Oftersheim. Es ist immer spannend und bereichernd, Erfahrungen zu sammeln. Vor langer Zeit habe ich in Heidelberg Politikwissenschaft und romanische Sprachen studiert, doch trotz der regelmäßigen Nutzung eines stinknormalen Straßenfahrrads und einer dunkelroten Vespa habe ich mich nie als urbaner Nomade gefühlt. Für den Zweiradeinsatz in der altehrwürdigen Universitätsstadt Heidelberg sprachen zwei Aspekte: Ein pragmatischer wegen der desaströsen Parkplatzsituation (Knöllchen inklusive) und ein philosophischer, denn schon damals waren Umwelt- und Naturschutz relevante Themen. Ist Ihnen das Klapp- beziehungsweise Faltrad Strida ein Begriff, liebe Leserinnen und Leser?
Das Ding ist klein, kompakt, kultig – und durchaus individuell. Es ist auch ulkig, da man sich ein Stück weit wie einst Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn fühlt und gleichermaßen doch wie ein hipper Biker 2022, der eben kurze Wege zu seinem Arbeitsplatz zurücklegt oder lässig Freizeitaktivitäten plant.
Der Selbstversuch beginnt
Zur Person: Joachim Klaehn
Joachim „Jogi“ Klaehn verstärkt seit Mai als Redakteur das Team der SZ/HTZ. Der Vollblutjournalist ist schwerpunktmäßig für die Gemeinde Oftersheim zuständig. Sein Kürzel ist „jog“. Er wohnt in Eppelheim.
Stationen: Kommunikationsleiter der Klima Arena Sinsheim; Ressortleiter Sport und Redakteur bei der Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg.
Studium: Politikwissenschaft und Romanistik (Magister) in Freiburg, Heidelberg und Rennes/Frankreich.
Hobbys: Reisen, Lesen, Kultur, Moderation und vor allem Sport – Basketball, Fußball und Leichtathletik. Er ist begeisterter Skifahrer und Bergwanderer.
Kontakt: Telefon 06202/20 53 22, E-Mail sz-redaktion@schwetzinger-zeitung.de, Betreff: Oftersheim. jog
Der Chronist dieser Zeilen hat sich kurzerhand – ja auch der Lenker des Strida-Partners ist extrem kurz gehalten – zu einem Selbstversuch entschlossen. Im Wortsinn: Ein Erfahrungsbericht kann helfen, um ein relativ neues Terrain zu erobern. Also auf nach Oftersheim mit dem treuen, knallig gelben Kameraden, vom Schwetzinger Schlossplatz aus, an der Bahnlinie entlang, über die Mannheimer Straße, unter der Bahnlinie absteigend und direkt auf eine große Baustelle zu. Gräben, freigelegte Rohre, Absperrungen noch und nöcher, ein gelber Bagger links, einige Arbeiter, ein Hinweisschild, dass Gasleitungen verlegt werden. „Der Schröder war doch beim Putin“, sagt einer mit der Warnweste, „der hat uns das mit eingebrockt.“
Ich steige vorschriftsmäßig vom Klapprad ab. Überlege kurz. Klar, der meint selbstverständlich unseren Altkanzler, jenen Gerhard, den sie früher als Ex-Stürmer des TuS Talle „Acker“ riefen. Wie dem auch sei: Die Szene passt zur Weltlage, aber eben genauso zu den Gruben und Gräben von Oftersheim sowie dem leidigen Gasthema, das uns Bürger Europas in absehbarer Zeit nicht mehr loszulassen scheint.
Man spürt übrigens sofort: Früher muss in dieser Straße das Leben pulsiert haben. Es existierten hier Geschäfte, wie an Umbauten noch schemenhaft zu erkennen ist, mit „Überlebensmaterialien“, Krimskrams, vermeintlich Unnötigem. Einen großen Haushaltshändler gibt es noch, zwei Bäckereien, einen großen Weinhändler, eine Fachschule für Selbstverteidigung, einen Blumenladen, das Heimatmuseum, die Gemeindebücherei und eine Corona-Teststation zum Beispiel. Ich mag und kann nicht alles aufzählen, es ist eine Durchfahrt und erste Dienstfahrt, um ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Und vor allem für die dort lebenden Menschen. „Die Mannheimer Straße ist tot“, sagt mir ein älterer Passant: „Früher waren hier inhabergeführte Geschäfte. Es gab die verrücktesten Sachen. Längst ist fast alles Wohnraum. Die Bahnlinie bildet zudem eine Schranke. Das Geschäftesterben halten sie doch nirgendwo mehr auf.“
Der Mann seufzt.
Uralte Automaten an Mauern und Häuserfronten fungieren wie Zeitzeugen. „Frische Basar“ heißt einer. Ob dieser noch Kaugummis oder Schlangen ausspuckt? Die Währung ist immerhin Euro, nicht D-Mark . . .
