Oftersheim. Der Schlüssel steckt außen in der Wohnungstür von Nicole und Axel Alder. Das wirkt ungewöhnlich in einem 54-Parteien-Haus wie dem ihren im Oftersheimer Hardtwaldring. Aber es hat einen Grund. Denn es gehen Handwerker ein und aus beim Ehepaar Alder – ständig. Der Grund ist eine Badsanierung aus unerfreulichem Anlass. Denn die Wasserleitungen in dem Gebäude müssen raus – alle. 2008 wurden diese mit Epoxidharz saniert, ein vergleichsweise kostengünstiges Verfahren. Deshalb entschied sich die Eigentümergemeinschaft dafür – mit fatalen Folgen. Denn nun weist das Trinkwasser in dem Haus, in dem das Ehepaar wohnt, extrem hohe Werte des gesundheitsgefährdenden Stoffes Bisphenol A auf, worüber in einer Sendung des Magazins „Marktcheck“ am Dienstagabend auch der SWR aufklärte.
Nun leben Nicole und Axel Alder nicht nur seit Monaten mit der Gewissheit, dass immense Kosten auf sie zukommen, sondern auch mit Dauerbaustelle im Haus und außerdem seit 6. Oktober ohne nutzbares Badezimmer in ihrer Wohnung. Wo dieses einst war und – hoffentlich – Ende Februar auch wieder sein wird, blickt man jetzt in einen leeren Raum, freigelegte Schächte und ein Loch im Boden, durch das man vom vierten Obergeschoss bis in den Keller schauen kann.
Doch wie ist es dazu gekommen? „Angefangen hat es mit der neuen Trinkwasserverordnung 2011“, blickt Axel Alder zurück. Diese schrieb vor, dass das Trinkwasser in Häusern ab einer gewissen Parteienzahl regelmäßig auf Legionellen zu überprüfen sei. „Die Werte in unserem Haus waren von Anfang an zu hoch“, erinnert sich der 54-Jährige. Seine Frau fügt hinzu: „Wir mussten also auch im Gäste-WC regelmäßig die Spülung betätigen und die Wasserhähne täglich ein paar Minuten laufen lassen.“ So weit, so harmlos – zumindest im Vergleich zu dem, was noch folgen sollte. Als sich die Situation nach einigen Jahren nicht gebessert hatte, beschloss die Hausverwaltung, die Vorlauftemperatur der Leitungen zu erhöhen, mit dem Ziel, dass die Legionellen absterben. Irgendwann verhängte das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises sogar ein allgemeines Duschverbot im Haus, das sich nur umgehen ließ, indem Wohnungseigentümer oder Vermieter spezielle Duschköpfe mit Filtern anschafften.
Geringe Mengen von Bisphenol A fördern Diabetes
„Das Gesundheitsamt ist ja aber nicht blöd“, sagt Axel Alder. „Dort hat man sich gefragt, wieso es hier so viele Legionellen gibt.“ Die Erklärung: Mit Epoxidharz sanierte Rohre wie die in dem Haus im Hardtwaldring können für die Bakterien gute Brutstätten sein. Als dem Gesundheitsamt klar wurde, dass die Leitungen mit diesem Stoff verkleidet waren, ordnete es eine Untersuchung auf Bisphenol A an. Denn dieses löst sich insbesondere bei höheren Wassertemperaturen aus dem Epoxidharz. Experten gehen davon aus, dass es schon in kleinen Mengen beispielsweise Diabetes auslösen oder die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen kann. Deshalb hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit den Mehrwert für die tägliche Aufnahme in den Körper herabgesetzt – auf 2,5 Mikrogramm pro Liter, wie es in dem SWR-Bericht heißt. Das Gesundheitsamt hat bei dem Wohnhaus in Oftersheim allerdings 300 Mikrogramm pro Liter gefunden, wie der dort beschäftigte Stefan Kramer auf Nachfrage bestätigt.
Das Fazit: Alle Leitungen müssen wie gesagt raus und zwar bis zum 31. Dezember 2024. „Wenn es bis dahin nicht erledigt ist, wird im ganzen Haus das Wasser abgestellt, hieß es vom Gesundheitsamt“, erklärt Nicole Alder. „Die Ingenieurfirma, die das nun alles betreut und die solche Fälle kennt, hat uns auch bestätigt, dass die das wirklich machen“, fügt ihr Ehemann hinzu.
Die Wohnungseigentümer standen somit vor der Wahl, nach Entfernung der Rohre diese entweder komplett durchspülen und desinfizieren zu lassen oder zu ersetzen. Wenn sich nach zweimaligem Spülen und anschließender Desinfektion immer noch so hohe Legionellenwerte ergeben hätten wie zuvor, wäre ohnehin die Sanierung fällig gewesen. Somit haben sich die Alders direkt für diese entschieden. „Wir wollten uns die 3000 Euro für etwas sparen, was am Ende vielleicht gar nicht ausreicht“, sagt Axel Alder.
