Gemeinderat

Roland Seidel spricht über sein Ausscheiden aus dem Oftersheimer Gemeinderat

Von 
Stefan Kern
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2014 überreicht Roland Seidel (r.) als Bürgermeister-Stellvertreter dem scheidenden Gemeindeoberhaupt Helmut Baust nach dessen letzter Gemeinderatssitzung ein ge-rahmtes Foto des Gremiums. Jetzt nimmt Seidel selbst Abschied. © Adameit

Oftersheim. Ein ganzes Leben ist in Worten kaum zu fassen. Das gilt immer und besonders auch für Roland Seidel noch etwas mehr. Geboren 1941 in Kawarn im Sudetenland flüchtete er mit seiner Familie 1945 gen Westen und kam 1946 in Oftersheim an. Nach Schule und Studium in Heidelberg nahm er bereits als 27-Jähriger 1968 Platz am Ratstisch. Drei Jahre später heiratete er Gisela, mit der er zwei Söhne bekam.

Neben Gemeinderat und Familienleben arbeitete Roland Seidel als Sportlehrer an einer Schule für behinderte Kinder und später als Bellamar-Bäderleiter sowie Amtsleiter für Kultur und Sport in Schwetzingen. Und von 1987 bis 2011 war er zudem fast 25 Jahre lang Vorsitzender des TSV Oftersheim. So ganz stimmt es natürlich nicht, aber das Bundesverdienstkreuz am Bande, das er vor drei Jahren verliehen bekam, war angesichts der Jahrzehnte umfassende Ehrenamtsbilanz fast schon erwartbar.

Dankbarkeit für das Leben

Und nun, nach 53 Jahren mit sicher über 600 Gemeinderatssitzungen auf dem Buckel, verlässt er am 25. Januar 2022 den Ratstisch. Macht er hier vielleicht den Weg frei für ein anderes Familienmitglied? Immerhin sind nächstes Jahr Bürgermeisterwahlen und Sohn Pascal hat sich als Ordnungsamtsleiter in Schwetzingen einen guten Ruf verdient . . . Es sind nur ein paar dürre Daten, doch sie erlauben dennoch einen Blick auf ein Leben, in dem das Engagement für die Gemeinschaft eine fundamentale Komponente war.

Es ist ein Leben, für das er selbst Dankbarkeit empfindet. War es ihm doch wahrlich alles andere als in die Wiege gelegt. Am 24. November 1941 kam er in Kawarn im Sudetenland, rund 800 Kilometer östlich von Oftersheim, zur Welt. Der Zweite Weltkrieg trat mit dem Beginn des Ostfeldzuges unter dem Namen „Barbarossa“ und der Erhebung der Endlösung der Judenfrage, also der Vernichtung aller Juden, zum offiziellen deutschen Staatsziel endgültig in seine unmenschlichste Phase ein. Natürlich wusste Seidel selbst von diesen Dingen damals nichts. Was ihm in Erinnerung haften blieb, waren jedoch einige wenige Bilder der Flucht.

Ein besonders starkes Bild ist, wie er auf der Flucht neben dem Fuhrwerk läuft. Im Grunde will er gar nicht so viel darüber erzählen. Der Satz, „es war Krieg und Krieg ist immer unmenschlich schlimm“ muss genügen. Viel wichtiger ist Roland Seidel eine wichtige Lehre aus diesem verheerenden Zivilisationsbruch. „Das Miteinander darf nicht verloren gehen.“

Und mit diesem Satz ist Seidel auf einen Schlag im Hier und Jetzt. Natürlich sei nichts mit damals auch nur annähernd zu vergleichen. Doch die Konflikte im Land scheinen derzeit wieder weniger abgeräumt zu werden. Das gelte im Großen, wie im Kleinen. Im vergangenen Jahrtausend habe man sich am Ratstisch genau wie heute gestritten. Doch früher habe man diese später bei Nachsitzungen abgeräumt und zwar quer über alle Fraktionsgrenzen hinweg.

