Raus aus der Krise - Motiviert durch Palmen und einen VW-Bus / Start bei der Weltmeisterschaft auf Hawaii voraussichtlich im Oktober

Triathlet Dirk Oswald spricht über seine Methoden, ehrgeizig zu bleiben

Von 
Michael Wiegand
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Oftersheim. Als Triathlet Dirk Oswald am Abend zum Interview in die Redaktion dieser Zeitung kommt, bringt er kurzerhand Essen mit. Für sich selbst ist es ein großer Salat und einen vegetarischen Döner mit Falafel. Es ist mehr Essen, als man für möglich hält, wenn man sich den sehnigen, durchtrainierten und 1,76 Meter großen sowie 73 Kilogramm leichten Athleten anschaut. Die Portion sei normal für ihn. Ja, aktuell befinde er sich in einem Motivationsloch, gibt Oswald offen zu, aber an gesunde Ernährung halte er sich – meistens zumindest. Über die Feiertage gab es auch mal Bier und reichlich Schokolade.

„Es sind noch knapp neun Monate bis zum Ironman auf Hawaii, da schlaucht das Training vor allem auch mal mental“, erklärt der 36-Jährige. Oswald hatte sich im August vergangenen Jahres in Frankfurt für den Ironman auf Hawaii, die Weltmeisterschaft der Triathleten über die Langdistanz, qualifiziert. Der Wettbewerb über 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen wurde danach erst von Oktober 2021 auf Februar 2022 und später sogar auf Oktober dieses Jahres verschoben.

Dass er sich in einem Motivationsloch befinde, spricht Oswald unumwunden aus. „Eine solche Motivationskrise kennen aktuell sicherlich viele Menschen aufgrund der Pandemie“, sagt er. „Es ist nicht nur ein sportliches Thema, sondern ein gesellschaftliches. Es fehlen Kurz- und Fernziele, oftmals auch der Sinn. Ich denke, Millionen Menschen stehen morgens auf und fragen sich ,Warum eigentlich?’“

„Weit weg von meinem Ziel“

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Anfang Dezember stand bei Dirk Oswald eine Leistungsdiagnostik auf dem Rad an. In Köln wurde der Oftersheimer von seinem Trainer Lucas Worth auf Herz und Nieren durchgecheckt, um neue Leistungsdaten zu ermitteln, die die Grundlage für die weitere Trainingssteuerung sind. „Ich hatte mir schon immer gewünscht, bei der maximalen Sauerstoffaufnahme, den ,VO2max’, einen Wert über 70 Milliliter pro Minute und Kilogramm zu erreichen.“ Ein Jahr zuvor hatte er diesen Wert, den eigentlich nur Profisportler erreichen, nur um 0,7 verpasst. „Dieses Jahr hatte ich am Tag der Diagnostik im Vergleich zum Vorjahr etwa fünf Wochen weniger Training, habe mich aber trotzdem sehr gut gefühlt. Was kam am Ende heraus? Nur 63,3, ich war erstmal am Boden zerstört. Weit weg von meinem Ziel. Jeder Sportler würde zu Beginn einer neuen Saison am liebsten auf dem gleichen Leistungsniveau starten, wie zum Ende der vergangenen Saison, auch wenn das unrealistisch ist und man das eigentlich auch weiß.“

Das anschließende Gespräch nach dem Test mit seinem Trainer sei lang gewesen, resümiert Oswald einen Monat später. „Wir haben nicht viel über die neuen Werte gesprochen. Er sagte, es mangele bei mir nicht an der körperlichen Voraussetzung, den anvisierten Wert zu erreichen, auch wenn man das nie garantieren kann, sondern am Vertrauen in mich selbst. Ich solle die Werte einfach mal vergessen, denn es gäbe eine größere Baustelle, ich solle mir – das hat er wortwörtlich gesagt – mal . . . naja . . . dickere Eier zulegen!“

Oswald habe lange über die deutlichen Worte seines Trainers nachgedacht. Im Oktober habe er einen Fünf-Kilometer-Lauf in 17:36 Minuten absolviert und drei Wochen später eine neue Bestzeit in 16:43 Minuten erreicht. „Einfach, weil ich das Risiko eingegangen bin, mich einer Gruppe anzuschließen, die ein schnelleres Tempo gelaufen ist, als ich dachte, das ich laufen kann. Kopf aus und einfach das ,Gaspedal’ gedrückt halten, vom Start weg bis ins Ziel.“ Es sei kein körperlicher Leistungssprung gewesen in diesen drei Wochen, sondern ein mentaler.

