Im Gespräch

Wie Schwetzinger Kirschblüten mit dem Gefühl von Heimat zusammenhängen

Professorin Caroline Kramer betont die Bedeutung der Kirschblüten als Teil des badischen Narrativs. Sie argumentiert, dass Raum und Zeit zusammen gedacht werden müssen, um das soziale Gefüge einer Gesellschaft zu verstehen.

Von 
Stefan Kern
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Die „Schwäbisiserung“ der Kirschblüte – hier fotografiert im Schwetzinger Schlossgarten – führt für Caroline Kramer zu den ganz großen Fragen. © Gieser

Plankstadt. Am Anfang dieser Geschichte stehen die Kirschblüten im Schwetzinger Schlossgarten, die in einer Pressemeldung aus Stuttgart fälschlicherweise dem schwäbischen Landesteil zugeschlagen wurden. Mit einem lächelnden Auge wehrte sich die Plankstadterin Caroline Kramer, Professorin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Geographie, Geoökologie und Humangeographie, mittels Leserbriefs gegen diese Vereinnahmung. Mit der „Schwäbisierung“ unserer badischen Kirschblüten war sie nicht einverstanden.

Klar könnte man jetzt von einer Petitesse sprechen. Und vordergründig ist sie das natürlich auch. Doch wenn man genauer hinsieht, ändert sich das. Denn ganz schnell geht es dann um Heimat und ein weiterer Moment später um soziale Gerechtigkeit, Anständigkeit und der bestimmende Faktor Zeit. Ein Gespräch über Kirschblüten kann mit Kramer also ziemlich schnell zu den ganz großen Fragen führen.

Caroline Kramer © Kramer

Denn am Ende versucht Kramer genau wie der Physiker Albert Einstein mit seiner Relativitätstheorie Raum und Zeit zusammenzudenken. Nur will sie damit nicht das Bild des Universums weiter vervollständigen, sondern die Gesellschaft fairer machen.

Wie die Kirschblüte für ein Gefühl von Heimat sorgt

Aber der Reihe nach. Das mit den Kirschblüten ist Caroline Kramer wichtig, weil sie zu den Dingen gehören, die ein regionalen Narrativ (sinnstiftende Erzählung, Anmerkung der Red.) begründen und damit den Boden bereiten, auf dem die Menschen anschließend Wurzeln schlagen. Heimat ist nie nur ein Raum, sondern immer auch ein Narrativ, der sich aus dem Raum und seiner Geschichte speist. Das Ereignis Kirschblüte ist damit Teil des badischen – nicht des schwäbischen – Narrativ, der mit dafür sorgt, dass sich die Menschen hier wohl- und zuhause fühlen.

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Auch im digitalen Zeitalter wohne dem Raum und seinen Spezifika eine Kraft inne, die den Menschen verortet. Kurz gesagt, Raum schafft Heimat. Aber Raum wird, wenn man nur seine drei Dimensionen berücksichtigt, zu kurz gedacht. Ohne den Aspekt Zeit können Räume und ihre Narrative kaum verstanden werden.

KIT-Professorin Kramer über den Faktor Zeit

In Sachen Historie liegt das auf der Hand. Aber Kramer denkt das weiter und ist dann ganz schnell beim Einfluss der Zeit auf das soziale Gefüge einer Gesellschaft. Ausgehend von der Prämisse, dass Heimat immer auch sozial konstruiert ist, lenkt sie den Blick auf die zeitliche Bedingtheit dieser sozialen Konstruktion namens Heimat.

Meist werde ja an Geld gedacht, wenn es um sozialen Ausgleich und den Grad an Anständigkeit einer Gesellschaft geht. Unterschätzt werde dabei der Faktor Zeit. Zeit, so Kramer, „ist die wichtigste immaterielle Ressource“. Und genau wie Geld sei sie eine knappe und sehr ungleich verteilte Ressource. Ja, nicht selten gingen sie Hand in Hand und setzten eine Abwärtsspirale in Gang, die gutes Leben annähernd verunmöglicht.

Ökonomisch ärmere Menschen müssen weitere Wege zurücklegen

Ökonomisch ärmere Menschen haben in der Regel weitere Wege zu bewältigen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen, ihre Kinder in die Kita oder Schule zu bringen oder um Freizeitaktivitäten nutzen zu können. Weitere Faktoren, die das Zeitbudget einschnüren, sind die schwächere Anbindung der Außenbezirke an den Öffentlichen Nahverkehr, obwohl sie im Schnitt mehr darauf angewiesen sind, und meist ungünstigere Arbeitszeiten, was die ÖPNV-Problematik weiter verschärft.

Für die Zeitautonomie von Supermarktmitarbeitern sind lange Öffnungszeiten schädlich. Sie schränken das Zeitbudget der Betroffenen massiv ein. Gerade wenn sie dann noch Kinder haben. Gesellschaftliche Partizipation sei unter solchen Umständen nur noch sehr schwer verwirklichbar.

So hängt der Faktor mit der Heimat zusammen

Heißt im Umkehrschluss, wer eine anständige Gesellschaft will, muss die Zeit mitdenken und auch Menschen, die weniger verdienen, mehr Zeitautonomie verschaffen. In einer perfekten Welt würde bei der Planung von Baugebieten nicht nur eine Umweltverträglichkeitsprüfung, sondern auch eine Zeitverträglichkeitsprüfung stattfinden, um die zeitgerechte Stadt verwirklichen zu können.

Es müsse darauf geachtet werden, dass Kindertagesstätten und Schulen, Kultur- und Sportstätten sowie Einkaufsmöglichkeiten auch in Außenbezirken gut zu erreichen sind. Entweder weil sie nah sind oder weil der ÖPNV sowohl gut ausgebaut als auch gut getaktet ist. Denn eine bessere Erreichbarkeit korrespondiert klar mit mehr Zeitautonomie, so Caroline Kramer. Und Zeitautonomie ist mit eine der bestimmenden Größen für das soziale Erleben von Heimat.

Es ist letztlich ganz ähnlich wie bei Einsteins Relativitätstheorie. Wer den Raum beeinflusst, beeinflusst die Zeit und damit die Zeitbudgets einzelner Gruppen. Und nach John Rawls Buch „Theorie der Gerechtigkeit“ ist es für eine anständige und gelingende Gesellschaft zwingend, dass die schwächsten Gruppen am stärksten unterstützt werden.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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