Im Porträt

Wie sich ein Oftersheimer nach einem Schlaganfall zurück ins Leben kämpfte

Blutvergiftung, Schlaganfall und schließlich Herzoperation – all das musste Martin Jost in wenigen Monaten verarbeiten. Wie er sich davon zurückgekämpft hat – bis zu einer Triathlonteilnahme – berichtet er ganz offen.

Von 
Lukas Heylmann
Lesedauer: 
Der Sport war immer ein wichtiger Teil von Josts Leben - und bleibt es auch nach allen Schwierigkeiten. © Daniel Schreiber

Oftersheim. Die wohl düsterste Phase von Martin Josts Leben, mit der er heute beeindruckend umgeht, aber von deren Nachwirkungen er nach wie vor nicht frei ist, begann wie eine ganz gewöhnliche Grippe: mit Fieber und Schüttelfrost. Der Oftersheimer Polizeibeamte ist seit 2000 nebenberuflich Fitnesstrainer. Während eines Kurses fühlte er sich im November 2016 plötzlich unwohl, ein Arzt stellte besorgniserregende Temperatur- und Blutwerte fest, der nächste Gang führte ins Krankenhaus. „Ich hatte einen roten Punkt am Rücken, der wirklich kochend heiß war – vermutlich wegen eines Insektenstichs oder eines eingewachsenen Haars“, blickt Martin Jost zurück. Es folgte sofort eine Operation, die eine zehn Zentimeter breite und vier Zentimeter tiefe Narbe hinterließ. „Das musste beinahe drei Monate ausheilen.“

Oftersheimer kann Symptome schnell selbst deuten

Jost war daraufhin nur noch zu Hause, Sitzen sei eine Qual gewesen, Autofahren fast unmöglich und an Sport, der immer ein großer Teil seines Lebens war, quasi nicht zu denken. Schließlich konnte er wieder anfangen zu arbeiten. „Dann hatte ich mal einen Tag frei, um meine Steuererklärung zu machen. Ich saß am Schreibtisch und bin einfach umgefallen“, erinnert sich Jost an den Tag, der letztlich sein Leben wohl am entscheidendsten veränderte. Da er früher im Rettungsdienst tätig gewesen war, konnte er die Symptome schnell deuten. „Ich lag in meinem Büro, halbseitig gelähmt – das war ein Schlaganfall“, sagt Jost heute.

Sein erstes Bild nach der gelungenen Operation am Herzen im März 2017: Die Pose sitzt, doch die Schläuche zeugen von dem, was Martin Jost hinter und vor allem noch vor sich hat. © Jost

Auch da ging es als erstes ins Krankenhaus und von dort sofort ins Heidelberger Universitätsklinikum. „Ein Arzt hat meinen Verdacht direkt bestätigt“, berichtet er. Die Anzeichen hätten für sich gesprochen: verwaschene Sprache, runterhängender Mund eine gefühllose rechte Seite. Die nächsten vier Tage befand sich Martin Jost in der sogenannten Stroke Unit, also einem Bereich extra für Schlaganfallpatienten. „Ich war an alles angeschlossen außer an ein Beatmungsgerät“, erinnert er sich. Doch neben der Behandlung an sich trieb die Ärzte auch ein anderes Thema um: Wieso erleidet ein 46-Jähriger, der sportlich aktiv ist und gesund lebt, plötzlich einen Schlaganfall? Die Antwort ergab sich durch eine spezielle Untersuchung, die Josts Arzt sozusagen als letzte Option anordnete, ein Schluckecho. „Damit untersucht man das Herz auf Löcher. Er konnte es sich eigentlich nicht vorstellen, aber es stellte sich heraus, dass ich ein Zentimeter großes Loch in der Herzscheidewand hatte“, berichtet der leidenschaftliche Sportler. Seine Herzkammern waren voll mit Thrombosen. Somit erhielt Jost weiterhin Heparin, einen Blutverdünner, von der Stroke Unit kam er in die Kardiologie. Am 31. März 2017 wurde er schließlich am Herzen operiert.

Die OP überstand er gut, doch dann begannen die Reha-Maßnahmen für den Schlaganfall: Ergo- und Physiotherapie sowie Gleichgewichtstraining. Das überstand Martin Jost mit einem klaren, aber auch sehr ambitionierten Ziel: Schon am 1. Mai wollte er einen Zehn-Kilometer-Lauf absolvieren, „egal wie, Hauptsache ins Ziel“, sagt er heute. Sein Arzt fand das zwar gesundheitlich unbedenklich, aber auch unwahrscheinlich, denn die Voraussetzung war, dass Jost in der Lage sein musste, ohne Stock zu gehen und zu laufen – aus Gleichgewichtsgründen war ihm das lange nicht möglich.

Oftersheimer Martin Jost musste wieder neu laufen lernen

„Darauf habe ich jeden einzelnen Tag hingearbeitet, ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann“, blickt der Polizeibeamte zurück. Und tatsächlich: Er schaffte es, „wenn auch mehr schlecht als recht“, sagt er mit einem Lachen. „Aber es war eine sehr emotionale Erfahrung, das kann man mit nichts aufwiegen.“ Der Weg dorthin war auch in gerade mal einem Monat weit: Ohne Stock begann Martin Jost schnell zu torkeln. Er übte im nahe gelegenen Oftersheimer Gemeindepark, immer am Rand der Grasfläche entlang zu laufen, ein Tipp aus der Physiotherapie. „Das hat gedauert, bis das im Hirn ankam“, erinnert er sich.