Eine Woche nach der für Oswald sehr enttäuschenden Raddiagnostik stand dieselbe Tortur im Laufen an. Der ermittelte Wert: 70,1. „Ziel erreicht! So nah liegen Enttäuschung und Freude im Leben manchmal beieinander.“ Mentaltraining habe er bis zu diesem Zeitpunkt etwas belächelt. „Aber mein Trainer hat mich verbal hart angepackt, ich habe lange darüber nachgedacht und seine Anregungen umgesetzt. Der Kopf ist sehr wohl relevant. Als Trainer ist man irgendwie auch immer Psychologe und muss sich in seine Athleten hineinversetzen können.“

Lust am Ganzen fehlt aktuell etwas

Die Vorbereitung auf Hawaii falle ihm trotz dieses Motivationsschubs schwer. Eventuell seien es die Wintermonate. „Ich versuche, die Rolleneinheiten zuhause zu umgehen und möglichst viel draußen zu fahren. Um vor dem deutschen Winter etwas zu fliehen, habe ich für Februar ein Trainingslager auf Lanzarote gebucht. Ich freue mich auf Sonne, Strand, Meer und natürlich das Buffet im Hotel abends.“ Aber die Lust am Ganzen fehlt aktuell etwas.

Warum? „Weil ich meinen großen Traum, nämlich die Weltmeisterschaft auf Hawaii, eigentlich schon erreicht habe. Ich muss jetzt ,nur’ noch daran teilnehmen, aber was kommt danach? Welches Ziel möchte ich danach erreichen? Meistens kamen neue Herausforderungen oder Aufgaben unerwartet in mein Leben. Mal schauen was es diesmal sein wird, ob im Sport oder auch außerhalb, ich freue mich jedenfalls sehr darauf. Letztlich kam ich so ja auch zum Triathlon. Mal sehen, was das Leben noch so bringt.“

Oswald lässt seine Gedanken noch weiter schweifen. „Menschen sind keine Maschinen, auch wir Sportler nicht. Wir sind Menschen und durchleben Höhen und Tiefen, haben gute und schlechte Tage, das gilt auch für Leistungen und die Erfüllung von Erwartungen – meistens die sehr hohen Erwartungen an sich selbst. Auch die Tiefen sollte man annehmen und akzeptieren und sich dafür nicht verurteilen.“ Er verweist auf das Reinhold-Messner-Zitat, mit dem der Extrembergsteiger in seinen Vorträgen gerne verdeutlicht, dass ein Blick zurück oft interessanter ist als ein Blick nach vorne. „Man sollte sich öfter vor Augen halten, was man schon alles erreicht hat, und nicht, was man nicht oder noch nicht erreicht hat“, ergänzt Oswald.

Der Mensch sei zu so viel mehr fähig, als er sich selbst zutraue. „Oft zweifeln wir an uns selbst während andere sich Fragen wie wir das alles so gut hinbekommen. Wir alle sollten uns viel öfter bewusst machen, was wir jeden Tag leisten, stolz darauf sein, einfach mal den Moment genießen und Anerkennung von außen annehmen und es nicht als selbstverständlich abtun. Ich denke, oft wäre es hilfreich, man könnte sich aus den Augen eines anderen sehen, jeder Einzelne wäre erstaunt darüber. Berufstätige, die zuhause Angehörige pflegen oder auch Mütter, die neben der Erziehung noch arbeiten gehen. Das ist Wahnsinn“, fasst Oswald seine Gedanken zusammen. „Man macht sich so oft kleiner und schwächer als man in Wirklichkeit ist. Das ist auch noch ein Lernfeld in meinem Leben.“

Wie aber schafft es Dirk Oswald, sich trotz des aktuellen Motivationsloch weiter zu motivieren und sein Ziel im Pazifik nicht aus den Augen zu verlieren? „Ich habe zuhause vier Bilder vor der Rolle an der Wand hängen: den Schwimmstart, die Laufstrecke, den Zielbogen am Ali’i Drive in Kona und einen Sonnenuntergang mit Meer und Palmen vor dem Pazifischen Ozean. Ich versuche alle meine Träume zu visualisieren. Wenn ich das schaffe, manifestieren sie sich als Ziel in meinem Kopf.“

Einfach spontan los

Einen Traum verrät Dirk Oswald am Ende des Interviews. „Heute habe ich im Supermarkt einen Spielzeug-VW-Bus gesehen. Das habe ich schon lange im Kopf! Also nicht das Spielzeug, sondern einen richtigen Bus. Rücksitze raus, Schlafplatz einbauen und dann einfach spontan los zum Campen in den Schwarzwald, das Allgäu oder in die Alpen – oder eben zum Training. Dieser Spielzeugbus war ein Zeichen des Universums. Eines Tages wird er vor der Haustür stehen“, ist sich Oswald sicher.

Redaktion

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