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Im März haben wir trotz immer noch hoher Coronazahlen begonnen, mit den Kindern zu arbeiten. Um nicht gegen die Vorschriften zu verstoßen, wechselten wir die Gruppen ab, so dass immer nur die Hälfte der Kinder da war. Mit den Älteren arbeiteten wir normal. Wir bauten erneut unseren Alltag auf mit allen Aktivitäten wie Handarbeiten, Musik, Zirkustraining, Rhythmus- und Bewegungsspielen, Kunst und gemeinsamen Mahlzeiten und versuchten den Kindern mit diesem einfachen Rhythmus Lebensfreude und Zuversicht zurückzugeben.

Die verdunkelten und zerstörten Kinderseelen haben die Helfer zutiefst erschüttert. Das, was in den Familien schon schwierig war, hat sich mit der Pandemie potenziert: Kleine Kinder kamen abgemagert, überreizt oder apathisch, mit Schlafstörungen und aggressivem Spiel, grenzenlos fordernd oder misstrauisch zu uns. Die Schulkinder und Jugendlichen brachten ihre neuen Beschwerden deutlicher und klarer mit: Essstörungen, Depressionen, Mutlosigkeit und Lustlosigkeit im Allgemeinen, Suizidversuche und selbstzerstörerisches Verhalten, Aggressivität und Kontrollverlust in Konflikten, Beziehungslosigkeit, Konzentrations- und Antriebsschwächen. Mehrere Mütter erzählten uns von Missbrauch in der Familie, Fälle, die erst während der Pandemiezeit auf engem Raum zutage traten. So therapeutisch die Waldorfpädagogik allein auch ist, es brauchte eine neue Position unsererseits als Antwort auf all dieses Leid.

Auch Kunst wird eingesetzt

Im April wurden wir vom Gesetz dazu verpflichtet noch einmal zu schließen. Aber diesmal waren wir schon gewappnet. Wir erarbeiteten alles, was man nur im außerschulischen Rahmen tun kann, um die Kinder zu stärken. So begannen viele neue Projekte: ein Musiktag in der Woche für Kinder im Alter von neun bis 18 Jahren in Kleingruppen und Einzelunterricht, Schulhilfe, Nachhilfe für interessierte Kinder und Jugendliche.

Mehrere Projekte realisierten wir mit Sonderspenden, wie unser Therapiekonzept, die Betreuung einiger Kinder und Jugendlicher durch eine Psychologin ein Mal in der Woche und 14-tägig Therapietage für besonders leidende Kinder in der Kunsttherapie und tiergestützten Therapie ,Ando Junto’ auf einer kleinen Farm im Inland.

Im Sommer gibts Eis: Zwei Kinder freuen sich im Casa Crianca Querida über eine Abkühlung. © Klein

Während der Pandemie gab es Raum und Zeit das Ganze zu einem Projekt aufzuarbeiten. Verwahrloste Bauernhoftiere wurden adoptiert und aufgekauft, Pferde- und Kuhstall gebaut, die Tiere trainiert, gezähmt und auf Begegnungen vorbereitet und eine Mitarbeiterin, die schon als Kunsttherapeutin ausgebildet war, nahm an einer Weiterbildung zur Therapeutin für diese tiergestützte Therapieform teil. Acht Kinder und Jugendliche kamen 14-tägig abwechselnd in Vierergruppen auf den Hof, misteten den Stall der beiden Milchkühe aus, machten Ausflüge mit dem Pferd und wusches es ebenso wie die Hunde. Es wurde gespielt und die Kaninchen bekamen sogar ein Johannisfest mit Fähnchen und Möhrenstücken. Mit einem Sonderprojekt, das uns das Instituto Paripassu ermöglichte, wurde diese Arbeit für das erste halbe Jahr finanziert.

Die Rückmeldung der Kinder war sehr positiv: „Die Tiertherapie? Das ist für mich ein Ort, wo ich mich wohlfühle. Wir spielen mit den Tieren und die Tiere haben mich lieb – und wir lernen, dass man sie beschützen muss“, sagt Cristian.