Mehr zum Thema

Im Porträt

Anna Czinszky aus Oftersheim: Diabetes und Triathlon meistern

Veröffentlicht
Von
Lukas Heylmann
Mehr erfahren
Gesundheit

Monika Garmann aus Reilingen: Triumph des Lebens nach Hirnblutung

Veröffentlicht
Von
Matthias H. Werner
Mehr erfahren
Im Porträt

Plankstadterin ist an Heiligabend für Patienten im Einsatz

Veröffentlicht
Von
Catharina Zelt
Mehr erfahren

Sein nächstes Ziel war dann schon eine ganze Spur höher angesetzt: ein Halbmarathon auf Mallorca, etwa ein halbes Jahr nach der Operation. „Aber ich hab damals schlimm ausgesehen. Wenn ich Fahrrad fahren wollte, bin ich wegen meines Gleichgewichtssinns immer direkt umgefallen und wegen der Blutverdünner sind meine Wunden ewig nicht abgeheilt“, erinnert sich Jost. Das Problem trägt er im Übrigen noch heute mit sich herum, wegen Thrombosegefahr nimmt er noch immer Medikamente. „Aber damals sah ich, auf gut Deutsch, aus, als hätte ich auf die Fresse bekommen.“ Dennoch: Den Halbmarathon absolvierte Martin Jost erfolgreich.

Die Entscheidung, so ambitioniert sportlich aktiv zu bleiben, fiel schon während der Reha. „Ich habe dort zu oft Menschen gesehen, die einfach aufgegeben haben. Das wollte ich nicht. Ich wollte das angehen, was ich vor dem Schlaganfall immer vor mir hergeschoben habe. Ich wusste, dass so vieles machbar ist, und musste mir zeigen, dass auch ich das hinkriege.“

Leicht war der Weg nicht, ist es für Jost auch heute teils noch nicht. „Ich habe immer noch gelegentlich Wortfindungsstörungen und mein kleiner Finger rechts macht auch manchmal Probleme. Beim Lesen kann ich mich nicht mehr lange konzentrieren und ich habe Schwierigkeiten mit großen Menschenmengen, weil ich mich nicht auf bestimmte Geräusche oder Stimmen fokussieren kann“, erläutert er die Nachwirkungen des Schlaganfalls, die ihn bis heute begleiten.

Martin Jost aus Oftersheim gerät in Erklärungsnot

Doch schlimmer sind eigentlich die psychischen Konsequenzen: „Ich kämpfe immer noch mit Versagensängsten und wenn ich mal etwas nicht schaffe, geht das Grübeln wieder los. Etwas, das mich sehr mitnimmt, kommt daher, dass man mir meine Vergangenheit nicht ansieht.“ Was Jost meint: In seinem Gesicht erkennt man keine Spuren des Schlaganfalls, seine Figur ist immer noch sportlich und durchtrainiert. „Aber deshalb muss ich mich ständig erklären, wenn ich etwas einfach nicht kann. Ich bin mit vielen Vorurteilen konfrontiert und bei sprichwörtlichen Tiefschlägen, die ich immer noch erleide, fehlt es vielen an Empathie.“ So habe sich während seiner Genesung und dem Zurückarbeiten ins Leben in seinem Freundeskreis „die Spreu vom Weizen getrennt. Wer es nicht kapiert, hat Pech gehabt.“

Martin Jost nach dem erfolgreichen Absolvieren seines ersten Triathlons im Sommer dieses Jahres. Es sei ein unglaublicher Druck von ihm abgefallen, im Ziele habe er rumgeschrien und sei tränenüberströmt gewesen. © Jost

Natürlich hatte alles auch eine Auswirkung auf sein Berufsleben im Polizeidienst. Im November 2017 begann seine Wiedereingliederung, ohne Schichtdienst, ohne Einsätze mit Gefahr. Für eine Weile war das in Ordnung für Jost, dann suchte er eine Herausforderung, wechselte die Dienststelle. „Ich wollte zur Motorradpolizei mit einer milden Form der Schichtarbeit, das war ein Traumjob für mich“, erinnert sich Jost. Doch es kam nicht, wie er wollte. Nach sechs Wochen versagte ihm sein Körper die Mitarbeit, unterschiedliche Symptome traten auf. „Ich habe das unter Tränen aufgegeben. Das war ein Riesenrückschlag.“

Doch eine große Errungenschaft – neben den zahlreichen kleinen, beeindruckenden im Alltag – hat Jost noch zu berichten: seine erste Triathlonteilnahme in diesem Sommer. „Sport ist für mich der absolute Ausgleich und dieser Wettkampf war eine Herausforderung, die ich mir selbst gestellt habe. Ich habe es etwa zehn Mal ohne Wettkampfbedingungen gemacht, sodass ich Zeit hatte, aber ich wollte mir zeigen, dass es auch richtig geht.“ Beim Summertime Triathlon Kraichgau war es so weit – und auch das hat geklappt. „Da ist ein wahnsinniger Druck von mir abgefallen. Ich habe wohl rumgeschrien, ich lag tränenüberströmt im Ziel. Wenn ich daran denke, habe ich immer noch Gänsehaut.“

Martin Josts Gründe, über seine Erfahrung zu sprechen, sind aller Ehren wert: „Sich aufzugeben ist die große Gefahr. Ich will das alles nicht vermarkten, ich will Menschen in solchen Situationen Mut machen.“ Wenn das eine Lebensgeschichte können sollte, dürfte es zweifelsohne seine sein.

Copyright © 2025 Schwetzinger Zeitung