Rund ums Rathaus wird es architektonisch sehr speziell. Ein wilder Mix aus Altem und Neuem. Ein Zweckbau da, ein Zweckbau dort. Eine charmante Fassade, ein Bürgersaal, das Bauamt, ein Bücherregal, in dem eine nette Frau wühlt. Sie grüßt mich freundlich.
Gegenüber die Friedrich-Ebert-Schule, die Christuskirche, der Gemeindepark. Dahinter die Roland-Seidel-Halle, ein Parkplatz, ein Spielplatz. Bei Google Maps steht: „Roland Seidel Halle, Parkplatz Kurpfalzhalle, Spielplatz an der Kurpfalzhalle.“ Was nun? Ich verstehe für einen klitzekleinen Moment die Welt nicht mehr. Doch intuitiv sage ich mir: ,Nein, dieses Fass machst du jetzt nicht auf!‘ Vielleicht ein anderes Mal, aus anderer Perspektive, mit mehr Hintergründen.
Eine ältere Dame ahnt wohl etwas angesichts meiner Ratlosigkeit. „Suchen Sie jemanden?“, fragt sie herzallerliebst. Ich stammle was mit ja und nein. Sie hakt nach: „Sie kommen nicht von hier, nicht wahr!?“ Nein – und doch ja. Sie bleibt hartnäckig. Also: „Ich bin ein neuer Redakteur der Schwetzinger Zeitung“, erwidere ich zurückhaltend. Ich glaube, sie würde redselig werden, doch ich muss noch mehr sehen und irgendwann zurück.
Deshalb Oftersheim, oder besser gesagt das Zentrum der Gemeinde, im Schnelldurchlauf. Die zwei großen Glocken im Brunnen, das schrägkarierte, rautenartige Wappen mit der Schlange, alte Straßenlaternen, weitere Automaten mit der Botschaft „ALLES möglich (ab 18)“, eine Bank, ein Physio, ein Discounter, eine Hausarztpraxis und ein Schreib- und Spielwarengeschäft.
Das Beste dabei: Ich begegne ausnahmslos freundlichen Leuten. Und auch Hunden, die mal irgendwo ein Leckerli abstauben. Einige der Fußgänger scheinen auch Zeit zu haben, nicht gerade ein Luxusleben zu führen. Sie tun manche Dinge mit Routine und aus Gewohnheit. Es menschelt quasi überall. Eine junge Ukrainerin mit ihrem Kind an der Hand spricht mich an, inzwischen sitze oder stehe ich wieder auf dem Sattel, in gepflegtem Englisch: „Können Sie mir bitte sagen, wo die nächste Apotheke ist?“ Ich muss nachdenken, und doch erinnere mich flott an den Namen. Ja, Mozart-Apotheke heißt sie. „Mozart, welch ein wunderbarer Name!“, sagt sie und lächelt. Das berührt mich.
Das wirkt alles sehr freundlich
Ich fahre beseelt zurück. In einer unscheinbaren Bäckerei mache ich Halt. Es riecht himmlisch. Die nette Frau belegt mir extra zwei Brötchen. Salami, Pute, Käse, Gurke und Tomate bietet sie mir an. Drei Leute warten geduldig im Laden.
An den Gas-„Pipelines“ der Mannheimer Straße (hoffentlich von Putin und Co. unabhängig) sowie an den mächtigen Absperrungen warten Schulkinder, lassen mich mit meinem City-Designer-Faltrad schiebend durchlaufen. „Wir dürfen hier nicht durchfahren, wir müssen absteigen“, sagt mir ein vielleicht 16-jähriges Mädchen. Ich schmunzle.
Fahre nach der Unterführung dank meines Kevlar-Riemenantriebs und der 18-Zoll-Reifen zurück. Via Mannheimer Straße, die zur Markgrafenstraße wird, vorbei am Neuen Messplatz, Theater am Puls, zurück zur Bahnlinie.
Eine zweistündige Annäherung findet vor dem Schloss ihr vorläufiges Ende. Ich muss unwillkürlich an Herbert Grönemeyers Hymne denken. „Bochum“ – an einen Satz: „Du bist keine Schönheit.“ Oftersheim lässt diese Assoziation zu. Vielleicht ist diese Gemeinde eine „ehrliche Haut“. Auf jeden Fall ist Oftersheim mehr als Malaika Mihambo, die Handballer der Fusionsgemeinschaft HG Oftersheim/Schwetzingen, die Leichtathleten des TSV Oftersheim und so manche Attraktion im Wald und in den Sanddünen.
„Ofdasche“, Schwetzingen, mein Strida XS 18 und der „rasende Reporter“ in mir, wir werden uns aneinander gewöhnen. Das Erfahrbare und die Erfahrung hängen eng zusammen. Wie Schwetzingen und Oftersheim, Oftersheim und Schwetzingen. Dies macht Sinn . . .
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