Zwei unserer ältesten Schüler lernten dank eines Stipendiums Deutsch in einem Kurs des Goethe-Institutes São Paulo als Vorbereitung auf ein Freiwilliges Soziales Jahr in Deutschland. Mit einer Sonderspende erweiterten wir unsere Bibliothek der Jugendgruppe.

Im Prinzip kann man sagen, dass wir versuchten, gegen all diese sehr traumatisierenden, verängstigenden und entmutigenden Tendenzen und Bilder der Medien und der ganzen Weltsituation die schönen, ermutigenden und Frieden schaffenden Bilder und Taten zu stellen. Auch in den Räumen und Gärten unserer Häuser bereiteten wir alles auf, was nur renoviert und schön gemacht werden konnte. So entstand ein großer Umbau in der unteren Etage der Tagesstätte der Casa Criança Querida für die enorm gewachsene Schulkindgruppe, sowie ein Kräuter- und Gemüsebeet in Form von Hochbeeten für den täglichen Verzehr.

Auch wir Erwachsenen haben uns gestärkt. Aus den anfänglichen Online-Weiterbildungen sind nun vier Mitarbeiter in einer grundständigenden berufsbegleitenden Waldorflehrerausbildung und die Vorbereitung auf die tiergestützte Therapie wurde in einem intensiv Reitlehrerkurs fortgesetzt.

Im Casa Crianca Querida und Sterntaler wird Gitarre gespielt. © Klein

Ab Mai öffneten wir die Einrichtung gemeinsam mit den Schulen. Während das Oster- und Johannisfest noch klein ausfallen mussten, also jede Gruppe allein für sich, feierten wir Michaeli, den Kindertag und Weihnachten nur noch zweigeteilt, also einmal morgens für alle Vormittagskinder und danach für alle Nachmittagskinder.

Abstand von Enge und Chaos

Nach den Pandemiejahren hatten wir den großen Wunsch, eine Zeit ganz nah bei den Kindern sein zu dürfen und auch ihnen die Möglichkeit zu geben, Abstand von dem Chaos und der Enge zuhause zu bekommen und in der Natur tief einzuatmen. Ende des Jahres konnten wir dies verwirklichen – dank einer Spende des Instituto Paripassu und der Unterstützung der Aktionsgruppe Kinder in Not – in Form von drei kleinen Reisen im Inland von São Paulo.

Wir saßen als Team bei einem Gesellschaftsspiel in der Küche, die Kinder waren schon im Bett. Als es bei den Jungs im Zimmer doch arg ruhig wurde, sah Claudio, ihr Erzieher, nach, ob alles in Ordnung sei. Als er hereinkam, weinten alle Jungs des Zimmers. Auf die Frage Claudios was denn passiert sei, kam Cristian und erzählte, dass sie sich ihre Lebensgeschichten erzählt hätten und nun seien sie alle Freunde. Robertos Vater verprügelt beispielsweise die Mutter und er kann nichts dagegen tun und muss zusehen, Felipe hat zwar einen Vater, der will aber nichts von ihm wissen, Cristian wird von seiner Mutter geschlagen, seit klein auf und das so doll, dass er seelische Schäden davonträgt. Sie schworen sich gegenseitig, dass sie, wenn sie groß seien, das niemals ihren Kindern antun werden.

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Das Weihnachtsfest war der krönende Abschluss des Jahres. Wie wichtig ist doch dieses einfach „nur“ Zusammensein. Die kleinen Kinder machten ein Kreisspiel von der Herbergssuche und die großen Musikschüler spielten im Orchester zum Festessen auf.

Alle gemeinsam erinnerten wir uns an die Geschichte des sturen Esels, den Josef nur kaufte, weil er kein Geld für einen besseren hatte. Aber Maria mit all ihrer Liebe und ihrem Vertrauen in das Gute glaubte an das hässliche, schlecht gepflegte Eselchen, und mit ihrem Vertrauen im Rücken wurde das Eselchen zum Helden, das Maria und Josef aus unzähligen Gefahren rettet und zuletzt das Christkind zu seinem Geburtsort tragen darf.

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