Reilingen. Keine Frage, dem Biologen Dr. Andre Baumann liegt die Natur, liegt der Wald am Herzen. Weshalb sich der Landtagsabgeordnete der Grünen dafür stark macht, dass die Forstverwaltung die Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, die sie braucht, um angesichts des Klimawandels den Wald zu retten. Doch als Botaniker gibt es eine Stelle im baden-württembergischen Forst, die sein Herz höher schlagen lässt: das Reilinger Eck.
Baumann nutzte die Reihe seiner sommerlichen Exkursionen, um den Bürgern ein Kleinod vor Augen zu führen, dass vielen so nicht bekannt ist – der lichte Wald des Reilinger Ecks mit seiner einzigartigen Flora. Hier, so seine befunde Feststellung, wachsen Pflanzen, die man woanders vergeblich sucht, Winterlieb und Wintergrün, weshalb der auf Kalksand stehende Kiefernwald des Reilinger Ecks auch unter strengem Schutz steht – er ist ein „Fauna Flora Habitat“.
„Ein großartiges Wetter für den Wald“, stellte Baumann in seiner Begrüßung der Exkursionsteilnehmer, darunter Bernd Schneble von ForstBW, der Leiter des Forstbezirks Hardtwald, fest. Gut für den Wald, weniger einladend für die Menschen, weshalb die Zahl der Teilnehmer überschaubar blieb.
Baumann blieb beim Wetter, beim Klima und griff weit zurück in die Geschichte, um die Besonderheit des Reilinger Ecks vor Augen zu führen. Am Ende der letzten Eiszeit zogen sich die Gletscher zurück, der Rhein grub sich ein schmales Bett und der vorherrschende Westwind türmte den kalkhaltigen Sand zu Dünen auf, der fruchtbare Lös wurde Richtung Kraichgau geweht.
Da das hiesige Gelände im sogenannten Wormser Trockengebiet liegt, hat es im Laufe der Jahrhunderte wenig Regen abbekommen – der Kalk wurde nicht ausgewaschen, „es entstand eine großartige Kulturlandschaft“, gerät der Botaniker ins Schwärmen. Doch damit aus großartig einzigartig wird, musste der Mensch eingreifen, weshalb das Reilinger Eck auch kulturhistorisch geprägt ist.
Der Reilinger Wald diente früher als Viehweide für Schweine und Kühe
Über die Jahrhunderte wurde der Wald in dem Gebiet intensiv genutzt, diente er den Bauern als Viehweide. Ob Schweine oder Kühe, ob Schafe oder Ziegen, sie alle waren auf Nahrungssuche unterwegs, die Krume wurde abgetragen, der kalkhaltige Boden kam nach oben. Der ideale Boden für kalkliebende Pflanzen, vom Wintergrün bis zum Weißdorn, was das Reilinger Eck zu etwas Besonderem im Land macht. Und das Winterlieb, welches hier anzutreffen ist, galt gar als ausgestorben.
Und natürlich wurde in dem Wald auch kräftig eingeschlagen, sodass sich bei der ersten Walderhebung unter Kurfürst Carl Theodor ein trauriges Bild ergab: Kaum Bäume, dafür jede Menge Vieh hatten eine parkartige Landschaft entstehen lassen, das Paradebeispiel des „lichten Waldes“. Für den Botaniker Baumann eine paradiesische Vorstellung, „ein großartiges Naturmonument“ mit einer einzigartigen Pflanzenwelt.
Ein Zustand, der sich jäh ändern sollte, als zu Beginn der 19. Jahrhunderts die Forstverwaltung aufgebaut wurde, die Nutzung als Waldweide zurückgedrängt und kräftig aufgeforstet wurde – es entstanden scharfe Waldgrenze, hier der Forst, dort die Äcker. Bestand der Wald früher aus Buchen und Eichen, so erfolgte die Wiederaufforstung mit Kiefern, die am besten mit dem nährstoffarmen Boden zurechtkommen. Denn im Lauf der Jahre hatte der Wald nicht nur als Viehweide gelitten, als die Landwirtschaft zur Stallhaltung überging, wurde das Streu aus dem ihm geholt und anschließend als Dünger auf die Felder gebracht – dem Wald wurde der Nährstoff entzogen. Was letztlich zur einzigartigen Pflanzwelt des Reilinger Ecks führte.