1,7 Millionen Euro für die Rohre im Oftersheimer Wohnhaus
So oder so stehen das Ehepaar und alle anderen Eigentümer aber nun vor immensen Kosten: 130 000 Euro hatte die Sanierung mit Epoxidharz 2008 für die Eigentümer gekostet. Die Bestandsaufnahme durch eine Ingenieurfirma nach dem Befund des Gesundheitsamtes sowie das Einholen von Aufträgen für die Lösung des Problems schlug mit weiteren 98 000 Euro zu Buche. Für die Rohrsanierung im gesamten Haus ging die Ingenieurfirma von Kosten von 1,7 Millionen Euro aus, die Hausverwaltung sprach sich für einen Puffer von weiteren 300 000 Euro aus. Obendrauf kommen rund 19 000 Euro, die das Ehepaar alleine für ihre eigene Badsanierung bezahlen muss. „Und um den Puffer, den die Verwaltung wollte, sind wir jetzt froh“, bestätigt Axel Alder.
Denn mit Bisphenol A enden die Probleme des 54-Parteien-Hauses leider nicht. Als das beauftragte Ingenieurbüro den Bestand an Leitungen prüfte, wurde auch nach Asbest gesucht. Und die erste Beprobung war negativ. Ein Gutachter beurteilte diese als zu oberflächlich, empfahl eine neue und die war positiv: In den Lüftungsschächten des Hauses ist Asbest – das weiß man seit Mitte September. „Also muss auch das alles entsorgt werden“, erläutert Axel Alder. Allein das kostet rund 250 000 Euro.
Lebensplanung des Oftersheimer Ehepaars auf den Kopf gestellt
So weit – so katastrophal. Stellt sich die Frage, wie das Ehepaar mit dieser Verkettung übelster Umstände umgeht, mittlerweile seit Monaten, wenn nicht im kleineren Umfang seit Jahren. „Für uns ist eine Welt zusammengebrochen“, sagt Nicole Alder. „Unsere Lebensplanung war auf einmal weg.“ Damit meint sie das Vorhaben, zum Rentenalter alles abbezahlt zu haben – das ist jetzt nicht mehr realistisch.
Denn ab diesem Frühjahr kam es Schlag auf Schlag. „Seit März wissen wir von den zwei Millionen Euro Kosten für die Sanierung. Wir haben uns sofort um ein Darlehen gekümmert, aber ich habe tagelang geweint.“ Die Alders mussten ihren Wohnwagen verkaufen, zurzeit besitzen sie zwar noch zwei Autos, allerdings sind beide recht alt. „Ein zweites Auto wird auf Dauer nicht mehr gehen“, sagt die 50-Jährige. „Vielleicht hätten wir das sowieso nicht mehr gewollt, aber es ist ein Unterschied, ob man etwas nicht möchte oder es sich gar nicht mehr leisten könnte.“ Mit Tränen in den Augen fügt sie hinzu: „Wir hatten eigentlich immer die Gewissheit: Wenn einem von uns etwas passiert, kann der andere die Wohnung alleine behalten. Das ist weg.“ Ihr Mann habe schon gesagt, sie müssten froh sein, gesund zu sein – um auch gegebenenfalls im Ruhestand noch etwas dazuverdienen zu können.
Nicole Alder fühlt auch mit ihren Nachbarn. „Hier im Haus weint immer jemand. Es gibt eine Frau, die hat seit Mitte August kein Bad. Und auch für uns ist es zurzeit Luxus, einmal die Woche bei Freunden zu duschen. Wenn ich im Lotto die zwei Millionen Euro gewinnen würde, würde ich das ganze Haus auf die Sanierung einladen, das können Sie glauben“, sagt sie. Dass Sanierungen mit Epoxidharz weiterhin angeboten werden und nicht verboten sind, dass also anderen Menschen nach wie vor das Gleiche passieren könnte wie ihnen, ist für die beiden ein Unding. „Davon müssen mehr Leute Bescheid wissen“, finden sie.
Für das Foto zum Artikel stellt sich das Ehepaar dahin, wo einst ihr Badezimmer war. „Es hilft, sich das Endprodukt vorzustellen und nicht auf das Konto zu schauen“, sagt Nicole Alder. Ihr Mann schlägt mit einem Anflug von Galgenhumor vor: „Wir stellen uns mal in die Badewanne.“ und geht in eine für Außenstehende nicht als solche identifizierbare Ecke. Klar: Der Humor hilft. Aufwiegen kann er das, womit 54 Parteien in nur einem einzigen Haus jetzt leben und umgehen müssen aber nicht.
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