Eppelheim. Es war einer dieser Abende, die das Blut gefrieren lassen. Auf Einladung des Landtagsvizepräsidenten Daniel Born und den SPD-Frauen Baden-Württemberg las Autorin Barbara Schmid im Eppelheimer Buchladen aus ihrem Buch „Schneewittchen und der böse König“. Und, um es gleich vorwegzunehmen, es war ein erschütterndes Ereignis.
Es ist die Geschichte Katharinas, die einem sogenannten „Loverboy“ verfiel und für elf Jahre in die seelenzermalmende Maschinerie Prostitution geriet. Man kann die Erlebnisse Katharinas, die Autorin Schmid in Worte fasste, nur als Martyrium beschreiben. Ein Martyrium für das Männer verantwortlich sind. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Zahlen rund um die stark zunehmende Gewalterfahrung von Frauen in Deutschland stellt sich doch die Frage, ob der Staat hier nicht massiver auftreten muss.
Lesung in Eppelheim: Autorin fordert Verbot von Prostitution
Schmids Forderung: Prostitution verbieten. Wie es die Schweden vormachen. Die Frau entkriminalisieren und den Freier kriminalisieren. Gewalt und Ausbeutung stehen im Widerspruch zum ersten Paragrafen des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Man kommt nicht umhin festzustellen, dass Gesellschaft und Politik in Bezug auf die Frau diesem Auftrag nicht gerecht werden.
Was ein „Loverboy“ ist, machte die Traumatherapeutin und Vorsitzende der SPD-Frauen, Dr. Brigitte Schmid-Hagemeyer, deutlich. Es ist ein Mann, der einem Mädchen den Prinzen vorspielt sowie – auch dank des Internets – viel über etwaige Verletzlichkeiten weiß und diese bespielt. Dabei isoliert er es mehr und mehr von Familie und Freunden, schafft ein Abhängigkeitsverhältnis, simuliert dann Geldprobleme und bringt das Mädchen dazu, ihm zu helfen. „Und zwar über den Verkauf ihres Körpers.“
Bei Katharina begann es mit zwölf Jahren. Er war der tolle Mann auf einem Reiterhof. Ihr Vater arbeitete viel und der Mutter konnte sie, so empfand sie es, nichts recht machen. Heinz dagegen war immer da, half und hatte Verständnis. Mit der Zeit begann er, der 30 Jahre älter war, das Mädchen gegen seine Eltern und Freunde aufzubringen. Schnell war es komplett isoliert und von Heinz abhängig. Sie selbst bezeichnet sich im Buch als hörig. Gemeinsam, so suggeriert er es ihr, träumten sie von einem eigenen Pferdehof, für den sie aber nicht genug Geld hatten. Einziger Ausweg: Katharina verkauft ihren Körper.
Autorin berichtet in Eppelheim von dem Matyrium einer 17-Jährigen Abiturientin
Von außen kaum vorstellbar, aber aus der Innensicht ein gangbarer Weg. Sie traute ihm. Mit 17 Jahren, am 8. September 2000, begann das Martyrium und ihr bisheriges Leben als Abiturientin endete jäh. In der Mannheimer Lupinienstraße, in einem Laufhaus. Sie hatte Angst, empfand Ekel, aber die seelenzermalmende Maschinerie lief an. Und, „er verlässt sich doch auf mich“. Am Ende waren es 21 Männer in der ersten Nacht. „Frischfleisch ist in Bordellen beliebt.“ Sie bestand danach, so steht es in dem Buch, nur noch aus Schmerz und Ekel. Es ist verstörend, vor allem wenn man erfährt, dass eine Weihnachtsnacht mit 41 Freiern die schlimmste war.
25 000-mal wurde sie in elf Jahren missbraucht. Womit Heinz einen Gewinn von gut einer Million Euro machte. Das Geschäftsmodell, so Schmid, sei sehr effektiv. „Mit kaum etwas kann man im kriminellen Milieu mehr verdienen.“ Eine Waffe könne man nur einmal verkaufen, auch Drogen. Aber Katharina konnte Heinz 25 000-mal verkaufen.
Es ist verstörend. Es geschehe alles mitten unter uns. Frauen werden entmenschlicht, gedemütigt und zerstört. Immanuel Kant erklärte einst, dass Demütigung darin bestehe, den Menschen auf eine Funktion zu reduzieren. Prostitution reduziert eine Frau auf die Funktion ihrer Körperöffnungen.
"Loverboy"-Lesung in Eppelheim: Täglich eine Flasche Wodka
Ihre unermessliche Schwermut konnte Katharina nur mit Alkohol dämpfen. Sie trank eine Flasche Wodka und vier bis fünf Flaschen Prosecco am Tag. Heinz schlug sie, gegen ihn aussagen wollte sie aber nicht, immerhin liebte sie ihn doch. Ein Licht entstand für Katharina, als eine ehemalige Lehrerin mit ihr Kontakt aufnahm. Das erste Mal, dass sie wieder so etwas wie Vertrauen empfand und Menschen erlebte, die nicht das Ziel hatten, sie zu erniedrigen und zu demütigen. Am 9. April 2011 fand sie sich im Krankenhaus wieder, nachdem Heinz sie brutal zusammengeschlagen hatte. Es hätte werden können wie immer. Sie hätte wie immer sagen können, sie sei ausgerutscht. Doch vor dem Krankenhaus empfing sie ihre Schwester, die mittlerweile Polizistin war. „Es war der Moment, in dem ich beschloss, nicht mehr zu lügen.“ Am 13. April 2011 wurde Heinz verhaftet und später zu neun Jahren Haft verurteilt. Seit vier Jahren ist der heute 73-jährige wieder frei.
Katharina ist zurück auf dem Weg in ihr Leben. Natürlich ist die heute 42-jährige in Behandlung. Aber ihre Familie sei mittlerweile ein Schutzwall und sie habe gerade die Steuerberaterprüfung abgelegt. Heilen wird sie wohl nie, aber sie könne lernen, damit zu leben.
Mit diesem Buch, so Schmid, will Katharina Mädchen und Frauen warnen. Die „Loverboy“-Masche sei sehr perfide und gefährlich – und das Wissen darum der beste Schutz. Das wichtigste Anzeichen, dass etwas im Gange ist, sei nach Angaben Schmids, wenn Mädchen und junge Frauen beginnen würden, sich stark und in alle Richtungen abzugrenzen und zu isolieren. Es sei ein Thema, so Born und Schmid-Hagemeyer unisono, dass auch dringend an die Schulen gehöre. Und zwar in den Bildungsplan, also verpflichtend, denn Prävention beginne mit Wissen. Und dieses Wissen wird wichtiger, weil die Fallzahlen für die frauenverachtenden Verbrechen, auch mit der „Loverboy“-Masche, in Deutschland stiegen.
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