Auf dem Weg von der Begegnungsstätte über die Autobahn hin zum Reilinger Eck war der Zustand des Waldes insgesamt Thema. Baumann zeigte auf tote Waldkiefern oder absterbende Buchen und erklärte seinen Willen, sich dafür einzusetzen, dass der Forst die Mittel erhält, die er braucht, den Wald für die nächste Generation zu erhalten. Die Zeiten, in denen der Wald den Gemeinden als „Sparkasse“ diente, seien längst vorbei, nun müsse investiert werden, den Wald zu erhalten. Angesichts der aufgestapelten Holzstämme stellte Forstbezirksleiter Schneble fest, dass es sich hierbei um „zufällige Nutzung“ handle, keinen gezielten Einschlag. Der Forst sei bemüht, absterbende Bäume zu schlagen, solange sie noch zu verwerten sind, statt sie verrotten zu lassen. „Auf keinen Fall handle es sich um einen Kahlschlag“, stimmte ihm Baumann zu.
Immerhin konnte Schneble der hiesigen Situation noch etwas abgewinnen. „Hier stirbt der Wald langsamer“. Zwar würden auch hier die unter dem Klimawandel leidenden Bäume von Misteln oder Borkenkäfern zusätzlich bedroht, doch in Grenzen. In den Hochlagen des Landes gehe der Klimawandel so schnell, dass die Bäume keine Chance hätten, sich anzupassen, sie ein Opfer der Massenvermehrung der Borkenkäfer würden.
Kermesbeere und Traubenkirsche bedrohen den Schwetzinger Hardt
Angesichts der Lage in der Schwetzinger Hardt sprach Baumann von einem „Meteoriteneinschlag in Zeitlupe“, der noch Spielraum für Maßnahmen lasse. Und der für den Forst neue Fragen aufwerfe, sie Schneble betont. Angesicht der Neophyten Kermesbeere und spätblühende Traubenkirsche müsse man überlegen, wo die Bekämpfung Sinn mache und wo nicht, wo welche Bäume gepflanzt werden können. Stichwort Kermesbeere: Der Einsatz der chemischen Keule ist für den Förster keine Option, zumal im Wald ohnehin untersagt. Durch eine bessere Beschattung des Bodens lasse sich der Neophyt viel besser verdrängen.
Doch welche Bäume sollen gepflanzt werden? Auf dem Weg zum Reilinger Eck zeigt sich ein Versuchsfeld des Kreises, auf dem verschieden Eichensorten gezogen werden. Auf 1,5 Hektar Fläche, die zuvor vom Maikäfer gesäubert wurde, soll sich zeigen, ob Stieleichen oder Eichen aus dem Mittelmeerraum die Zukunft gehört. Zum Glück, so der Förster, gibt es über die Landwirtschaftliche Versuchsanstalt Freiburg solche Untersuchungen schon seit den 1960er Jahren, sodass man nicht bei Null beginnen musste.
Und dann lag er vor der Gruppe, der lichte Kiefernwald, das Herzstück des Reilinger Ecks. „So sah der Wald über Jahrzehnte aus“, schwärmt Baumann und wirft den Blick auf die wieder eingeführte Beweidung, die den Forst licht halten. „Das schafft Lebensvielfalt“, weiß der Biologe, in dessen Augen die Beweidung etwas ganz Besonderes im Wald ist.
Damit knüpfe das Land an eine Zeit an, als es der Hotspot der Schafpopulation war – noch vor Spanien und Frankreich. Von den Ziegen ganz zu schweigen. Dao das Mähen und Beweiden des Waldes hat seinen Preis, sei nicht billig, so Baumann, der sich freut, dass es im Wald noch einen Raum gibt, auf dem gezeigt wird, wie es früher in ihm zuging, welche besondere Kulturlandschaft im Laufe der Jahrhunderte entstand.
Weshalb er alles daransetzen werde, die Schwetzinger Hardt, die mit rund 3000 Hektar das größe Waldschutzgebiet im Land ist, zu erhalten. Und ganz besonders das Herzstück, „der Diamant des Schutzgebietes“, das Reilinger Eck, gelte es zu bewahren. Kein dunkler Wald, sondern ein lichter, eine über die Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft, das einzigartige Naturdenkmal inmitten des Hardtwalds.
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