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Über die Jahre änderte sich in den Augen Seidels auch das Selbstverständnis des Gemeinderates. Damals war das Gremium vor allem Kontrollinstanz für die Verwaltung, heute sei er in Bezug zur Verwaltung mehr Ideengeber und Antreiber. Das muss nicht zum Problem werden, solange das gemeinsame im Vordergrund stehe. Doch das tue es nicht immer. Nicht selten gehe es nun auch auf dieser politischen Ebene um Taktik. Heißt, es gehe nicht mehr nur miteinander, sondern auch gegeneinander.

Ein Prozess, der auch durch die Digitalisierung befeuert werde. Früher schien man sich bei offenen Fragen auch quer über Fraktionsgrenzen hinweg auszutauschen. Heute ist da das Internet vor. „Geht schneller und ist vermeintlich bequemer.“ Dabei will er das Internet auf keinen Fall verteufelt wissen. Im Gegenteil, das Internet sei eine großartige Wissensmaschine. Nicht unterschätzt werden dürfe aber, dass das Internet im analogen, also dem echten Leben, eine sozial distanzierende Wirkung haben kann. „Einfach weil die Menschen weniger miteinander sprechen.“

Verlässlichkeit als Tugend

Mit Karl Frei, Siegwald Kehder, Helmut Baust und Jens Geiß arbeitet Seidel unter vier Bürgermeistern. Natürlich ist er zu sehr Gentleman, um ein persönliches Ranking aufzustellen. Gegenüber der Schwetzinger Zeitung brachte er es auf die Formulierung: „Jeder Bürgermeister war auf seine Art einzigartig.“ Und jedem dürfe unterstellt werden, dass er der Gemeinde gedient habe.

Ein Satz, der auch für ihn als maßgeschneidert gelten darf. Dabei fällt auf, dass in Erzählungen von Weggenossen immer wieder das Wort „verlässlich“ auftaucht. Hört sich vielleicht nicht sexy an, aber wenn man genau hinsieht, erkennt man den Wert, den diese Eigenschaft für die Demokratie hat. Sie fußt auf dem Kompromiss und dieser auf der Verlässlichkeit des Gegenübers. Und so ist diese Verlässlichkeit ein entscheidendes Fundament gelingender Demokratie.

Unter dem Strich, betonte Seidel bei allen Sorgen, erscheine die Entwicklung der Gemeinde in freundlichem Licht. Wichtige Wegmarken sind für den Mann das Beibehalten der Selbstständigkeit der Gemeinde, der Bau der Karl-Frei-Halle, Baulandumlegungen wie Nord-West und jüngst das neue Rettungszentrum. Als Problemfelder, für die in Zukunft Lösungen gefunden werden müssten, sieht er das Verhältnis zwischen Kommune sowie Land und Bund. Es würden immer mehr Aufgaben von Land und Bund an die Kommune delegiert, jedoch nicht für einen echten finanziellen Ausgleich gesorgt. Die Belastungen nehmen zu, nicht jedoch die Ausstattung, um diese Belastungen nachhaltig stemmen zu können.

Hürden dürften auch die weitere Organisation des fließenden wie ruhenden Verkehrs sowie die Sanierung der Infrastruktur werden. „Doch darum müssen sich nun Jüngere kümmern.“ Das war damals, vor 53 Jahren übrigens Teil seiner Motivation, sich als Gemeinderat zu bewerben. „Jüngere Mitglieder bedeuten neue Impulse und das schadet nie.“

Neue Impulse für neue Aufgaben

Impulse brauche es, denn die Herausforderungen, vor denen die Menschen stünden, seien gewaltig. Zum einen müsste Umweltschutz ernst genommen werden. Und das nicht nur der Umwelt zuliebe. „Es geht, das muss jedem klar werden, um unsere Lebensgrundlage.“ Dabei dürfe die soziale Balance nicht außer Acht gelassen werden. „Den Schwächsten in unserer Gesellschaft muss geholfen werden.“

Der 80-Jährige zeigt sich zuversichtlich, dass das gelingen kann. „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Wesen.“ Eine Überzeugung, an der zwar immer mal wieder gerüttelt wird, aber Seidel ist fest davon überzeugt, dass die große Mehrheit vernünftig ist und sich diese auch durchsetzen wird. Und natürlich weiß er, dass da auch die Hoffnung aus ihm, dem Großvater von Mia, Felix, Phil und Noah, spricht.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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